# taz.de -- Proteste nach Wahlen in Belarus: Kandidatin flieht nach Litauen | |
> Die Polizei geht in Belarus massiv gegen die Proteste wegen Wahlfälschung | |
> vor. Präsidentschaftskandidatin Tichanowska geht ins Exil. | |
Bild: Polizei in Minsk am 10. August | |
Eigentlich wollte die weißrussische Präsidentschaftskandidatin Swetlana | |
Tichanowska am Montagnachmittag nur kurz zur zentralen Wahlbehörde gehen, | |
um ihre Beschwerde einzureichen. Doch dort angekommen, wurde sie gegen | |
ihren Willen von ihrem Anwalt Maxim Snak getrennt, der in einem anderen | |
Raum warten musste. Und nicht Beamte der Wahlkommission, sondern des | |
Geheimdienstes sprachen mit ihr. Und die waren offensichtlich überzeugend. | |
Denn nach einem dreistündigen Gespräch verließ Tichanowska das Gebäude, | |
sagte den Wartenden nur: „Ich habe eine Entscheidung getroffen“, und | |
verschwand in unbekannte Richtung. Am nächsten Morgen meldete [1][Linas | |
Linkevicius, Außenminister von Litauen, per Twitter,] Swetlana Tichanowska | |
sei in Litauen eingetroffen. | |
Im Laufe des Dienstags ging die Oppositionelle mit einem kurzen [2][Video | |
aus dem Exil] an die Öffentlichkeit. Sie hätte die Entscheidung, das Land | |
zu verlassen, allein getroffen: „Viele werden mich verstehen, viele werden | |
mich hassen. Aber Gott bewahre, dass irgendjemand vor die Wahl gestellt | |
wird, vor der ich stand.“ | |
Tichanowskas Mann, der [3][Blogger Sergei Tichanowski, befindet sich im | |
Gefängnis], ist somit Lukaschenkos Geisel, mit der er effektiv Druck auf | |
dessen Frau ausüben kann. Und weitere ihrer Mitstreiter sind ebenfalls in | |
Haft. | |
## Brutale Polizeieinsätze | |
Kurz nach dem Gespräch in der Wahlkommission wurde eine weitere Geisel, | |
Maria Moros, Leiterin des Wahlkampfstabes von Tichanowska, freigelassen. | |
Nach Angaben der weißrussischen Internetagentur tut.by war die Freilassung | |
von Moros eine Gegenleistung der Behörden für die Zusage von Tichanowska, | |
das Land zu verlassen. | |
Bereits die zweite Nacht in Folge kam es in der Hauptstadt Minsk und in den | |
Städten Brest, Grodno, Mogiljow, Witebsk und anderen nach der Verkündung | |
des Wahlergebnisses, [4][das Präsident Lukaschenko am Sonntagabend mit 80 | |
Prozent zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen erklärt hatte], zu einem | |
teilweise sehr gewalttätigen Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten, | |
die gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen demonstrierten. | |
Am Montag berichtete das belarussische Innenministerium vom Tod eines | |
Demonstranten. Dieser habe sich in der Prityzki-Straße mit einem | |
Sprengsatz, den er auf die Polizisten habe werfen wollen, ungewollt selbst | |
verletzt. Die von der weißrussischen Menschenrechtsorganisation „Frühling“ | |
verbreitete Meldung, ein weiterer Demonstrant sei von einem Polizei-Lkw zu | |
Tode gefahren worden, bestätigte sich indessen nicht. | |
Übereinstimmend berichten weißrussische und russische Medien von | |
zahlreichen verletzten Demonstranten und Journalisten in der Hauptstadt | |
Minsk. Dort waren die Polizisten mit Wasserwerfern, Blendgranaten, | |
Elektroschockern, Tränengas und Schlagstöcken gegen die Demonstranten | |
vorgegangen, wie die russische Nowaja Gaseta berichtet. | |
## Gezielte Angriffe auf Journalisten | |
Nach Angaben der weißrussischen Agentur Nexta wurden mehrere Demonstranten | |
und eine Journalistin der Zeitung Nascha Niva durch Kugeln der Polizei | |
verletzt. Die Frau musste stationär behandelt werden. Ein tragisches | |
Schicksal ereilte ihren Kollegen Jegor Martinowitsch. Der Chefredakteur von | |
Nascha Niva konnte nur noch ein SOS an seine Freunde per SMS durchgeben. | |
Seitdem ist er unauffindbar. Zuvor hatte die Zeitung gemeldet, dass die | |
Polizei immer wieder gezielt auf Journalisten geschossen habe. | |
Auch in der nahe der polnischen Grenze liegenden Stadt Brest ging die | |
Polizei brutal gegen Demonstrierende vor. In anderen Städten wiederum waren | |
die Polizisten den Demonstranten zahlenmäßig weit unterlegen, verzichteten | |
auf die Anwendung von Gewalt. | |
Über ein Dutzend russische Medien protestierten in einem gemeinsamen | |
Schreiben an die weißrussischen Behörden gegen Verhaftungen von und die | |
Gewalt gegen Journalisten in Belarus. „Gewalt gegen unsere Kollegen, bei | |
gleichzeitigem Fehlen jeglicher Information über deren Zustand, macht uns | |
wütend. Wir bestehen auf der sofortigen Freilassung unserer Kollegen“, so | |
das unter anderem von der Nowaja Gaseta, dem Kommersant, Medusa und anderen | |
Medien unterzeichnete Schreiben. | |
## Lukaschenkos Kriegshysterie | |
Im Fernsehsender „Belarus 1“ behauptete Präsident Lukaschenko hingegen, ein | |
Großteil der Demonstranten sei betrunken gewesen und habe unter der | |
Einwirkung von Drogen gehandelt. | |
„Die Stimmung unter den Menschen in Belarus ist sehr angespannt“, berichtet | |
Olga Karatch von der Organisation „Unser Haus“. „Schon einige Wochen füh… | |
wir uns gerade vor dem Hintergrund der ganzen kriegerischen Hysterie, die | |
von Lukaschenko in den Medien entfacht wird, wie in einem Krieg. Erschwert | |
wird die Lage jetzt auch noch durch die Verletzten und einen Toten bei den | |
Demonstrationen“, so die Menschenrechtlerin Karatch zur taz. Der Kampf | |
gehe weiter, nur die Taktik ändere sich. | |
Unterdessen haben am Dienstag mehrere Belegschaften angekündigt, wegen der | |
Wahlfälschungen zu streiken. Die letzten Streiks hatte Belarus in den 90er | |
Jahren erlebt. | |
11 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/LinkeviciusL/status/1293055918586953730?s=20 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=w-6y7-iVI5s | |
[3] /Proteste-in-Weissrussland/!5688601/ | |
[4] /Praesidentschaftswahl-in-Belarus/!5706067/ | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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