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# taz.de -- Terminologie von Speisekarten: Dinieren ohne Präpositionen
> Spitzenrestaurants haben ihr Vokabular radikal reduziert. Anders ließe
> sich ihr kunstvoll dekonstruiertes Durcheinander auch kaum fassen.
Bild: Grieß, Tomate und Basilikum
Neulich Abend gab es bei mir Grieß, Tomate + Sardelle. Sie kennen das: Im
Vorweihnachtsstress muss es schnell gehen. Also habe ich mir Spaghetti mit
Tomatensauce gemacht. Doch wie viel vornehmer klingen sie, wenn man die
Zutaten einzeln nennt, oder?
Genau das weiß auch die Spitzengastronomie. Neulich erst wieder, im noch
sehr jungen Cumberland Restaurant am Berliner Kurfürstendamm, hatte ich die
Wahl zwischen „Seidentofu | Tomate | Sellerie | Saft“, „Lackiertes
Kalbsbries | Kürbis | Citrus“ oder auch „Blaumohn | Rote Paprika |
Honigmelone“. Die Karten von bereits mit Sternen versehenen Restaurants
sehen ähnlich aus. In einem servieren sie „Kalb karamellisierte Zwiebel &
Wunderlauch“, in einem anderen „Grünkohl / Petersilie“, im nächsten
„KAROTTE wasabi | limette“. Mal trennen Kommas die Zutaten, mal Zeichen wie
& oder | und manchmal wird die Hauptzutat besonders hervorgehoben. Sonst
unterscheidet es sich wenig, auch im unbedingten Singular.
Auch zwei Freunde von mir, die [1][als „Maisons des Christians“ auf
Instagram] die Highlights ihrer privaten Kocherei präsentieren, haben diese
Terminologie übernommen. Neben Eigenkreationen wie „Bete, Lachs + Feta“
servieren sie „Hackfleisch, Sardelle, Kaper + Zitrone“ (Königsberger
Klopse), „Kalb, Pilz + Käse“ (Ragout Fin) oder „Mehl, Wasser + Salz“ (…
Brot).
Denn längst vorbei sind die Zeiten, wo man Nobelessen durch kunstvoll und
sinnlos kombinierte Überraschungspräpositionen jenseits von „mit“
persiflieren konnte („Lachs auf Gratin an Romanesco unter Ricotta neben
Algenessenz“). Auch Begriffe wie „Dreierlei vom …“ oder gar „Trilogie…
klingen so manieristisch wie vorgestrig.
Das radikal reduzierte Vokabular passt hingegen zum zeitgenössischen
Bestreben, von jeder einzelnen Zutat die Essenz herausarbeiten zu wollen,
ohne Pomp und Gehabe. Und es ist auch verständlich, denn was in
Spitzenrestaurants auf den Tisch kommt, sind ja seltenstenfalls
herkömmliche Gerichte, sondern immer wieder neue Kreationen; ein kunstvoll
dekonstruiertes Durcheinander, das, wollte man es wirklich akkurat in der
Karte beschreiben, diese zur Novelle anschwellen ließe.
Dies übernimmt dafür das Personal beim Servieren. „Hier haben wir Mohrrüben
[2][aus der Prignitz], 24 Stunden auf Birkenholz geräuchert und
anschließend im Emailletopf mit Honig aus unserem Kamillengarten
karamellisiert, angerichtet auf einer Jus aus Yuzu und Odenwälder Sherry
und garniert mit dem gegrillten Grün der Möhren“, trägt der Kellner vor,
das aber so ratternd-rasant-routiniert, dass ich am Ende schon wieder die
Hälfte vergessen habe.
Macht aber auch nix, überhaupt will ich mich gar nicht so sehr über diese
Speisekartenmode lustig machen. Ich finde sie eigentlich sehr schön. Und
jetzt muss ich zurück an den Weihnachtstisch, dort wartet etwas Feines auf
mich: Mandel, Zimt, Eiklar + Puderzucker.
27 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/maisondeschristians/
[2] /Beim-Schlachter-in-der-Prignitz/!5602153
## AUTOREN
Michael Brake
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