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# taz.de -- Ukraine-Flüchtlinge in Berlin: Ihre Ankunft verzögert sich
> Vom früheren Flughafen Tegel aus sollen Flüchtende gleichmäßiger auf die
> Bundesländer verteilt werden. Doch viele wollen erst mal in Berlin
> bleiben.
Bild: Und jetzt? Das Ankunftszentrum für Geflüchtete aus der Ukraine am ehema…
Berlin taz | Am Ankunftszentrum Tegel ist schon morgens klar, dass es für
die Flüchtlinge an diesem Tag nach Hessen gehen wird. „Die Busse heute
fahren alle nach Gießen“, sagt Sascha Langenbach, Sprecher des Berliner
Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), das Registrierung und
Umverteilung dort organisiert. „Doch wie viele von denen, die heute hier
vorsprechen, sich dann auch tatsächlich in einen Bus setzen, steht in den
Sternen.“
Tatsächlich wäre Gießen für diejenigen, die sich für den Platz im Bus
entscheiden, nur eine weitere Zwischenstation. Dort ist Hessens zentrale
Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge – alle, die dort ankommen, würden von
dort weiter auf Landkreise, Städte und Kommunen des Bundeslands verteilt –
und am Zielort dann registriert. Für die Flüchtenden ist es also eine Fahrt
ins Ungewisse. „Wenn wir ihnen sagen, ihr kommt nach Hessen, dann sagen
viele: Wir überlegen noch mal, wir warten ab“, sagt Langenbach.
Die Menschen würden lieber übergangsweise bei Freunden oder Verwandten
unterkommen. „Vielen fehlt die Vorstellung, was es bedeutet, in Deutschland
auf dem Land zu leben, und dass Dörfer in Deutschland vielleicht anders
sind als Dörfer in der Ukraine. Das merken wir immer wieder in den
Gesprächen“, sagt er.
Langenbach würde es begrüßen, wenn sich mehr Menschen für eine Weiterreise
entscheiden würden. „Es ist gerade unser größtes Problem, dass alle in
Berlin bleiben wollen“, sagt er. Doch das sei unrealistisch. Nicht zuletzt
fehle es in der Hauptstadt an Wohnraum. In Gegenden wie dem Sauerland oder
in kleineren Städtchen wie Eckernförde oder Marburg wäre es für die
Menschen wohl einfacher, dauerhaft Fuß zu fassen, meint er. „Dort gibt es
Wohnungen, Schulplätze und Jobs.“
## Städte und Gemeinden beklagen „unregulierten“ Zuzug
Doch rein rechtlich müssen sich Flüchtlinge aus der Ukraine derzeit weder
registrieren noch umverteilen lassen – für 90 Tage können sie sich ohne
Visum in Deutschland frei bewegen. Einige hoffen wohl auch auf eine
schnelle Rückkehr in die Ukraine. Bei den Sozialämtern können sie auch so
schon Leistungen bekommen. Und wer einen Mietvertrag für sechs Monate oder
eine Anmeldung in einer Wohnung in Berlin vorweisen kann, kann über ein
neues Aufenthaltsverfahren dauerhaft dort bleiben. Daher ist es derzeit
völlig unklar, wie viele Menschen wo leben und an welchen Orten sie
letztlich länger bleiben werden.
In den Städten und Gemeinden sehen sich die Verwaltungen mit einem
teilweise „unregulierten, dynamischen Zuzug“ konfrontiert. Beim deutschen
Städtetag drängten Vertreter*innen am Mittwoch daher auf eine
schnellere Registrierung der Flüchtlinge – für die es allerdings keine
rechtliche Grundlage gibt. Größere Städte kämen bereits an den Rand ihrer
Kapazitäten, während kleine Orte noch Plätze hätten, sagte Markus Lewe,
Oberbürgermeister von Münster und Präsident des Städtetags.
Auch der Landkreistag kritisierte, die Verteilung laufe noch nicht rund. So
hatten sich Ehrenamtliche in Greiz vor etwa einer Woche auf die Ankunft von
50 Flüchtlingen vorbereitet – aber der erwartete Bus kam nicht an, im
fränkischen Diepersdorf wollten einige Flüchtlinge nicht aus dem Bus
aussteigen. In Kiel dagegen seien mit 2.000 Flüchtlingen bereits doppelt so
viele angekommen, wie die Stadt nach Königsteiner Schlüssel aufnehmen
müsste. Man hoffe auf Lösungen bei einem Treffen von Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) mit den kommunalen Spitzenverbänden am Freitag. Notwendig sei
außerdem ein Flüchtlingsgipfel mit Bund, Ländern und Kommunen.
Aktuell kommen mit täglich etwa 3.000 Menschen deutlich weniger Flüchtlinge
in Berlin an als Anfang März, wo es teils 10.000 pro Tag waren. [1][In
Tegel steht mit dem Ankunftszentrum nun seit gut zehn Tagen die Struktur
bereit, um sie weiterzuverteilen]. Der Flughafen dort wurde im November
2020 geschlossen, auf dem Gelände soll Industrie angesiedelt werden, es
sollen Wohnungen, Arbeitsplätze und ein Hochschulcampus entstehen.
Zwischendurch hatte die Stadt hier ein Impfzentrum eingerichtet.
Nun stehen [2][außerdem große, weiße Zelte auf dem ehemaligen Rollfeld. In
einem Zelt werden diejenigen, die in Berlin bleiben können, vollständig
registriert] – inklusive erkennungsdienstlicher Erfassung durch die
Bundespolizei. In einem zweiten Zelt nehmen Mitarbeiter*innen die
Namen und Geburtsdaten derer auf, die weiterreisen. In den früheren Gates
haben Messebauer*innen Schlafkabinen mit Doppelstockbetten für 2.600
Menschen eingerichtet.
Außerdem stehen weitere große Zelte des Katastrophenschutzes mit nochmals
900 Betten als Reserve bereit. So sollen nun alle, die am Hauptbahnhof in
Berlin ankommen und nicht direkt weiterreisen, das Ankunftszentrum
durchlaufen. Dort bleiben sie in der Regel eine Nacht – in Ausnahmefällen
auch länger, etwa, um auf Familienangehörige zu warten.
Der Projektleiter Detlef Cwojdzinski ist zufrieden. „Wir müssen bei den
Abläufen noch etwas nachbessern, weil es unten in den Zelten teils eng
wird, wenn die Daten von Familien aufgenommen werden. Da werden wir nun
mehr Platz schaffen“, sagt er. Derzeit sei die Zahl der Flüchtlinge etwas
zurückgegangen. Doch das Ankunftszentrum sei auf 10.000 Menschen am Tag
ausgelegt und damit gut vorbereitet, falls in den kommenden Tagen oder
Wochen wieder deutlich mehr Menschen in Berlin ankommen sollten. So soll
die Hauptstadt auf Dauer entlastet werden. Nach Wochen des Reagierens sei
man nun „vor der Welle“, heißt es auch aus Berlins Sozialverwaltung.
Doch zum Ankommen braucht es mehr als diese großen Strukturen, meint
Christina Staiger. Sie engagiert sich ehrenamtlich am Zentralen
Omnibusbahnhof Berlin in Berlin (ZOB), wo eine Gruppe von Freiwilligen seit
Kriegsbeginn die ankommenden Menschen mit Informationen, heißen Getränken,
Essen, Hygieneprodukten und Tierfutter versorgt. „Ich finde, das könnte
alles etwas menschlicher sein“, sagt sie, Tegel sei zu unpersönlich. Sie
selbst hat schon dreimal Flüchtlinge aus der Ukraine bei sich zu Hause
aufgenommen, jeweils für ein paar Tage. „Die Menschen waren einfach froh,
mal zu duschen und sich auszuschlafen“, sagt sie.
Der Kontakt lief jeweils über die Freiwilligen vom ZOB: Mehrere Wochen lang
hatte die Gruppe auch [3][Flüchtlinge an private Unterkünfte vermittelt].
Dazu gehörte ein Fahrdienst, außerdem fotografierten sie die Ausweise der
Gastgeber*innen, um den Überblick zu behalten. Die Flüchtlinge bekamen eine
Telefonnummer, unter der sie sich bei Problemen melden konnten. Diese
Vermittlung hatte der Senat aber mit Hinweis auf Datenschutzbedenken am
vergangenen Wochenende gestoppt. Die vom Senat unterstützte Vermittlung
klappt bisher gar nicht: So hatten mehrere Berliner
Freiwilligenorganisationen ebenfalls am Wochenende in einem offenen Brief
kritisiert, dass an die unter [4][ukraine-unterkunft.de] gesammelten
privaten Angebote bisher niemand vermittelt werde.
Dass der Senat die private Vermittlung gestoppt hat, macht Staiger wütend.
„Das war eine super wichtige Hilfe für die Flüchtenden“, sagt sie. „Die
Erste, die ich bei mir aufgenommen hatte, war eine 33-Jährige, sie war mit
ihren 4- und 6-jährigen Kindern und ihrer Mutter nach Berlin geflohen. Sie
wollte einen Tag bleiben, duschen und mal ausschlafen, und dann weiter nach
München“, erzählt Staiger. München: Das hätte ihr Mann ihr gesagt, der zu
Kriegsbeginn in Russland war. „Am nächsten Morgen habe ich mal vorsichtig
gefragt, warum sie dorthin wollte. Sie hatten gar keine Vorstellung von der
Stadt.“
## Keine Zeit für Beratung
Staiger erzählte ihr dann, dass München teuer sei und es schwer werden
könnte, eine Wohnung zu finden. „Wir haben angefangen, uns andere Orte in
Bayern anzusehen, ich habe ihr im Internet Bilder von Nürnberg gezeigt. Und
wir haben überlegt, wo und wie sie arbeiten könnten.“ Das habe der Frau
geholfen, sich darüber klar zu werden, wohin sie gehen will. „Sie hat das
dann mit ihrem Mann am Telefon besprochen“, sagt Staiger. Am Ende blieb die
Frau mehrere Tage. Und reiste dann nach Nürnberg weiter. „Jetzt ist ihr
Mann auch da, sie haben eine langfristige Wohnung und ich habe ein Foto von
ihnen bekommen, auf dem sie alle zusammen glücklich in ihrem neuen Garten
sitzen“, sagt Staiger.
Auch Stefanie Galla kritisiert das Ende der privaten
Unterkunftsvermittlung. „Der Senat sollte die Kompetenzen der
Gastgeber*innen nutzen“, sagt sie. Weil sie Tipps geben und bei der
Entscheidung helfen können, in welche Stadt es geht. „Alle, mit denen ich
Kontakt hatte, wollten vor allem eine Infrastruktur mit Schule, Job und
Wohnen. Es war ihnen eigentlich egal, wo sie hinkommen“, sagt Galla. „Wer
in Tegel untergebracht wird und von einer großen Einrichtung in die andere
kommt, kann kaum belastbare Kontakte knüpfen. Die unterstützen aber und
helfen beim Ankommen“, sagt sie.
In dem Zelt auf dem ehemaligen Rollfeld in Tegel, wo die
Mitarbeiter*innen erste Daten aufnehmen, ist tatsächlich keine Zeit
für lange Gespräche über Gießen oder Greiz. Und so werden auch an diesem
Tag Busse aus Berlin abfahren, in denen noch Plätze frei sind.
31 Mar 2022
## LINKS
[1] /Neues-Ankunftszentrum-fuer-Gefluechtete/!5841030
[2] /Ankunft-von-Ukrainern-in-Berlin/!5840156
[3] /Unterkunftssuche-fuer-Gefluechtete-am-ZOB/!5842913
[4] https://ukraine-unterkunft.de/
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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