# taz.de -- Osteuropa-Expertin über Wahl in Belarus: „Es wird viele Opfer ge… | |
> Die frühere grüne Bundestagsabgeordnete und Osteuropa-Expertin Marieluise | |
> Beck fordert eine Unterstützung der Zivilgesellschaft in Belarus. | |
Bild: Anhänger:innen der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja am… | |
taz: Frau Beck, laut vorläufigen Ergebnissen soll der belarussische | |
Staatspräsident Alexander Lukaschenko am Sonntag rund 80 Prozent der | |
Stimmen bekommen haben. Mal wieder [1][ein eleganter Sieg], oder? | |
Marieluise Beck: Ich frage mich, ob es wirklich nur 80 Prozent oder nicht | |
doch eher 120 Prozent waren, die dafür gestimmt haben, dass der weise | |
[2][Autokrat Lukaschenko] an der Macht bleibt. | |
Jetzt mal im Ernst: Was hat sich in der belarussischen Gesellschaft | |
verändert? | |
Seit einiger Zeit sind vor allem kulturelle Veränderungen feststellbar. Ich | |
meine damit vor allem die junge Generation. Das sind gut ausgebildete | |
Leute, seien es Künstler, Journalisten, Wissenschaftler und Beschäftigte im | |
IT-Bereich. Sie haben die gesellschaftlichen Spielräume angefangen für sich | |
zu nutzen, ohne dabei ideologisch verbissen zu sein. Gleichzeitig haben sie | |
ziemlich genau gewusst, wo ihre Grenzen sind. Und noch etwas kommt hinzu: | |
Sie hatten viel weniger Illusionen über den Westen als die Ukrainer. | |
Offensichtlich reizen viele von ihnen jetzt diese Grenzen aus … | |
Das hat vor allem mit den drei Frauen zu tun, die sich an die Spitze der | |
Opposition gesetzt haben. Sie haben das bisherige Spiel gehörig | |
durcheinandergebracht. Hinzu kamen die schlechte Wirtschaftslage und ein | |
skandalöses Management der Coronapandemie, was den Menschen die Augen | |
geöffnet hat. Lukaschenko war klar, dass er dieses Mal die Wahl maximal | |
fälschen musste, zumal ja auch in den Regionen viele Menschen auf die | |
Straße gegangen sind. | |
Für heute sind bereits weitere [3][Proteste der Opposition] angekündigt. | |
Mit welcher Entwicklung rechnen Sie? | |
Ich sehe das mit großer Sorge. Das Militär ist bereits in Marsch gesetzt | |
worden. Lukaschenko wird keine Scham haben, maximale Gewalt und | |
Repressionen gegen die Demonstranten anwenden zu lassen. Es gibt noch ein | |
weiteres Dilemma. Viele sind in Staatsbetrieben beschäftigt. Ich fürchte, | |
es wird viele Opfer geben, und damit meine ich nicht nur Tote und | |
Verletzte. | |
Russlands Präsident Putin hat Lukaschenko schon zum Sieg gratuliert. Wie | |
könnte der Kreml jetzt reagieren? | |
Putin kann sich von Moskau aus ganz gelassen das weitere Schicksal eines | |
faktisch geschwächten Lukaschenko angucken. Er hat mehrere Optionen. Eine | |
davon ist, die letzten drei offenen Kapitel des Unionsvertrages (Abkommen | |
zwischen Russland und Belarus von 1999, das unter anderem gemeinsame | |
Institutionen vorsieht; d. Red.) zu Ende zu verhandeln und den Vertrag dann | |
durchzusetzen. | |
Die Bundesregierung hat große Zweifel an dem Wahlergebnis geäußert. Die EU | |
kritisiert den Einsatz von Gewalt als unverhältnismäßig. Welche Reaktionen | |
sind denn von westlicher Seite zu erwarten? | |
Der EU-Außenbeauftragte Josef Borrell hat Lukaschenko zur Einhaltung fairer | |
Spielregeln bei der Wahl aufgerufen. Jetzt warnen die Europäer vor dem | |
Einsatz von Gewalt. Das klingt so, als könne man Lukaschenko mit | |
Ermahnungen beeindrucken. Aber natürlich steht die EU auch vor einem | |
Dilemma. Denn jede harte Sanktion könnte Lukaschenko wie auch die | |
Bevölkerung vollends in Russlands Arme treiben. | |
Deshalb muss es unsere Aufgabe sein, die belarussische Zivilgesellschaft zu | |
unterstützen. Durch Austauschprogramme, Stipendien und die Möglichkeit für | |
junge Leute zu reisen, auch wenn sie nur wenig Mittel haben. Unsere Türen | |
für die Bevölkerung offen halten, das ist das Wichtigste, was wir tun | |
können. Moskau sollte signalisiert werden, dass eine Intervention in | |
Belarus nicht achselzuckend hingenommen wird. | |
11 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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