| # taz.de -- Angriffe auf Ukraine-Fotoausstellung: Nadelstiche gegen Solidarität | |
| > Eine Fotoausstellung in Neukölln zum Krieg in der Ukraine polarisiert. | |
| > Sie erfährt Kritik und offenen Vandalismus. | |
| Berlin taz | Der Kurator David Rojkowski nennt die Beschädigungen | |
| „Nadelstiche“: Seit Anfang Oktober wird an der Genezareth-Kirche am | |
| Herrfurthplatz in Neukölln die Fotoausstellung „Wir hatten ein normales | |
| Leben – Ukraine 2006–2022“ gezeigt. Aber nicht ohne Widerspruch: Es gab | |
| Schmierereien an einzelnen der großen Lkw-Planen, auf die die rund 100 | |
| Bilder gedruckt sind. Kommentare wie „Scheiß Gehirnwäsche hier“ oder „Wo | |
| sind die 14.000 Toten im Donbass (2014–2022) von der Ukraine ermordet?“. | |
| Die Macher:innen berichten von Vandalismus, bei dem einzelne der | |
| Bildwände mit einem Messer aufgeschlitzt worden seien. | |
| Zur Bildbeschreibung eines Fotos der polnischen Fotografin Justyna | |
| Mielnikiewicz, in dem es um die Annexion der Krim durch russische | |
| Streitkräfte ging, schrieb jemand korrigierend: „Referendum!“ Ein anderer | |
| forderte, es müsse auch eine Ausstellung über die „Kriege der USA und Nato�… | |
| gezeigt werden. Eine Plane mit zwei Fotomotiven wurde sogar gestohlen: Auf | |
| einem der beiden Bilder überlappen sich bei einer Solidaritätsdemonstration | |
| in Rostock die Fahnen der Ukraine und Europas, das andere zeigt eine junge | |
| Demonstrantin in Lwiw, die sich „Мир“, zu Deutsch: „Frieden“, auf di… | |
| tätowiert hat. | |
| Für die Organisator:innen war das eine neue Erfahrung. Monatelang war | |
| die Schau mit Bildern von 21 Fotograf:innen der Hamburger Agentur Focus | |
| und der Brüsseler Agentur Maps zuvor am Mahnmal St. Nikolai in Hamburg zu | |
| sehen – mit großer Resonanz und ohne Zerstörungen. | |
| Die Ausstellung sei bewusst „emotional“ konzipiert worden, sagt Rojkowski. | |
| Die Kombination aus Archiv-Fotos über Alltagsleben, Arbeit und Freizeit in | |
| der Ukraine sowie den Euromaidan-Protesten einerseits und den zum Teil sehr | |
| drastischen Bildern über die Zerstörungen nach dem 24. Februar andererseits | |
| soll nach seinen Worten dokumentieren, „was durch den Krieg verloren | |
| gegangen ist“. Politisch und menschlich habe man sich auf die ukrainische | |
| Seite stellen wollen. „Auch wenn es im Leben und der Fotografie kein | |
| Schwarz und kein Weiß gibt – der Krieg erfordert diese Positionierung“, | |
| sagt der Kurator. | |
| ## Auch positives Echo | |
| Dass es in Berlin ein wenig komplizierter werden könnte, wurde von den | |
| Macher:innen fast befürchtet: Die Ausstellung drehe sich um „ein heißes | |
| und kontroverses Thema“, weiß Rojkowski. Das gelte umso mehr, „je weiter | |
| wir Richtung Osten gehen“. Umso mehr freue er sich, dass es auch ein | |
| überwältigend zustimmendes Echo gegeben habe. | |
| Es gab in den Berliner Wochen der Freiluftausstellung beides: Menschen, die | |
| die Ausstellung positiv auffassten – und solche, die sich hörbar ärgerten. | |
| Sebastian Backhaus, einer der beteiligten Fotografen, schildert, er sei | |
| schon beim Aufbau von einem Passanten angeraunzt worden, der sich über | |
| „Russen-Bashing“ und „ukrainische Propaganda“ beklagte. Auch bei der | |
| Eröffnung gab es lautstarke Zwischenrufe, berichtet er. | |
| Die Pfarrerin der Genezareth-Kirche, Jasmin El-Manhy, erinnert sich gern, | |
| dass beispielsweise Schulklassen die Schau besichtigten und | |
| Besucher:innen das Zeichen der Solidarität mit der Ukraine ganz bewusst | |
| geteilt hätten. Aber: „Mir war klar, dass diese Ausstellung auch Protest | |
| auslösen wird.“ | |
| Sie erzählt, dass Menschen zu ihr ins Pfarrbüro kamen und behaupteten, die | |
| Ausstellung erzähle „nicht die Wahrheit“. Die gefragt hätten: „Warum l�… | |
| die Kirche auf ihrem Boden so etwas zu?“ Und überhaupt: „Warum werden denn | |
| weiße Geflüchtete aus der Ukraine so bevorzugt?“ Wobei an Letzterem ja | |
| durchaus etwas dran sei, wie die Pfarrerin zugibt. Andererseits zeige die | |
| Ausstellung „wirklich eindrücklich, wie zerbrechlich unser Friede ist“. Es | |
| sei gut, sie in Neukölln zu haben. Und wenn in der Fotoausstellung | |
| dokumentiert wird, was alles in der Ukraine innerhalb weniger Wochen und | |
| Monate zerstört worden ist, „kriege ich schon Gänsehaut, wenn ich das | |
| erzähle“. | |
| Die Schmierereien wurden weitgehend mit Lackentferner beseitigt. „Wir | |
| hatten ein normales Leben“ ist noch bis Mittwoch, dem Buß- und Bettag, in | |
| Neukölln zu besichtigen. Von April an geht sie, in einer aktualisierten | |
| Version, für ein halbes Jahr nach Potsdam. Dort wird sie dann bei der | |
| Landeszentrale für politische Bildung gezeigt – in geschlossenen Räumen. | |
| 13 Nov 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Meisner | |
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