| # taz.de -- Aktivistin über Wahl in Belarus: „Lukaschenko wird schießen las… | |
| > Der weibliche Einfluss in der belarussischen Gesellschaft wächst, sagt | |
| > Olga Karatsch. Sie rechnet mit blutigen Protesten nach der Wahl am | |
| > Sonntag. | |
| Bild: Die Chefin der Zentralen Wahlkommissionhat hat bereits den Wahlsieg von L… | |
| taz: Frau Karatsch, Tausende kommen zu den [1][Veranstaltungen von Swetlana | |
| Tichanowskaja], der wichtigsten Rivalin von Staatschef Alexander | |
| Lukaschenko für die Präsidentschaftswahl. Warum? | |
| Olga Karatsch: Das hat vor allem mit Corona zu tun. [2][Lukaschenkos | |
| Ignoranz gegenüber dieser Pandemie] hat zu einem Kollaps des | |
| Gesundheitssystems und vielen Toten geführt. Besonders diejenigen, die in | |
| den staatlichen Strukturen wie Gerichten oder Polizei arbeiten, waren davon | |
| betroffen. Das war so etwas wie eine Art Trigger, ein roter Knopf, der alle | |
| diese Prozesse ausgelöst hat. | |
| Wie wichtig ist der Umstand, dass Tichanowskaja eine Frau ist? | |
| Das spielt natürlich eine Rolle. Für Lukaschenko ist es viel schwerer, | |
| gegen eine Frau eine Schmutzkampagne zu fahren oder sie ins Gefängnis | |
| stecken zu lassen. Dass sich jetzt auch Veronika Tsapkala (Ehefrau des | |
| geflohenen Präsidentschaftskandidaten Walerij Tsapkalo, Anm. d. Red.) | |
| Tichanowskaja angeschlossen hat, macht die Sache nicht einfacher. Die | |
| Machthaber sind es nicht gewohnt, gegen Frauen auf diese Art zu kämpfen. | |
| Sie hatten sich daran gewöhnt, dass bislang eine Mehrheit der Frauen | |
| Lukaschenko unterstützt hat. | |
| Lukaschenko hat mehrfach gesagt, Belarus sei noch nicht reif für eine | |
| Präsidentin. Offensichtlich hat er ein Problem mit Frauen... | |
| Ein gewaltiges. Vor einer Gruppe von Fabrikarbeitern hat Lukaschenko | |
| neulich auch gesagt, dass die Verfassung nicht für Frauen gemacht sei und | |
| sie niemals in das höchste Staatsamt kommen würden. Das hat eine Sturm der | |
| Entrüstung ausgelöst, besonders von gut ausgebildeten Frauen, die in | |
| führenden Positionen in der Wirtschaft tätig sind. Es gab mehr als 200 | |
| Protestbriefe an die Zentrale Wahlkommission, in denen gefordert wurde, | |
| Lukaschenko nicht zur Wahl zuzulassen und ihn wegen Sexismus zu bestrafen. | |
| So etwas gab es noch nie. Und überhaupt: Wir haben jetzt eine einzigartige | |
| Situation. In den Wahlkommissionen waren Frauen bisher so eine Art | |
| Handlanger. Jetzt sind sie auf der Entscheiderebene angekommen. | |
| Bei der Präsidentenwahl vor fünf Jahren haben Sie ja selbst mit dem | |
| Gedanken gespielt, bei der Präsidentenwahl anzutreten. Warum ist daraus | |
| nichts geworden? | |
| Lukaschenkos gesamte Politik fußt auf dem Bild eines starken Vaters. | |
| Gleichzeitig war aber klar, dass es in der Gesellschaft auch das Bedürfnis | |
| nach einer starken Mutterfigur gibt. Darin sah ich eine Chance. Denn jeder | |
| andere männliche Kandidat hätte mit dem Vater konkurrieren müssen. Doch den | |
| gab es ja schon, der hat sich ganz Belarus unter den Nagel gerissen. Doch | |
| dann kamen 2014 die Ereignisse in der Ukraine. [3][Russland annektierte die | |
| Krim] und [4][im Donbass begann der Krieg]. Da wurde es sinnlos anzutreten, | |
| denn es war klar, dass die Belarussen Stabilität wählen und Lukaschenko | |
| gewinnen würde. | |
| Im Vergleich zu heute kann man also sagen, dass die Bedeutung des | |
| weiblichen Faktors in der belarussischen Politik wächst? | |
| Auf jeden Fall. Anders als früher haben wir jetzt eine breite Diskussion | |
| über die Rolle von Männern und Frauen in der Gesellschaft. Früher strebten | |
| die Frauen nicht nach politischen Führungspositionen. Jetzt verlangt die | |
| Gesellschaft jedoch nach anderen Rollenmodellen und nach einem neuen | |
| Führertypus. Lukaschenko verkörpert den autoritären Typ, der Gewalt | |
| anwendet. Doch ein Großteil der Belarussen fordert andere Werte ein, wie | |
| Humanismus. Deshalb geht es jetzt nicht um die Gleichheit der Geschlechter. | |
| Vielmehr ist das eine Frage von Werten. | |
| Sie haben vor wenigen Tagen ein Video mit dem Titel „der Notkoffer“ [5][auf | |
| Youtube gepostet]. Da geben Sie Tipps, was die Menschen so alles mitnehmen | |
| sollen, wenn sie am Abend des 9. August auf die Straße gehen. | |
| Das ist leider unsere Erfahrung. Lukaschenko plant wieder einmal, mit | |
| brutalen Methoden gegen friedliche Demonstranten vorzugehen. Das haben alle | |
| begriffen. | |
| Wie waren die Reaktionen? | |
| An einem Tag wurde das Video von 200.000 Leuten geklickt. Viele haben sich | |
| bedankt und mir geschrieben, dass sie ihren Koffer schon gepackt hätten. | |
| Einige haben aber auch gesagt, dass wir solche Ratschläge lieber nicht | |
| geben sollten, weil die Leute dann vielleicht Angst hätten, demonstrieren | |
| zu gehen. Ich meine jedoch, dass die Situation sehr ernst ist und die | |
| Menschen darauf vorbereitet sein müssen. Es geht da ja nicht um einen | |
| Spaziergang. | |
| Das heißt, Sie rechnen nach der Wahl auf jeden Fall mit Massenprotesten? | |
| Zu 100 Prozent. Die Chefin der Zentralen Wahlkommission Lydia Jermoschina | |
| hat bereits angekündigt, dass Lukaschenko über 70 Prozent der Stimmen | |
| erhalten wird. | |
| Wie wird das Regime darauf reagieren? | |
| Es wird Blut fließen, denn Lukaschenko wird auf die Demonstranten schießen | |
| lassen. Daran zweifele ich keine Minute. Es wird das erste Mal sein, dass | |
| Lukaschenko nicht nur die Miliz schicken wird, sondern auch noch das | |
| Militär. Einige Szenarien sind auch schon nach außen gedrungen. Ein Plan | |
| ist, dass ein Angehöriger der Miliz getötet werden wird, was dann den | |
| Vorwand liefert, um auf die Demonstranten loszugehen. | |
| Könnte das dann auch das Ende von Lukaschenkos Herrschaft sein? | |
| Ja, aber noch nicht am 9. August. Denn die Proteste werden weitergehen. Ich | |
| rechne damit, dass es im Herbst vielleicht so weit sein könnte. | |
| 8 Aug 2020 | |
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| [5] https://www.youtube.com/watch?v=acSBtwbgoRs&feature=youtu.be | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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