# taz.de -- Ukraine-Flüchtlinge in Berlin: Gehörlose fordern Bleiberecht | |
> 180 gehörlose Geflüchtete sollen nach Köln, doch sie wollen bleiben. Nur | |
> Berlin biete ihnen Perspektiven – zudem habe es Franziska Giffey | |
> versprochen. | |
Bild: Warten auf das „Taschengeld“: Gruppe von gehörlosen Ukrainer*innen v… | |
BERLIN taz | Eigentlich steht die Linkspartei für einen humanitären Umgang | |
mit Flüchtlingen, gilt als Anwältin der sozial Schwachen und | |
Benachteiligten. Doch nun steht ausgerechnet die linke Sozialsenatorin | |
Katja Kipping in der Kritik: Grund ist eine Gruppe von Gehörlosen aus der | |
Ukraine, die aus Berlin wegverteilt werden soll. „Die Senatorin will | |
ausgerechnet an dieser Gruppe in besonderer Weise auf Schutz und Hilfe | |
angewiesener Geflüchteter ein Exempel statuieren, weil Berlin ja so | |
überlastet ist und Flüchtlinge abgeben muss“, sagt Georg Classen vom | |
Flüchtlingsrat. „Kippings Vorgehen zeugt von großer menschlicher und | |
sozialer Inkompetenz.“ | |
Konkret geht es um rund 180 Menschen, die Ende Februar nach Berlin geflohen | |
sind. Nach Auskunft von Clara Belz, Flüchtlingsbeauftragte des | |
Gehörlosenverbands Berlin, der sich um die Menschen kümmert, kommen die | |
meisten aus Kiew oder Dörfern ringsum, wo sie in eigenen Wohnungen gelebt | |
haben. „Es sind traumatisierte und chronisch Kranke darunter“, schrieb sie | |
der taz – das Interview mit der Gehörlosen wurde in Schriftform geführt. | |
Zunächst wurde die Gruppe vom Landesflüchtlingsamt (LAF) im Hotel Allegra | |
und dem Jugendgästehaus der Stadtmission in Mitte untergebracht. Für die | |
Kinder gibt es laut Belz bereits Zusagen für die Gehörlosenschule im | |
Westend, einige Erwachsene hätten Arbeitsplätze in Aussicht, unter anderem | |
an dieser Schule. Dessen ungeachtet wurde der Gruppe Ende März vom | |
Mitarbeitenden des LAF eröffnet, dass sie nicht in Berlin bleiben, sondern | |
nach Köln weiterreisen sollten. Auch dort gebe es Gehörlosen-Kitas und | |
-Schulen, einen Verband, der sich kümmern würde, kurz: „Eine schnelle | |
Einbindung in die Gehörlosen-Community“ sei möglich, so Kippings Sprecher | |
Stefan Strauss zur taz. | |
Die Gruppe sei damit völlig überfahren worden, stellt Belz die Sache dar. | |
Das LAF sei sehr kurzfristig und ohne eigenen Gebärdendolmetscher gekommen, | |
die Helfer*innen vom Verband hätten übersetzen müssen. „Das hat den | |
Leuten Angst gemacht.“ Es sei nur von einem Hotel in Köln die Rede gewesen, | |
und es habe keine Zusage gegeben, dass man dort zusammenbleiben könne. | |
## Zusagen aus der Politik | |
Unverständnis herrschte wohl auch, weil es laut Belz die Zusage der | |
Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gab, dass die Gruppe in | |
Berlin bleiben könne. Tatsächlich liegt der taz eine Mail des | |
SPD-Abgeordneten Lars Düsterhoff an Belz vom 22. März vor, laut der er und | |
Giffey der Meinung sind, dass die Menschen „natürlich in Berlin bleiben | |
müssen“, weil es hier „die deutschlandweit besten Strukturen“ gebe. Dazu | |
gebe es auch schon Absprachen mit LAF und Sozialverwaltung. | |
Aus all diesen Gründen weigerte sich am 1. April ein Großteil der Gruppe, | |
zu gehen, nur 18 Personen fuhren nach Köln. Das Hotel in Mitte musste die | |
Gruppe am 4. April verlassen, der Senat hatte alle für Geflüchtete | |
angemieteten Hostels und Hotels gekündigt. Rund 80 Gehörlose kamen ins | |
Containerdorf nach Buch, der Rest kam laut Flüchtlingsrat privat unter, | |
teilweise auch in Potsdam. | |
Classen wirft der Politik vor, die Gruppe mit Druck dazu bringen zu wollen, | |
das Kölner „Angebot“ anzunehmen. So habe man Personen der Gruppe vorige | |
Woche auf Druck des LAF beim Sozialamt Pankow die Auszahlung des | |
Taschengelds nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verweigert. | |
Diesen Montag kamen erneut rund 40 Personen der Gruppe zum Amt in die | |
Fröbelstraße in Prenzlauer Berg. Fast hätten sie wieder kein Geld bekommen. | |
Auf Drängen der Geflüchteten sowie von Belz und Classen erschien | |
schließlich Sozialstadträtin Cordelia Koch (Grüne) und verkündete, „ab | |
morgen“ finde eine einmalige Auszahlung statt – aus Lottomitteln. „Die in | |
besonderem Maße vulnerable Gruppe von gehörlosen Geflüchteten darf nicht im | |
Behördendschungel zerrieben werden“, sagte Koch der taz. | |
## Unterricht in Muttersprache | |
Wie geht es nun weiter? Die Gehörlosen wollen als Gruppe hier bleiben. Laut | |
Belz haben sie bereits Kontakte in die hiesige Community geknüpft, zudem | |
gebe es nur hier bestimmte Fördermöglichkeiten: „Das Besondere an der | |
Berliner Schule ist, dass die Kinder zunächst in ihrer Muttersprache | |
(russische Gebärdensprache) unterrichtet werden können, um dann den | |
sauberen Übergang zur deutschen Sprache zu ermöglichen“, erklärt sie. Wegen | |
der russischen Gebärdensprache, die niemand sonst hier spreche, sei man als | |
Gruppe zudem aufeinander angewiesen. | |
Kippings Sprecher wiederum verweist auf die begrenzten Möglichkeiten | |
Berlins, eine so große Gruppe mit speziellen Bedürfnissen adäquat | |
unterzubringen. „Um eine bestmögliche und auch finanzierte Inklusion über | |
die nächsten Jahre für diese Menschen zu ermöglichen, ist die Beteiligung | |
verschiedener Bundesländer bei der Aufnahme von Menschen mit Behinderungen | |
notwendig.“ [1][Den Vorwurf, „es handele sich dabei um eine Abschiebung] | |
oder gar eine Deportation, weisen wir auf das Schärfste zurück“. | |
Auch Kipping hatte zuletzt wiederholt erklärt, sie wolle ein transparentes | |
Vorgehen und keine Politik nach „Gutsherrenart“ – dass also der bleiben | |
dürfe, der Politiker*innen kenne oder seine „Partikularinteressen“ | |
durchzusetzen verstehe. Welche Regeln aktuell für eine Zuweisung nach | |
Berlin gelten, [2][hat der Senat vorige Woche beschlossen]: Danach dürfen | |
Ukraine-Flüchtlinge hier bleiben, wenn sie eine Zusage für eine Wohnung | |
(für mindestens 6 Monate), eine Arbeit oder Verwandte in der Stadt haben. | |
Laut Classen wurde den Gehörlosen davon nichts gesagt. „Es gab keine | |
Informationen, man wollte sie einfach nur weg haben.“ Einige hätten hier | |
Verwandte, Arbeits- oder Wohnungsangebote. | |
Dass es in dem Fall mindestens bei der Kommunikation gehapert hat, weiß man | |
wohl auch in der Sozialverwaltung. Am Mittwoch, so Kippings Sprecher, gebe | |
es eine Informationsveranstaltung für die Gruppe: mit einem „neutralen“ | |
Gebärdensprachdolmetscher. | |
11 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Giffey-und-Kipping-wehren-sich/!5843312 | |
[2] https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2022/pressemitte… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
Julian Csép | |
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