Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sternekoch über Genuss: „Ich bin totaler Produktfetischist“
> Wie tickt ein Drei-Sterne-Koch? Küchenchef Christian Bau im Gespräch über
> Schickimicki und Globalisierung, Gamberoni und Genuss.
Bild: Koch mit Bundesverdienstkreuz: Christian Bau
taz am wochenende: Herr Bau, wonach schmeckt Ihre Kindheit?
Christian Bau: Ich war häufig bei meiner Oma, das war eine wunderbare Frau.
Dort wurde auf einem holzbefeuerten Ofen regional badisch gekocht,
Sauerbraten oder Ochsenbrust an Meerrettichsoße. Meinen Geschmackssinn hat
das sicherlich geschärft.
Und bei Ihren Eltern?
Ich habe nur relativ wenige Kindheitserinnerungen, weil ich keine schöne
Kindheit hatte. Als Sechsjähriger bin ich morgens selber aufgestanden und
in die Schule; wenn ich nach Hause kam, stand ich alleine in der Wohnung.
So musste ich mich selbst im Kochen üben. Rührei, Spiegelei, Nudeln. Mit
jedem Lebensjahr habe ich mehr ausprobiert. Mit 14 ergab sich die
Gelegenheit, ein Praktikum in einer Küche zu machen – die habe ich genutzt.
Mit 16 bin ich ausgezogen und habe seitdem kein Elternhaus mehr betreten.
Sie halten seit 16 Jahren drei Michelin-Sterne. Was braucht es, um so
erfolgreich zu sein?
Kreativität und viel Willen. Auch Detailverliebtheit gehört dazu, hohes
Qualitätsstreben, ein großer Geschmackssinn. Naturverbundenheit, weil wir
ja mit Naturprodukten arbeiten. Man muss ein guter Handwerker sein,
fachliche Kompetenz besitzen, teamfähig sein. Aber, auch ganz wichtig:
[1][Es braucht Demut]. Demut gegenüber dem Produkt und gegenüber den
Leuten, die über dich richten.
Der Grafiker Tomi Ungerer sagte mal: Schickimicki kann keine Mahlzeit
retten – auch unter einem Drei-Sterne-Himmel nicht. Was sagen Sie dazu?
Das muss ich so stehen lassen. Wir sind ein Gasthaus und wir bewirten
Gäste. In der Küche trage ich verranzte Jeans und Turnschuhe, aber der
Speisesaal ist edel eingedeckt, es läuft chillige Musik. Wir haben hier ein
angenehmes Ambiente geschaffen für ein herzliches Beisammensein. Viele
Gäste sind meine Freunde. Das ist kein Schickimicki, wir bieten eine hohe
Dienstleistung in einem edlen Gasthaus an.
Wenn ich in diesem edlen Gasthaus meinen Entenschenkel mit den Händen äße,
würde ich dann komisch angeschaut werden?
Wenn Sie bei uns Ente bestellen, gibt es die ohne Knochen. Fisch kommt ohne
Gräten und Karkassen. Das ist das Handwerk, das Drei-Sterne-Gastronomie
auszeichnet. Da wird das Essen so vorbereitet, dass es die bestmögliche
Voraussetzung für den Genuss hat. Wenn ich solche Bezeichnungen höre,
Schickimicki oder Luxusrestaurant, habe ich immer das Gefühl, dass es so
was nur in Deutschland gibt.
Das müssen Sie mir erklären.
Hier gibt es doch diese Neidhammelei überall. Als ich vor über zwanzig
Jahren schnell Erfolg hatte, haben Leute gemutmaßt, dass ich mir den
gekauft hätte. Hier kriegt man nicht auf die Schulter geklopft, wenn man
was gut gemacht hat und sich angestrengt hat. Schickimicki ist es für mich,
wenn die Leute das für ihren Status brauchen, wenn die Leute ihr Essen auf
Instagram posten müssen, damit sie ihren Bekannten zeigen können, was sie
sich leisten können. Aber ist es schon Schickimicki, wenn mein Essen aus
Südafrika, Neuseeland oder Thailand kommt? Oder ist das schlicht der
Globalisierung geschuldet?
Man hat zwar die Möglichkeit, sich das Essen einfliegen zu lassen, aber das
hat ja zwei Seiten.
Ich bin ein totaler Produktfetischist und kaufe nur die besten Zutaten.
Dafür muss ich mich weltweit umsehen. Wenn es hier im Saarland Dinge gibt,
die ich regional und in ausreichender Menge beziehen kann, dann kaufe ich
die auch gerne regional. Wenn ich mit Lavendel kochen möchte, könnte ich
mir den auf dem Weg nach Hause am Wegesrand abzupfen. Der beste Lavendel
kommt aber nun mal aus der Provence. Dort gibt es ein anderes Klima, eine
andere Bodenbeschaffenheit.
Nicht nur die Globalisierung, auch der Fleischkonsum stehen in der Kritik.
Was sagen Sie zu vegetarischer Küche?
Ich meine das nicht despektierlich, aber ich möchte keine rein vegetarische
Küche anbieten. Wir bereiten auch [2][vegetarische Gerichte] zu, aber keine
ganzen Menüs. Ich erkenne leider immer wieder, dass vegetarisch orientierte
Gäste ihr Essen nicht so sehr genießen. Häufig trinken sie keinen Wein,
sondern Jasmintee, und das ist für mich kein Genuss. Zu einem guten Essen
gehört der Spannungsbogen und auch, dass der Wein geschmacklich Sinn macht.
Aber den Klimaaspekt sehen Sie dabei schon, oder?
Ich habe großen Respekt vor unserer Umwelt, und ich möchte auch darauf
achten. Aber ich glaube, diese Probleme müssen von einer anderen Stelle
gelöst werden und nicht von uns Köchen.
Welche Kunden sind Ihnen die liebsten?
Mir ist jeder Gast lieb. Wir haben Respekt vor den Kunden, aber der Kunde
muss auch uns gegenüber Respekt haben. Und auch den anderen Gästen
gegenüber. Wer nach Parfum stinkt, seinen Platz nicht schön genug findet
oder respektlos ist, den möchte ich nicht im Restaurant haben.
Umgekehrt kann sich Ihr Angebot ja tatsächlich nicht jeder leisten.
Ich habe auch Gäste, die kommen alle vierzehn Tage, die fahren einen alten
Renault 19, die tragen keine teure Kleidung und die fahren nicht in den
Urlaub. Aber die gehen gerne gut essen. Das sind ganz normale Leute, die
geben 25 Euro Trinkgeld und dann gehen sie wieder.
Und was lassen die bei Ihnen im Laden?
Die bleiben unter tausend Euro.
Was macht für Sie Genuss aus?
Reduziert aufs Essen? Die Idee des Kochs, das Handwerk. Die Kombination der
Geschmacksnoten muss für mich zugänglich sein, sie dürfen mich nicht zu
sehr reizen oder zu provokativ sein. Wenn ich über Gerichte zu viel
nachdenken muss – wieso ist diese Komponente jetzt so süß? So sauer? So
salzig oder scharf? –, wenn es in jedem Gericht einen neuen Spannungsbogen
gibt, mit Kombinationen, die sich mir nicht erschließen, dann kann ich nur
schwer genießen. Alles muss im Einklang sein, dann kann ich mich am besten
fallen lassen.
Also findet der Genuss ausschließlich auf dem Teller statt?
Auf keinen Fall! Die Außenwelt, das, was um den Teller herum passiert, ist
genauso wichtig. Es geht um eine gute Atmosphäre, ein gutes Gespräch, die
Beleuchtung, die Haptik der Tischdecke. Das ist alles sehr wichtig.
Ist Essen eine intellektuelle Angelegenheit für Sie?
Es gibt Menschen wie Jürgen Dollase, den Restaurantkritiker. Mit ihm kann
ich mich philosophisch über das Essen unterhalten, über Fragen wie: Wenn
auf dem Teller zwanzig verschiedene Arrangements sind, in welcher
Reihenfolge sollen sie gegessen werden? Wie setze ich die Reizpunkte und
halte es trotzdem so angenehm, dass es den Gast nicht erschlägt? Von
zehntausend Menschen sind vielleicht zwei oder drei dabei, die Essen und
Kochen wirklich als philosophische Angelegenheit wahrnehmen. Es macht aber
keinen Spaß, nur für diese Leute zu kochen.
Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Mein einziges Hobby ist das Reisen, Kulturen und landeseigene Küchen
kennenzulernen. Auf der Welt gibt es 131 Drei-Sterne-Restaurants, über 80
davon habe ich besucht. Außerdem die Märkte! Ich war auf den Floating
Markets in Thailand, auf dem Fischmarkt in Tokio, bei Thunfischauktionen in
Amerika. So habe ich in meinem Leben etwa den Wert zweier
Mehrfamilienhäuser verspeist.
Was wäre dann Ihre Henkersmahlzeit?
Vor zehn Jahren hätte ich Ihnen auf den Punkt eine Antwort geben können.
Heute würde ich sagen: Der Moment, in dem ich mit einem Menschen gemeinsam
etwas genießen darf, ist viel wichtiger. Gamberoni mit gutem Olivenöl und
gutem Brot in Portugal am Strand, das kann mir mehr geben als ein
hochkreatives Sterneessen. Da geht es wirklich um Luxus, denn der größte
Luxus für mich ist, Zeit zu haben. Ich gehe morgens aus dem Haus und komme
nachts um zwei wieder heim. Und manchmal fällt mir dann tatsächlich auf,
dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe.
28 Nov 2021
## LINKS
[1] /Globales-Ernaehrungssystem/!5814201
[2] /Gesundes-Essen-fuer-wenig-Geld/!5809821
## AUTOREN
Clemens Sarholz
## TAGS
Genuss
Kochen
Restaurant
Essen
TV-Koch
Vegetarismus
Kochen
Spielfilm
Schwerpunkt Klimawandel
Gorillas
## ARTIKEL ZUM THEMA
Österreichische Jungköchin über Essen: „Tanne schmeckt“
Milena Broger ist 30 Jahre alt und Küchenchefin eines Gourmetrestaurants.
Ein Gespräch über Fernsehshows, Fermentiertes – und Saibling mit
Tannennadeln.
Veganer Sternekoch Ricky Saward: „Ein guter Koch kombiniert im Kopf“
Das Seven Swans ist Deutschlands einziges veganes Sternerestaurant.
Küchenchef Ricky Saward über radikales Kochen, Regionalität und Rote Bete.
Fisch zubereiten: Von der Kieme bis zur Flosse
Jenseits von Fischstäbchen: Im aufregendsten Kochbuch des Jahres zeigt der
Australier Josh Niland, wie man Fisch ganzheitlich verarbeitet.
Restaurant-Komödie „À la carte“ im Kino: Wo das Ständische verdampfte
„À la carte“ erzählt mit leichter Hand von den Anfängen der Restaurants …
vorrevolutionären Frankreich. Der Film passt zur Pandemiezeit.
Alternative Eiweißquellen: Kunstfleisch, Mikroben, Seetang
Tierische Produkte treiben die Erderwärmung an. Doch sind alternative
Eiweißquellen auch wirklich umweltfreundlicher?
Sieg für Gorillas-ArbeitnehmerInnen: Fair wird diese Branche nie
Die Angestellten des Schnell-Lieferdienstes Gorillas dürfen jetzt einen
Betriebsrat wählen. Doch bringt das kurz- und langfristig überhaupt etwas?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.