| # taz.de -- Festnahmen in Belarus: Die Machenschaften der Militärfirma | |
| > Als Kurgäste getarnte Söldner gehen ins Netz der belarussischen Polizei. | |
| > Sie sollten die Wahl am 9. August sabotieren, wirft man ihnen vor. | |
| Bild: Ein Flashmob auf Rädern gegen Lukaschenko | |
| Kiew taz | Die Gäste im Sanatorium vor den Toren von Minsk waren so | |
| unauffällig, dass sie auffielen. Fast nichts hatten die 32 russischen | |
| Staatsbürger im Alter von 24 bis 55 Jahren in ihren wenigen Tagen | |
| Aufenthalt im idyllischen Waldsanatorium „Belorusotschka“ gemacht. Weder | |
| waren sie an alkoholischen Getränken und Kontakten mit den Kurgästen | |
| interessiert noch nahmen sie die Angebote von Kardiologen und | |
| Lungenfachärzten wahr. | |
| Am Mittwoch tauchte der belarussische Geheimdienst KGB in dem Sanatorium | |
| auf und nahm alle 32 Russen direkt in ihren Schlafgemächern fest. Minuten | |
| später veröffentlichte das belarussische Fernsehen Bilder, die die | |
| gefesselten Männer in Unterhose zeigte. | |
| Die Behörden von Belarus (Weißrussland) sehen in den Verhafteten Söldner | |
| [1][der privaten russischen Militärfirma „Wagner“]. Ziel ihrer Reise sei es | |
| gewesen, die Lage im Land wenige Tage vor den für den 9. August anstehenden | |
| Präsidentschaftswahlen zu destabilisieren. Unter den Festgenommenen seien | |
| Scharfschützen, Sprengstoffspezialisten und EDV-Fachleute. | |
| Das staatliche Ermittlungskomitee beschuldigt die Festgenommenen der | |
| Vorbereitung von Massenunruhen und der Erzeugung von sozialem Hass und | |
| Aufrufen zur Gewalt gegen die Polizei. Gegen die 32 Wagner-Leute und einen | |
| weiteren, den man in Gomel festgenommen hatte, wurde ein Verfahren wegen | |
| Vorbereitung von Terroranschlägen eingeleitet, berichtet die russische | |
| Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf den Sekretär des | |
| belarussischen Sicherheitsrats, Andrei Ravkow. | |
| ## Nur den Weiterflug verpasst | |
| Russlands Außenministerium weist die Anschuldigungen zurück. Die | |
| Festgenommenen seien nur auf der Durchreise gewesen. Ihr Ziel sei Istanbul | |
| gewesen. Dies sei mit Dokumenten einschließlich Flugtickets belegbar, | |
| zitiert die Moskauer Nowaja Gaseta Sprecher des Außenministeriums. Dass | |
| sich die Gruppe in Minsk aufgehalten habe, erklärte der russische | |
| Botschafter dort mit dem Umstand, dass die Gruppe den Flug in die Türkei | |
| verpasst habe. | |
| [2][Präsident Lukaschenko] will das nicht glauben. „Klar, dass diese Gruppe | |
| andere Ziele hatte. Nun ist es Aufgabe der Ermittlungsbehörden, | |
| herauszufinden, welches Ziel die Gruppe verfolgte“, so der belarussische | |
| Staatschef. Die Ermittler sind sich sicher, dass die Flugtickets nach | |
| Istanbul nur Alibi-Funktion hatten. | |
| Die ersten Aussagen der Festgenommenen seien sehr widersprüchlich, | |
| berichtete Alexander Agafonow, Leiter der zuständigen Ermittlungsgruppe. | |
| Elf der Befragten seien angeblich auf dem Weg nach Venezuela gewesen, 15 | |
| auf dem Weg in die Türkei, zwei wollten nach Kuba und einer nach Syrien, so | |
| Agafonow. Selbst wenn die Gruppe tatsächlich den Flug nach Istanbul | |
| verpasst hätte, hätte sie nicht mehrere Tage auf einen neuen warten müssen. | |
| Möglicherweise, so heißt es in Minsk, gehöre die Gruppe der Festgenommenen | |
| zu einem größeren Kontingent. Nach Angaben Ravkows sollen sich noch weitere | |
| 170 Söldner in Belarus aufhalten. | |
| Inzwischen hat sich die Ukraine eingeschaltet. Die | |
| Generalstaatsanwaltschaft in Kiew fordert die Auslieferung von 28 der | |
| Festgenommenen. Ihnen wirft sie vor, auf der Seite der von Russland | |
| unterstützten Separatisten in der Ostukraine gekämpft zu haben. Aus dem | |
| Büro des ukrainischen Präsidenten hieß es, der ukrainische | |
| Inlandsgeheimdienst habe ausreichend Informationen über die Festgenommenen | |
| gesammelt. Ukrainischen Medienberichten zufolge soll ein Teil der Gruppe | |
| neben der russischen auch die ukrainische Staatsbürgerschaft haben. | |
| ## Schon einmal im Donbass gesehen | |
| Dass zumindest ein Teil der Festgenommenen tatsächlich gegen die Armee der | |
| Ukraine gekämpft hat, hat auch Sachar Prilepin eingeräumt. Der | |
| Schriftsteller hat einst selbst mit der Waffe in der Hand auf Seiten der | |
| Aufständischen im Donbass gekämpft – und unter den in Minsk Festgenommenen | |
| hat er Leute seiner eigenen Truppe wiedererkannt. Er erwartet nun von der | |
| russischen Führung, dass sie sich zu ihren Leuten bekennt. Russland dürfe | |
| nicht so tun, als habe es mit den Festgenommenen nichts zu tun, so Prilepin | |
| auf seiner Facebook-Seite. | |
| Der ukrainische Kolumnist Iwan Jakowina von der Nowoe Wremja will nicht | |
| glauben, dass Lukaschenko von der Einreise russischer Söldner nichts | |
| gewusst habe. [3][Lukaschenko lege schon lange keinen Wert mehr auf seine | |
| Beliebtheitswerte.] An der Macht bleiben könne er jetzt nur noch mit Hilfe | |
| von Sicherheitsorganen. Und für den Fall, dass die eigene Polizei Skrupel | |
| haben sollte, habe er sich schon mal Wagner-Leute ins Land kommen lassen. | |
| Denn am kommenden Sonntag wählt Belarus einen neuen Präsidenten. Und wenn | |
| die Wahl fair ist, könnte das Land bald von einer Präsidentin regiert | |
| werden. Drei Frauen machen Amtsinhaber Alexander Lukaschenko, der seit 26 | |
| Jahren das Land mit harter Hand lenkt, seinen Posten streitig: Maria | |
| Kolesnikowa, Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo. | |
| Sie alle agieren in Vertretung von Männern, die Lukaschenko aus dem Weg | |
| geräumt hat. Kolesnikowa hat die Kandidatur vom Bankier Viktor Babariko | |
| übernommen, der am 18. Juni festgenommen wurde. Tichanowskaja ist die | |
| Ehefrau des populären Bloggers Sergei Tichanowski, der nach einem | |
| kritischen Blogeintrag festgenommen wurde. Veronika Zepkalo ist die Frau | |
| des nicht zugelassenen Kandidaten gleichen Nachnamens. Geprägt sind diese | |
| Wahlen von einem für belarussische Verhältnisse offenen Wahlkampf. So kamen | |
| zu einer Wahlveranstaltung von Swetlana Tichanowskaja Ende Juli mehrere | |
| zehntausend Menschen. | |
| ## Kurzhaarschnitt und blankgeputzte Schuhe | |
| Sollte der unpopuläre Lukaschenko als Sieger aus den Wahlen hervorgehen, | |
| könnte es in Minsk zu ähnlich großen Protesten kommen wie 2013/14 in Kiew. | |
| In einer solchen Situation wäre ein Söldnereinsatz nicht ungewöhnlich. Am | |
| 26. Januar 2014, zum Höhepunkt der Proteste auf dem Kiewer Maidan gegen die | |
| damalige Regierung der Ukraine, saßen in einem Passagierflug von Moskau | |
| nach Kiew zwei Dutzend Männer, die sich alle irgendwie ähnlich sahen. Alle | |
| hatten denselben Kurzhaarschnitt, eine sportliche Figur, gut geputzte | |
| Schuhe, ähnliches militärisches Verhalten, gleich große Taschen, und sie | |
| alle taten so, als würden sie sich nicht kennen. | |
| Söldner der Gruppe Wagner haben in gut zwanzig Ländern weltweit gekämpft, | |
| darunter im Sudan, in Syrien, der Zentralafrikanischen Republik und zuletzt | |
| in Libyen. Als Chef gilt der russische Oligarch Jewgenij Prigoschin, der in | |
| St. Petersburg mehrere Restaurants betreibt und wegen seiner guten | |
| Verbindungen zu Putin auch als „Putins Koch“ bekannt ist. | |
| Die Rezepte der Wagner-Kämpfer sind nicht immer genießbar. Die Nowaja | |
| Gaseta veröffentlichte Fotos, die Angehörige von Wagner mit dem Kopf eines | |
| syrischen Deserteurs zeigen. Die Söldner hatten Mohammed Tachaa Ismail | |
| al-Abdulla im Juli 2017 in der syrischen Provinz Homs gefoltert und | |
| hingerichtet. Anschließend trennten sie dessen Kopf vom Rumpf und ließen | |
| sich mit dem Haupt vor ihren Füßen fotografieren. | |
| 2 Aug 2020 | |
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| Bernhard Clasen | |
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