| # taz.de -- Stolpersteine für Schwarze NS-Opfer: Lücken füllen | |
| > In Berlin wurden Stolpersteine für zwei Schwarze Deutsche verlegt. Damit | |
| > wird eine Opfergruppe gewürdigt, die sonst kaum Aufmerksamkeit bekommt. | |
| Bild: In Gedenken: Stolperstein für Ferdinand James Allen in der Berliner Tors… | |
| Berlin taz | Ein sonniger Sonntag im Berliner Scheunenviertel: | |
| Tourist:innen mit Rollkoffern streiten vor Edelboutiquen, Teenager | |
| fahren mit E-Rollern. In der Max-Beer-Straße 24 ist es eher ruhig, obwohl | |
| sie in der Shopping-Gegend zwischen der Weinmeisterstraße und dem | |
| Rosenthaler Platz liegt. | |
| Vor der Kita an dieser Adresse hat sich eine Menschentraube gebildet. | |
| Während manche Sound-Equipment aufbauen, plaudern andere. Mittig vor dem | |
| Eingang mit der Hausnummer 24 stehen mehrere Eimer, gefüllt mit Werkzeugen | |
| und Sand. Und etwas, das von Weitem wie ein vergoldeter Pflasterstein | |
| aussieht. | |
| An diesem 29. August wird Martha Ndumbe und Ferdinand James Allen jeweils | |
| ein Denkmal gesetzt. Dort, wo die beiden Berliner:innen wohnten, werden | |
| zwei Stolpersteine verlegt. Ndumbe und Allen sind von den | |
| Nationalsozialisten ermordet worden. Sie gehören einer Gruppe von NS-Opfern | |
| an, die bisher in der Erinnerungskultur kaum Aufmerksamkeit erhalten hat: | |
| Schwarze Deutsche. | |
| ## Mnyaka Sururu Mboro hält Schweigeminute ab | |
| In Deutschland und Europa gibt es inzwischen über 75.000 Stolpersteine, die | |
| an Opfer der Nazis erinnern. Die Plaketten werden dort in den Gehweg | |
| eingelassen, wo Ermordete vor ihrer Deportation gelebt haben. Wenn man | |
| durch europäische Städte läuft, “stolpert“ man zufällig über sie, und … | |
| auch über die Schicksale der Opfer des Nationalsozialismus. Deshalb wird | |
| das Projekt des Künstlers Gunter Demnig auch das größte dezentrale Mahnmal | |
| der Welt genannt. | |
| Bis zu diesem Tag gab es in Deutschland nur zwei Stolpersteine für Schwarze | |
| Deutsche: Einen in Frankfurt am Main für Hagar Martin Brown und einen in | |
| Berlin für Mohamed Husen. Dabei haben schätzungsweise 250 bis 500 Schwarze | |
| Menschen allein in Berlin gelebt, als die NSDAP gewählt wurde. Viele von | |
| ihnen sind der Politik der Nazis und den Rassengesetzen zum Opfer gefallen. | |
| “In den 30er Jahren verschlechterte sich die soziale und wirtschaftliche | |
| Situation für die meisten Schwarzen Deutschen rapide“, sagt [1][Robbie | |
| Aitken], britischer Historiker und Experte für die Geschichte Schwarzer | |
| Menschen in Deutschland. Er hat angestoßen, dass an Ndumbe und Allen | |
| erinnert wird. Die Vereine Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt, | |
| Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin und der | |
| Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin haben die Stolpersteinverlegung | |
| organisiert. Aitken erzählt heute aus den Leben von Ndumbe und Allen. | |
| Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial e.V. hält eine Schweigeminute | |
| ab. | |
| ## Marthas Leben ist lückenhaft | |
| Martha Ndumbe wird 1902 als die Tochter eines Kameruners und einer | |
| Hamburgerin geboren. Ihr Vater Jacob Ndumbe wurde bei der ersten | |
| Kolonialausstellung in Berlin 1896 zur Schau gestellt. Er entschied danach | |
| zu bleiben. | |
| Seine Tochter Martha findet als Erwachsene keine Arbeit. Sie hält sich mit | |
| Prostitution und Kleinkriminalität über Wasser. 1943 zieht sie in die | |
| Dragonerstraße, die heutige Max-Beer-Straße. 1944 wird Ndumbe als “asoziale | |
| Berufsverbrecherin“ ins KZ Ravensbrück deportiert. 1945 wird sie dort im | |
| Alter von 42 Jahren ermordet. | |
| Marthas Leben ist lückenhaft. Die wenigen bekannten Informationen stammen | |
| aus diskriminierenden Polizeiakten. “Es ist sehr schwierig, Marthas eigene | |
| Stimme zu hören“, sagt Aitken. “Trotzdem ist es wichtig, Marthas | |
| Lebensgeschichte zu rekonstruieren um die Geschichte Schwarzer Menschen in | |
| der NS-Zeit sichtbar zu machen.“ | |
| Von der Max-Beer-Straße 24 ist nur ein 15-minütiger Fußweg bis zur | |
| Torstraße 176-178, der letzten Adresse von Ferdinand James Allen. Heute | |
| steht hier ein 1960er-Bau mit grauem Putz. Daneben ist ein Sushi-Lokal. Bei | |
| der Stolpersteinverlegung lugen Anwohner:innen hinter ihren Gardinen | |
| hervor. Es beginnt zu regnen. | |
| ## Pluralisierung der Erinnerungskultur | |
| Aitken erzählt von Ferdinand Allen: Geboren wird Allen 1898 in Berlin. Sein | |
| Vater ist Musiker aus Liverpool mit karibischen Wurzeln. Nach einem | |
| epileptischen Anfall wird Allen mit 22 Jahren in eine Heilanstalt | |
| zwangseingeliefert. Dort bleibt er 20 Jahre. | |
| Im Januar 1935 wird Allen aufgrund des neuen „Gesetzes zur Verhütung | |
| erbkranken Nachwuchses“ im Krankenhaus Neukölln zwangssterilisiert. 1941 | |
| liefert man ihn in die Euthanasieanstalt Bernburg ein. Noch am selben Tag | |
| wird Allen unter der “Aktion T4“, bei der mehr als 70.000 Menschen mit | |
| Behinderung von den Nazis vernichtet wurden, ermordet. | |
| “Bis heute ist Rassismus fester Bestandteil der Lebensrealität Schwarzer | |
| Menschen in Deutschland“, sagt Anab Awale von der Initiative Schwarze | |
| Menschen in Deutschland. “Der heutige Tag zeigt, wie eine | |
| [2][Pluralisierung der Erinnerungskultur] gelingen kann, ohne dabei die | |
| Singularität des Holocaust zu relativieren.“ | |
| Die Band Sauti é Haala spielt ein senegalesisches Lied, Gunter Demnig | |
| bringt Allens Stolperstein in den Boden ein, füllt die Fugen mit Erde und | |
| Spachtelmasse und poliert den fertigen Stein. Die Anwesenden legen bunte | |
| Dahlien und Rosen auf den Stolperstein und klatschen im Rhythmus. | |
| Sängerin Zaida Horstmann rezitiert “grenzenlos und unverschämt“ von der | |
| afrodeutschen Dichterin May Ayim: “ich werde trotzdem afrikanisch sein auch | |
| wenn ihr mich gerne deutsch haben wollt / und werde trotzdem deutsch sein | |
| auch wenn euch meine schwärze nicht paßt / ich werde noch einen schritt | |
| weitergehen bis an den äußersten rand / wo meine schwestern sind wo meine | |
| brüder stehen / wo unsere FREIHEIT beginnt.“ | |
| 30 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Emeli Glaser | |
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