# taz.de -- Fisch zubereiten: Von der Kieme bis zur Flosse | |
> Jenseits von Fischstäbchen: Im aufregendsten Kochbuch des Jahres zeigt | |
> der Australier Josh Niland, wie man Fisch ganzheitlich verarbeitet. | |
Bild: Kaum jemand kennt sich mit dem Lebensmittel Fisch richtig aus | |
Steile These: Fisch gehört zu den Lebensmitteln, die ziemlich gedankenlos | |
konsumiert werden, ungefähr so wie Gummibärchen oder Kartoffeln. Echt | |
jetzt? Ja, echt! Fisch, das heißt für die Hälfte der Menschen in | |
Deutschland Lachs, Thunfisch und Seelachs. Und Seelachs auch nur, weil der | |
meist von Panade umhüllt ist. Fischstäbchen sind hierzulande nach wie vor | |
das beliebteste Fischgericht. | |
Es gibt da einige Paradoxien: Fisch gilt als gesund, weil fettarm, zugleich | |
finden die meisten es spitze, dass er voller Omega-3-Fett(!)säuren ist. | |
Fisch ist im Durchschnitt viel teurer als Fleisch, für viele ein | |
Luxusprodukt, und trotzdem kennt sich kaum jemand richtig mit dem | |
Lebensmittel aus. Von Fleischrinderarten wie Angus oder Charolais hat | |
schon jeder Steakliebhaber mal gehört, aber kaum ein Thunfischesser kann | |
zwischen Weißen oder Roten Thun unterscheiden. | |
Ich will mich von dem Vorwurf gar nicht ausnehmen. Fisch, das war auch für | |
mich bis Anfang des Jahres wissensmäßig eine ziemliche Leerstelle. Dann | |
habe ich kurz hintereinander eine Forelle aus dänischer Massenfischhaltung | |
und eine von einem kleinen Zuchtbetrieb im Schwarzwald zubereiten dürfen. | |
Die eine hatte festes Fleisch, schmeckte fast mineralisch, bei der anderen | |
war es im Vergleich schwammig und leicht tranig. Die Siegerforelle kam aus | |
dem Schwarzwald: Dort ist das Wasser kälter und sauerstoffreicher, das | |
erzeugt muskulöseres Fleisch. | |
Kurze Zeit später konnte ich mir auch den theoretischen Überbau zu diesem | |
kochpraktischen Erweckungserlebnis draufschaffen, denn im März erschien das | |
Buch „Der ganze Fisch“ von Josh Niland in deutscher Übersetzung. Die | |
englische Originalfassung stammt aus dem Jahr 2019 und hat weltweit für | |
Aufsehen gesorgt. | |
Lebensmittel ganzheitlich zu verarbeiten, das ist ein großer Trend der | |
letzten Jahrzehnte. In den 90er-Jahren beschäftigte sich der englische Koch | |
Fergus Henderson mit traditionellen Methoden, das Rind, vor allem aber das | |
Schwein von der Schnauze bis zum Schwanz zu verarbeiten. Seine Philosophie | |
wurde als „Nose to tail“-Küche bekannt. Und sie fand Übersetzer:innen | |
für andere Warengruppen: „Leaf to root“ ist dem Gemüse gewidmet, geprägt | |
hat den Begriff [1][die Schweizerin Esther Kern]. Der australische Koch | |
Josh Niland hat sie also für Fisch interpretiert: „Fin to Gill“ – von der | |
Kieme bis zur Flosse. | |
Interessant ist, wie sich das Denken ändert. Henderson trieb der Respekt | |
vor dem Tier. Wenn wir ihm schon das Leben nehmen, sollten wir bemüht sein, | |
auch alles zu essen. Für Esther Kern ist es der Geschmack, der in Teilen | |
steckt, die nicht zu den Filetstücken von Gemüse gehören, wie Schalen und | |
Triebe. Josh Niland legt Gewicht auf das, was sich modern | |
[2][Zero-Waste-Denken nennt]. Der 32-Jährige betreibt seit 2016 in Sydney | |
das Restaurant Saint Peter, das inzwischen zu den zehn besten Restaurants | |
Australiens gehört. In der Restaurantküche, schreibt Niland, werde Köchen | |
in der Ausbildung beigebracht, nur etwa vierzig Prozent eines Fisches zu | |
verwerten. Für ihn war das eine kolossale Form von | |
Lebensmittelverschwendung, die zudem bedeutete, dass er sich keine | |
hochwertige Ware leisten konnte, weil für den kleinen Rest vom Fisch | |
niemand das Geld hätte hinlegen wollen, das Niland brauchte, um auch noch | |
sein Personal anständig zu bezahlen. | |
## Die Leber des Petersfischs | |
Das war der Auftakt, sich auch mit den vermeintlich zweitklassigen | |
Fischteilen zu beschäftigen. Niland entdeckte, dass die Leber des | |
Petersfisches etwa so schwer ist wie die Filets, und dass der Rogen der | |
Goldmakrele etwa zehn Prozent des Fischgewichts ausmacht – das gibt ein | |
halbes Kilo dessen, was beim Stör Kaviar heißt. | |
Wo viele klassische Fischkochbücher aufhören, fängt „Der ganze Fisch“ er… | |
an. Josh Niland zeichnet ein Bild von einem völlig neuen Produkt. Das erste | |
Drittel ist dem Umgang mit Fisch gewidmet: dem Einkauf, dem Zerlegen und | |
Lagern. Niland erklärt dabei, warum bei der Auswahl die Fischaugen klar und | |
die Kiemen sehr rot sein sollen, dass man Fisch zerstört, wenn man ihn | |
unter fließendem Wasser ausnimmt und dass man ihn reifen lassen kann wie | |
Steaks oder Schinken. | |
Es folgen 60 Rezepte nach Art der Zubereitung. Auch hier hat man häufiger | |
den Eindruck, es handelt sich bei Fisch um nichts anderes als ein Huftier. | |
In der konventionellen Küche, auch zu Hause am Herd, herrscht nach wie vor | |
die Philosophie, das Produkt so natürlich wie möglich zu lassen, am besten | |
sogar roh. In diesem Sinne gilt Sushi als Gipfel der Zubereitung. Josh | |
Niland geht genau in die andere Richtung: geräucherte | |
Meerforellen-Rillette, Schwertfisch-Saltimbocca, gegrillte Rotbarbe mit | |
Seetang-Butter, würziger Marlin-Schinken oder Kabeljauleber auf Toast. | |
Klingt alles eher, als kämen die Zutaten aus einer Metzgerei. Genau die – | |
eine Fish Butchery – betreibt der Australier inzwischen auch im Erdgeschoss | |
seines Restaurants. | |
Die meisten der Rezepte sind trotz recht exotischer Namen relativ einfach | |
nachzukochen. Niland erklärt auch viele Grundrezepte etwa für Fischbrühe | |
oder für Garum, eine umami-lastige Sauce aus fermentierten Karkassen, die | |
[3][das Maggi] der antiken römischen Küche war. Die Anleitung für knusprig | |
frittierte Fischhaut ist nur ein paar Zeilen lang. Doch auch ohne daraus zu | |
kochen ist „Der ganze Fisch“ ein faszinierendes Lese- und Erklärbuch, das | |
zeigt wie gewinnbringend es ist, sich richtig Gedanken zu machen um das, | |
was man isst. | |
5 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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