# taz.de -- Streit um EU-Flüchtlingspolitik: Grüne zoffen sich über Asylrefo… | |
> Bei den Grünen geht die Debatte über die Reform des Asylsystems weiter. | |
> Die Sitzung im Länderrat am Samstag könnte hitzig werden. | |
Bild: Nach dem Brand in einem Geflüchtetenlager im griechischen Moria 2020 zie… | |
BERLIN taz | Die Grünen haben die Kunst geräuscharmer interner | |
Konfliktbewältigung perfektioniert. Der Streit zwischen den Flügeln gehört | |
schon lange zur Parteihistorie. Annalena Baerbock und Robert Habeck, die | |
von 2018 bis 2022 die Partei führten, haben alte, tief eingefräste | |
Konfliktlinien entschlossen zugeschüttet. Doch durch das Ja zum | |
EU-Asylkompromiss scheint es mit dem Image der stets geschlossen | |
auftretenden Partei nun vorbei zu sein. | |
Parteichefin Ricarda Lang, die ihre ablehnende Haltung zum Asyldeal schon | |
vergangene Woche kundtat, schlägt am Montag in Berlin einen um Ruhe | |
bemühten Ton an. [1][Der Asylkompromiss wäre] „ohne Deutschland schlechter | |
ausgefallen“, sagt Lang, die zum linken Flügel zählt. Andererseits führe | |
der Kompromiss „nicht zu geordneten Verfahren an den Außengrenzen“. | |
Das gemeinsame Europäische Asylsystem, auf das sich der EU-Innenrat | |
geeinigt hat, könnte in der Zukunft bedeuten, dass ein Großteil der | |
Geflüchteten an der EU-Außengrenze in sogenannte Grenzverfahren geraten. | |
Dabei prüfen die Länder, ob ein Asylantrag als „unzulässig“ abgelehnt | |
werden kann, etwa weil die Person zuvor einen „sicheren Drittstaat“ | |
passiert hat. | |
Eine inhaltliche [2][Prüfung der Asylanträge findet] in der Regel nicht | |
statt. So würden auch Geflüchtete aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote | |
sofort im Grenzverfahren landen und abgelehnt werden. Bis zu drei Monate | |
dauert das Verfahren, welche die Betroffenen meist in Haft verbringen. Mit | |
der neuen Reglung könnten Staaten leichter als sichere Drittstaaten | |
eingestuft werden. Auch Familien mit Kindern sollen nicht mehr von | |
Grenzverfahren ausgenommen sein. | |
## Keine Verbesserung für Geflüchtete | |
Schon am Donnerstag gestand Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock: „Wenn | |
wir die Reform als Bundesregierung alleine hätten beschließen können, dann | |
sähe sie anders aus.“ Insgesamt spricht sie sich aber für die Reform aus: | |
„Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die | |
Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird.“ | |
Aus den Reihen der Grünen hagelt es Kritik: Mit den Regelungen könne man | |
die Haupttransitländer Türkei, Maghreb oder Westlibyen als sichere | |
Drittstaaten einstufen „und somit einen Großteil der Geflüchteten in | |
Grenzverfahren nehmen und ablehnen“, kritisiert Erik Marquardt auf | |
[3][Twitter]. Für Geflüchtete habe das schlimme Konsequenzen, analysiert | |
der Grüne EU-Abgeordnete: „Die Idee, dass die Einigung ‚irreguläre | |
Migration reduziert‘ ist sehr abwegig, es gibt nur weniger Rechte für | |
Geflüchtete, gefährlichere Routen, mehr Leid und mehr Chaos, wenn sich das | |
durchsetzt.“ | |
Am Samstag trifft sich der Länderrat der Grünen, eine Art kleiner Parteitag | |
im hessischen Bad Vilbel. Dafür kündigte die Parteispitze einen Leitantrag | |
an, der eigentlich am Montag veröffentlicht werden sollte. Dass Lang den | |
bei ihrer Pressekonferenz aber nicht präsentierte, ist ein Indiz dafür, wie | |
schwierig es ist, alle zufriedenzustellen. | |
Das Treffen sollte eigentlich der Unterstützung der Grünen in Hessen | |
dienen. Dort wird im Herbst gewählt. Doch nach dem Ja von Baerbock und | |
Parteichef Omid Nouripour [4][zu dem EU-Asylkompromiss ist] die große | |
Harmonieshow abgeblasen. Viele gehen davon aus, dass es am Samstag knallen | |
wird. Vor allem Parteilinke wollen, dass sich die Grünen auf keinen Fall | |
Baerbocks Regierungslogik unterordnen. Sie zielen auf eine entschiedene | |
Verschärfung des Antrags „Für eine moderne und menschenrechtsorientierte | |
Migrationspolitik in Deutschland und der Europäischen Union“. | |
## Unruhe gibt es auch in der SPD | |
Die Kritiker des EU-Asylkompromisses wollen eine andere Tonart – nicht bloß | |
sanfte Kritik an den menschenrechtlich [5][fragwürdigen Asyllagern, die] | |
manche als haftähnlich bezeichnen, sondern ein klares Nein. Das würde die | |
maximale Konfrontation bedeuten – mit dem Risiko, dass die Ampel scheitert. | |
Denn diese Regelung hat SPD-Innenministerin Nancy Faeser gerade als | |
historisch bezeichnet und die grüne Außenministerin als unvermeidlich | |
verteidigt. | |
Falls im Länderrat nur milde Mahnungen formuliert werden, sieht | |
EU-Parlamentarier Rasmus Andresen ein neues Szenario am Horizont. Es gebe | |
Stimmen, „die eine Sonder-BDK“ fordern, so der grüne Parlamentarier. Ein | |
Sonderparteitag würde bedeuten: Die Grünen würden sich wochen-, wenn nicht | |
monatelang öffentlich über den Asyldeal streiten. Davon hält Grünen-Chefin | |
Lang nichts: „Der Ort für die Debatte ist der Länderrat“, sagt sie. | |
Auch in der SPD schlägt der Asyldeal Wellen. Andrea Ypsilanti, einst | |
Vorsitzende in Hessen und Beinahe-Ministerpräsidentin, verkündet am Montag | |
deshalb ihren Austritt aus der Partei. Ihrer bisherigen Parteikollegin und | |
Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die den Deal mitverhandelte, hatte sie | |
zuvor auf Twitter geschrieben: „Nicht dein Ernst.“ | |
Ypsilanti hat auf [6][Twitter] ihre Auftrittsgründe veröffentlicht. Sie | |
schreibt, der Asylkompromiss habe sie „sprachlos und ohnmächtig“ | |
zurückgelassen. „Dieser Beschluss wird noch mehr und noch schlimmeres Elend | |
zur Folge haben, und er wird von jenen bejubelt werden, gegen die zu | |
kämpfen die Sozialdemokratie angetreten ist“, schreibt sie. | |
12 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Deutsche-Debatte-um-EU-Asylreform/!5939769 | |
[2] /Migration-als-Erpressungspotenzial/!5937499 | |
[3] https://twitter.com/ErikMarquardt/status/1667059223388209152 | |
[4] /Aenderung-des-EU-Asylrechts/!5937362 | |
[5] /Gruene-zur-EU-Asylreform/!5939707 | |
[6] https://twitter.com/YpsilantiAndrea/status/1668252821890773002/photo/1 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Alexandra Hilpert | |
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