| # taz.de -- Ukrainische Geflüchtete in Berlin: Bis hierhin – und jetzt weiter | |
| > Zehntausende Flüchtlinge aus der Ukraine leben provisorisch bei | |
| > Gastgeber*innen, in Hostels und Heimen. Wo sie bleiben können, weiß | |
| > niemand. | |
| Bild: Hostel oder Rückkehr? Der Wohnungsmangel bringt viele Ukrainer:innen in … | |
| Berlin taz | Fast sieben Monate währt der Krieg in der Ukraine – und je | |
| länger er dauert, desto drängender werden in Berlin die Fragen von | |
| Geflüchteten und ihren Gastgeber*innen: Wie soll es weitergehen? Wo können | |
| die Kriegsflüchtlinge längerfristig bleiben? | |
| Der Wohnungsmarkt ist bekanntlich leergefegt, auch Berliner*innen mit | |
| schmalem Geldbeutel finden nichts. Dazu kommen rund [1][25.000 Geflüchtete | |
| in Gemeinschaftsunterkünften], die dort auch nicht auf Dauer leben wollen – | |
| und mindestens 40.388 Ukrainer*innen. So viele Aufenthaltstitel nach | |
| Artikel 24 Aufenthaltsgesetz, der die EU-„Massezustromrichtlinie“ umsetzt, | |
| hat das Landeseinwanderungsamt (LEA) bis Anfang September erteilt. Täglich | |
| kommen laut LEA rund 150 Anträge hinzu. Wo sollen all die Menschen hin? | |
| Flüchtlingshelfer*innen fragen das schon lange. „Wir bekommen täglich | |
| unzählige Anfragen von Geflüchteten und Gastgeber*innen nach | |
| Wohnungen“, sagt Diana Henniges, Chefin von Moabit hilft, dem | |
| Flüchtlingshilfeverein, der wie in der Krise 2015/16 eine wichtige | |
| Anlaufstelle in der Stadt ist. „Viele Berliner*innen hätten gerne ihre | |
| Couch oder das Gästezimmer zurück, die Ukrainer*innen wollen langsam was | |
| Eigenes“, fasst sie zusammen. Auf Dauer zehre das teils sehr enge | |
| Zusammenleben an den Nerven und führe zu Konflikten. | |
| ## Genaue Zahl unbekannt | |
| Die Solidarität der Gastgeber*innen könne nicht endlos strapaziert | |
| werden, so Henniges. „Die Sozialverbände sagen seit Monaten, es brauche ein | |
| Konzept, wie diese staatliche Aufgabe wieder vom Staat übernommen werden | |
| kann.“ Aber bis heute, kritisiert sie, gebe es kein „Hilfsprogramm für | |
| Gastgeber*innen“, wo man etwa Beratung zu Mietkostenübernahme, | |
| Aufenthaltsfragen, Wohnungssuche bekommen könnte. | |
| Einen richtigen Überblick, wie viele Ukraine-Flüchtlinge wo und wie leben, | |
| hat niemand, da für Menschen von dort die visafreie Einreise gilt. Man muss | |
| wohl davon ausgehen, dass die meisten privat untergekommen sind. Das LAF | |
| hat seit Beginn des Krieges acht neue Heime mit 2.043 Plätzen eröffnet, | |
| insgesamt lebten derzeit 2.660 Ukraine-Flüchtlinge in LAF-Unterkünften, so | |
| eine Behördensprecherin. Dazu kämen zum Stichtag 5. September 257 Menschen, | |
| die vorübergehend im Ukraine-Ankunftszentrum in Tegel untergebracht sind. | |
| Dort kommen pro Tag zwischen 400 und 800 Menschen neu an, von ihnen bleiben | |
| rund 40 Prozent in Berlin, der Rest wird in andere Bundesländer verteilt. | |
| Weil für die Neu-Berliner*innen aber nicht genug Plätze in LAF-Heimen frei | |
| sind, müssen sie inzwischen ein paar Tage in Tegel ausharren. | |
| ## Anfällig für Abzocke | |
| Dazu kommen immer mehr Ukrainer*innen, die bei ihren Gastgeber*innen | |
| nicht mehr bleiben können oder wollen – und sich daher in Tegel als | |
| wohnungssuchend melden. Das berichtet unter anderem Deborah Kogan, eine | |
| Berliner Helferin der ersten Stunde. Die 19-jährige Abiturientin mit | |
| familiären Wurzeln in Odessa hat mehrere Monate als Freiwillige am | |
| Hauptbahnhof gearbeitet. Inzwischen berät sie Ukrainer*innen über | |
| Telegram-Chatgruppen, geht mit ihnen zu Ämtern. Zu vielen Flüchtlingen hat | |
| sie nach eigener Aussage Kontakt gehalten – insgesamt, schätzt sie, kennt | |
| sie mehrere tausend Geflüchtete. | |
| Die Wohnsituation, so Kogan, sei ein „großes Problem“ für viele | |
| Ukrainer*innen. Nicht wenige seien deswegen bereits zurückgegangen in die | |
| Westukraine, wo der Krieg nicht so spürbar sei. „Und sehr, sehr viele | |
| wollen zurück, weil es hier zu viele Probleme gibt.“ Sie sehen keine | |
| Möglichkeit, in Berlin Fuß zu fassen, „auch wenn sie eine | |
| Arbeitsperspektive haben – weil sie keine Wohnung finden“. | |
| Klagen hört Kogan etwa von Menschen, die für ein Zimmer im Hostel viel Geld | |
| bezahlen müssten. Alle Geflüchteten müssen sich, sobald sie Arbeit haben, | |
| anteilig an den Kosten ihrer Unterkunft beteiligen, die grundsätzlich vom | |
| Jobcenter übernommen werden. Und weil das LAF mit der Unterbringung nicht | |
| mehr hinterherkommt, helfen einige Bezirke „innerhalb ihrer Möglichkeiten“ | |
| aus, so die LAF-Sprecherin. Weil die Bezirke aber auch keine freien | |
| Wohnheimplätze haben, heißt dies oft: ab ins Hostel – wie bei anderen | |
| Wohnungslosen auch. | |
| Und wie immer gibt es Anbieter, die die schiere Not ausnutzen: „Manche | |
| Flüchtlinge erzählen von Hostelbesitzern, die bis zu 50 Euro pro Tag und | |
| Person verlangen“, erzählt Kogan. Und das teilweise sogar für mehrfach | |
| belegte Zimmer. Sie höre auch von privaten Wohnungsvermietern, die sich | |
| weigerten, Verträge zu machen, sodass die Flüchtlinge die Miete gar nicht | |
| vom Jobcenter erstattet bekommen. | |
| ## Wieder Sammelunterkunft in Tegel? | |
| Von einem besonders krassen Fall von Abzocke erfuhr die taz durch einen | |
| Leserinnenbrief: So berichtete eine Gastgeberin, ihr Vermieter habe 15 | |
| Prozent Mieterhöhung verlangt, weil sie eine junge Ukrainerin bei sich | |
| wohnen lasse. Als die taz bei der Hausverwaltung nachfragte, war die | |
| Mieterhöhung plötzlich vom Tisch. | |
| Für die nahe Zukunft, so steht zu befürchten, wird sich die Lage noch | |
| verschärfen. Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) sagte kürzlich, | |
| sie rechne mit einer Zunahme von Flüchtlingen zum Winter auf bis zu 1.000 | |
| Menschen täglich. Dies hänge vor allem „von der Versorgungslage in der | |
| Ukraine ab“, erklärte ihr Sprecher. Sprich: ob durch den Krieg beschädigte | |
| Wohnungen, Heizungen, Warmwasserleitungen repariert werden könnten oder | |
| nicht. | |
| Daher sucht das LAF dringend nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten. Dies | |
| könnten „Hostels/Hotels“ sein, so Kippings Sprecher, oder auch | |
| „Sammelunterkünfte“ – ein Begriff für Unterbringung mit schlechteren | |
| Standards. Eine solche Sammelunterkunft soll nach Medienberichten nahe dem | |
| Ex-Flughafen Tegel entstehen – zusätzlich zum dortigen Ankunftszentrum mit | |
| 1.800 Betten und dem Zelt mit der „Notreserve“ von 900 Betten daneben. Das | |
| Ankunftszentrum muss im Oktober von Terminal A/B nach C umziehen, dort aber | |
| sei weniger Platz, so die Morgenpost. Zudem wird laut Kippings Sprecher | |
| „geprüft, ob Bestandsunterkünfte punktuell verdichtet werden können“. | |
| Für eine Übergangszeit mag so etwas gehen. Nur weiß niemand, was danach | |
| kommen soll. | |
| 14 Sep 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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