| # taz.de -- Regisseur Moll über „Die Verschwundene“: „Sie kannten diese … | |
| > Dominik Moll spricht über die Arbeit mit Internetbetrügern im Thriller | |
| > „Die Verschwundene“. Sein Film hat eine vertrackte Erzählstruktur. | |
| Bild: Évelyne (Valeria Bruni Tedeschi) und Marion (Nadia Tereszkiewicz) | |
| In Frankreich ist Dominik Moll ein etablierter Regisseur, dessen Filme auf | |
| den großen internationalen Festivals wie Cannes und Venedig laufen und | |
| zahlreiche Preise erhielten. In Deutschland dagegen kennen den 59-jährigen | |
| gebürtigen Bühler nur wenige. Nun startet mit der Bestselleradaption „Die | |
| Verschwundene“ sein neuestes Werk, ein Film Noir in der verschneiten | |
| Einsamkeit des französischen Zentralmassivs. | |
| taz: Herr Moll, für „Die Verschwundene“ haben Sie den Thriller „Nur die | |
| Tiere“ von Colin Niel adaptiert. Was hat Sie an dem Roman interessiert? | |
| Dominik Moll: Als ich das Buch las, fand ich die Mystery-Handlung spannend, | |
| aber fast noch mehr begeisterte mich die Struktur. Es ist in fünf Teile | |
| gegliedert, jeder aus der Perspektive einer anderen Figur erzählt. Mit | |
| jedem Kapitel bekommt man so neue Hinweise darauf, was passiert sein | |
| könnte. Das habe ich für den Film übernommen, auch wenn ich es weniger | |
| subjektiv inszeniere und die Figuren mehr von außen betrachte. Mir gefielen | |
| diese fünf Personen, von denen jede ihre Geheimnisse und Motive hat und | |
| nach ihrer Idealvorstellung von Glück strebt, von der großen Liebe oder | |
| Geld träumt, und sich dabei auf merkwürdige oder ungeschickte Weise immer | |
| mehr verstrickt. | |
| Der Film spielt in einem filmisch wenig bekannten Teil Frankreichs … | |
| Das Dorf liegt in den Cevennen, eine Bergregion des Zentralmassivs, die | |
| ich ein bisschen kannte, vor allem das Plateau des Causse. Ich hatte schon | |
| öfter den Gedanken, dort einmal zu drehen, weil die kargen, schroffen | |
| Landschaften wirklich spektakulär sind. Und mir gefiel der Kontrast | |
| zwischen zwei Atmosphären, zwischen dieser winterlich-abgeschiedenen Welt | |
| zu dem anderen Handlungsort des Films, der lärmig-bunten Großstadt Abidjan | |
| an der Elfenbeinküste. Im Roman wird die afrikanische Großstadt nie beim | |
| Namen genannt, aber Abidjan lag auf der Hand, weil es diese Art von | |
| Internetbetrügereien, um die es in der Geschichte geht, im | |
| französischsprachigen Teil Afrikas vor allem dort gibt. | |
| Wie herausfordernd war es, in diesen Regionen zu drehen? | |
| In Frankreich machten wir uns vor allem Sorgen um den Schneesturm, den wir | |
| für die Handlung brauchten, aber wir hatten großes Glück, dass es im | |
| richtigen Moment schneite. Afrika kannte ich nicht und war sehr darauf | |
| bedacht, in keine Klischees zu verfallen, es auf keinen Fall irgendwie | |
| folkloristisch darzustellen. Ich habe viel recherchiert und stieß auf den | |
| Dokumentarfilm eines jungen Filmemachers aus Abidjan über dieses Milieu. | |
| Ich habe ihn dann kontaktiert und hatte das große Glück, dass er mich in | |
| diese Welt eingeführt und Leuten vorgestellt hat, die ihren Lebensunterhalt | |
| mit Internetbetrügereien verdienen. In dem Umfeld haben wir dann auch die | |
| Darsteller gesucht, die alle keine professionellen Schauspieler sind und | |
| zuvor noch nie vor der Kamera gestanden haben. Aber sie kannten diese Welt | |
| und die Situationen, wir filmten sie quasi bei ihrer alltäglichen Arbeit. | |
| Wie verhindert man da Klischees? | |
| Mir war sehr wichtig, dass wir da nicht unsensibel hineintrampeln und | |
| diesen Menschen unseren Blick aufzwingen, sondern durch unseren Kollegen | |
| vor Ort eingeführt wurden und so Vertrauen aufbauen konnten. Ich wollte, so | |
| gut es geht, eingegliedert sein, habe deshalb auch die Filmcrew mit Leuten | |
| aus Abidjan besetzt. Wir haben viel mit Einheimischen gesprochen über die | |
| Szenen mit dem Voodoo-Priester, dessen Segen Glück beim Geldverdienen | |
| verspricht. Und die jungen Männer versicherten mir, dass sie alle zu ihm | |
| gehen. Dieser Glaube ist sehr verbreitet, und mir war wichtig, dem gerecht | |
| zu werden und diese Rituale authentisch darzustellen. | |
| Die Erzählstruktur ist auch für Sie recht ungewöhnlich … | |
| Stimmt, meine bisherigen Filme seit „Intimité“ und „Harry meint es gut m… | |
| dir“ waren immer chronologisch und mit einer Identifikationsfigur erzählt, | |
| gerade deshalb fand ich die Form hier so interessant, auch weil sie mit | |
| einem Risiko behaftet ist. Der Film beginnt mit einer Figur, als | |
| Zuschauer*in lässt man sich darauf ein und, zack, gibt es einen neuen | |
| Handlungsstrang und einen neuen Protagonisten. Und dann noch mal und noch | |
| mal. Da habe ich mich natürlich schon gefragt, wie ich das Publikum damit | |
| nicht frustriere. Aber ich fand es aufregend, mich dem zu stellen und | |
| etwas Neues zu wagen. | |
| Die Struktur hat etwas Spielerisches, es funktioniert ja eben nicht nach | |
| dem klassischen Wer-war’s?-Prinzip, sondern jongliert verschiedene | |
| Perspektiven, die sich zum Teil überschneiden, und fordert ein aktives | |
| Publikum, das mitdenkt, das sich Fragen stellt und versucht, die | |
| Puzzlestücke zusammenzusetzen. Das sind auch die Art Filme, die mich als | |
| Zuschauer interessieren. | |
| Wie überzeugt man Geldgeber und Filmförderungen von einem solchen Projekt, | |
| zumal Sie die Rollen mit wenig bekannten Namen besetzten, von Valeria Bruni | |
| Tedeschi abgesehen? | |
| Ich kannte die französische Produktionsfirma von anderen Filmen, | |
| „Freiwillig verbannt“ und „Der Jobkiller“ etwa von [1][Laurent Cantet], | |
| bei denen ich als Regieassistent mitgewirkt hatte. Nur bei meinen eigenen | |
| Filmen haben wir zuvor nie zusammengearbeitet. Für den Roman hatten wir uns | |
| unabhängig voneinander interessiert, und als sie sich die Filmrechte | |
| gesichert hatten, haben wir uns getroffen und schnell festgestellt, dass | |
| wir auf einer Wellenlänge sind. | |
| Bei der Förderung gab es dann aber erhebliche Widerstände, von einigen | |
| wurden wir abgelehnt, weil sie nicht daran glaubten, dass die verschiedenen | |
| Perspektiven funktionieren können, und den Teil in Afrika zu ausführlich | |
| und zu lang fanden. Wir mussten uns das Budget dann aus unterschiedlichen | |
| Töpfen zusammenkratzen, es war nicht komfortabel, aber es ging. Und wir | |
| fanden zum Glück mit Razor Film auch einen deutschen Koproduktionspartner, | |
| das war sehr hilfreich. | |
| Sie sind in Brühl geboren, leben aber seit vielen Jahren in Frankreich, | |
| haben dort bislang all Ihre Filme realisiert. Würde es Sie einmal reizen, | |
| einen Film in Deutschland zu inszenieren? | |
| Auf jeden Fall. [2][Ich hatte ja bereits bei der Arte-Serie „Eden“ Regie | |
| geführt], eine deutsch-französische Koproduktion, da habe ich auch zum | |
| ersten Mal Teile in Deutschland und mit deutschsprachigen Schauspielern | |
| gedreht. Ich würde sehr gern mehr hier arbeiten, aber im Moment gibt es | |
| kein konkretes Projekt. | |
| In beiden Ländern gibt es starke Filmfördersysteme, zumindest in | |
| Deutschland sind deren Auswahlkriterien aber immer wieder sehr umstritten. | |
| Haben Sie in Frankreich mehr Freiheiten und Möglichkeiten als Regisseur? | |
| Ich habe schon den Eindruck, dass in Deutschland der Autorenfilm eine | |
| Nische ist, der mit kleinem Budget auskommen muss und oft nicht viele | |
| Zuschauer findet. Die Kluft zum Mainstreamkino, vor allem zu den | |
| Blockbusterkomödien, ist sehr groß. Frankreich hat noch ein gesünderes | |
| Mittelfeld, aber auch da wird es schwieriger, vor allem wenn es über 5 | |
| Millionen Euro sind. Unser Film hat 3,5 Millionen Euro gekostet, das ist | |
| noch im Rahmen. Aber wäre das in Deutschland möglich? Ich bin mir nicht | |
| sicher. | |
| Ihre bisherigen Filme wie „Lemming“ und „Der Mönch“ waren in Frankreich | |
| erfolgreich, wurden hierzulande aber kaum beachtet. Ist das französische | |
| Publikum cinephiler? | |
| Es gibt dort sicherlich eine größere Neugier. Ein Film wie die koreanische | |
| Klassensatire „Parasite“ hatte in Frankreich über 1 Million Zuschauer, | |
| lange vor dem Oscar-Gewinn. Aber wie in Deutschland auch ist es ein | |
| Problem, wenn jede Woche 15 bis 20 Filme starten, für die es nicht genügend | |
| Leinwände und Aufmerksamkeit gibt. Viele haben da gar keine Chance und sind | |
| nach einer Woche wieder weg. | |
| 26 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Abeltshauser | |
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