# taz.de -- Restaurant-Komödie „À la carte“ im Kino: Wo das Ständische v… | |
> „À la carte“ erzählt mit leichter Hand von den Anfängen der Restaurants | |
> im vorrevolutionären Frankreich. Der Film passt zur Pandemiezeit. | |
Bild: Komplimente für den Koch? Manceron (Grégory Gadebois) vor der höfische… | |
Noch haben die [1][Restaurants geöffnet, mit beschränktem Zugang durch 2G] | |
wohlgemerkt. Das Thema „Außer Haus essen“ ist seit der Pandemie für viele | |
ohnehin auf Eis gelegt. Während sich gastronomische Einrichtungen mithin | |
zunehmend auf die Funktion reduzieren, die Produktionsstätte zu sein, von | |
der das [2][beim Fahrradlieferdienst bestellte] Essen herkommt, erinnert | |
eine französische Komödie daran, dass ein Restaurant nicht bloß Anbieter | |
eines bestimmten kulinarischen Sortiments ist, sondern eigentlich auch ein | |
Ort, an dem Begegnungen möglich sind. | |
Der Film „À la carte – Freiheit geht durch den Magen“ des Regisseurs Ér… | |
Besnard erzählt mit einigen historischen Freiheiten aus der Anfangszeit der | |
Restaurants in Frankreich. Man schreibt das Jahr 1789, der Koch Pierre | |
Manceron (stoisch entschlossen: Grégory Gadebois) hält am Hof des Herzogs | |
von Chamfort (spitz-blasiert: Benjamin Lavernhe) den Hausherrn und dessen | |
gelangweilte Gäste mit üppig aufwändigen Menüs bei Laune. | |
In der Küche herrscht Betrieb. Die Kamera verweilt dazu gern aus nächster | |
Nähe und in hoch aufgelösten Bildern bei Händen, die Zutaten zerschneiden, | |
vermischen, anrühren. Oder sie fährt genüsslich über die Resultate dieser | |
Hochleistungsarbeit, die unter Zeitdruck und fernab der herrschaftlichen | |
Augen in einem Kellergewölbe geleistet wird. Sieht zugegebenermaßen sehr | |
appetitlich aus, erst recht für Zuschauer, die Kochsendungen mögen. | |
Manceron, der regelmäßig ermahnt wird, keine Neuerungen auf den Speiseplan | |
zu setzen, wäre nicht der hervorragende Koch, der er ist, wenn er nicht | |
auch kreativ wäre. Zu einem Gelage, mit dem sich der Herzog am Königshof | |
von Versailles empfehlen möchte, serviert Manceron daher als Appetithappen | |
seine neue Schöpfung „Délicieux“, im Französischen ist dies zugleich der | |
Titel des Films. | |
Nach erfolgter Völlerei lässt der Herzog den Koch rufen, damit dieser | |
Komplimente für seine Künste entgegennehmen kann, im selben Zug eine | |
Bestätigung der Eignung des Herzogs als Gastgeber. Der Reihe nach gibt es | |
erwartungsgemäß Lob für Aussehen und Geschmack des Gekosteten. | |
## Etwas für die Schweine | |
Lediglich ein Bischof (Gilles Privat) hat eine Nachfrage zu Mancerons | |
„Köstlichkeit“. Als er erfährt, dass diese aus Trüffeln und Kartoffeln | |
zubereitet ist, wirft der Geistliche sie seinem Schöpfer vor die Füße mit | |
der Bemerkung, Dinge, die unter der Erde wüchsen, seien etwas für die | |
Schweine. Die Stimmung kippt. Der Herzog verlangt von Manceron, er solle | |
sich entschuldigen. Dieser schweigt. Der Herzog beginnt zu schreien. | |
So wird der Meisterkoch entlassen, kehrt mit seinem Sohn in sein Dorf | |
zurück. Backt Brot wie vor ihm sein Vater, bewirtschaftet Durchreisende als | |
Gastwirt. Die Szenerie wechselt passend: statt raschelnder Kleider und | |
bepuderter Perücken in lichten Zimmerfluchten fortan eine dunkle Hütte mit | |
rauem Putz, der Garten draußen kaum geordneter Wildwuchs, dafür schön grün. | |
Manceron trägt seine Deklassierung mit Stolz, allerdings fortan ohne | |
kulinarischen Ehrgeiz. | |
Die Handlung nimmt eine weitere Wendung, als eine Frau im Dorf ankommt, die | |
Lehrling bei ihm werden will. Louise (zurückhaltend entschlossen: Isabelle | |
Carré) empfiehlt sich als ehemalige Marmeladeköchin. Obwohl Manceron nichts | |
von Kochen hören will, bleibt sie hartnäckig. Schließlich ringt er sich | |
durch, ihre Fähigkeiten zu testen. Sie besteht. | |
## Dezente emanzipatorische Akzente | |
Besnards ästhetisch wenig auf Neuerungen bedachter Film folgt von da an | |
zwei Strängen: der bewährten Geschichte eines Selfmademans, der sich gegen | |
Widerstände behauptet, und einer flüchtig angedeuteten Romanze, die das | |
Drehbuch knapp umschifft und sogar dezente emanzipatorische Akzente setzt. | |
Angeregt durch Louise beginnt Manceron seine alte Leidenschaft für das | |
Kochen wiederzuentdecken, was Gelegenheit für mehr Kochszenen in | |
Großaufnahme bietet. Der Unterschied diesmal: Die Zutaten sind weiterhin | |
ansehnlich, aber einfacher. Manceron bedient sich vor allem aus seinem | |
Garten. | |
Nebenbei hält „À la carte“ so ein Plädoyer für regionale Produkte. Sein | |
eigentliches Anliegen ist aber zu illustrieren, wie Manceron seine | |
Erfahrung bei Hofe nutzt, um sein Gasthaus umzuwandeln in eine für alle | |
Stände offene Stätte, in der jeder an einem eigenen Tisch gut essen kann | |
und was er möchte, sofern es die Speisekarte und das Portemonnaie hergeben. | |
Der Herzog versucht dies zu verhindern, möchte Manceron zurückhaben. Am | |
Ende siegt die Égalité, dem Adel fliegt die Perücke vom Haupt. | |
Hübsche Idee: das Restaurant als Begleiterscheinung der Französischen | |
Revolution, wo das Ständische (ver-)dampft wie die Speisen auf den Tellern. | |
In Wirklichkeit waren Restaurants aber wohl auch damals schon kein Ort für | |
alle. Doch wurde die Entstehung der Restaurants begünstigt durch die vielen | |
Köche, die im Zuge der Revolution ihre Stellungen bei Hofe verloren. Im | |
Film ist es anders herum erzählt. Egal. So lange der Restaurantbesuch nicht | |
auch bald Geschichte ist. | |
26 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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