| # taz.de -- Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin: Sie will nichts gewusst haben | |
| > In Itzehoe wird die Anklage gegen eine frühere Sekretärin des KZ Stutthof | |
| > vorgetragen. Am Gerichtsgebäude tauchen auch vereinzelt Rechtsextreme | |
| > auf. | |
| Bild: Sieht keine „persönliche Schuld“: Irmgard Furchner am Dienstag vor G… | |
| Itzehoe taz | Sie war da. Am Dienstagmorgen nahm Irmgard Furchner, | |
| ehemalige Sekretärin des Kommandanten des KZ Stutthof, in der | |
| provisorischen Halle des Landgerichts Itzehoe auf der Anklagebank ihren | |
| Platz ein. Allerdings saß sie auf einem Krankentransportstuhl. Und erst als | |
| die Kameras weg waren, nahm sie ihr Kopftuch ab, sah mit ausdrucksstarkem | |
| Gesicht und wachen Augen auf die Prozessbeteiligten. | |
| Zum ersten Gerichtstermin vor knapp drei Wochen war die 96-Jährige zu dem | |
| Verfahren wegen Beihilfe zum Mord in 11.380 Fällen zwischen 1943 und 1945 | |
| in dem KZ bei Danzig nicht erschienen. Per Taxi und zu Fuß hatte sie | |
| [1][einen Fluchtversuch gestartet]. Denn, so die Angeklagte in der | |
| Vernehmung, sie „habe ein reines Gewissen“ und die Ermittlungen seinen | |
| „lächerlich“. In der rechtsextremen Szene wurde die resolute Rentnerin | |
| prompt als „Rebellin von Itzehoe“ gefeiert. | |
| Vor dem Gelände des China Logistic Center, wo das Gericht wegen der vielen | |
| Verfahrensteilnehmenden tagen muss, tauchten an diesem Verhandlungstag dann | |
| tatsächlich vereinzelt Rechtsextreme auf. Einer von ihnen mit Mütze, auf | |
| der die „Schwarze Sonne“ prangte – ein Symbol der SS. Trotz massiver | |
| Kontrollen durfte der Mann mit der Mütze in Begleitung Gleichgesinnter | |
| in die Verhandlung. | |
| In der Halle machte Verteidiger Wolf Molkentin in seiner | |
| Eröffnungserklärung deutlich, dass seine Mandantin mit dieser Szene nichts | |
| zu tun habe. In Anspielung auf die notorische Holocaust-Leugnerin Ursula | |
| Haverbeck, die tief in dem Spektrum verankert sei, betonte er: Frau | |
| Furchner sei nicht Frau Haverbeck. Sie leugne nicht die Verbrechen des | |
| Nationalsozialismus. Sie sage nur, dass sie trotz ihrer Tätigkeit in der | |
| Kommandantur von den „furchtbaren Mordgeschehen“ nicht gewusst hätte, sie | |
| erkenne für sich keine „persönliche Schuld“. | |
| ## Nebenklage wird Statement verweigert | |
| Molkentin wies auch darauf hin, dass Personen, die direkt an den Tötungen | |
| beteiligt waren, nicht im selben Maße angeklagt worden waren wie seine | |
| Mandantin. Sie werde weder Aussagen noch Fragen beantworten, sagt er für | |
| seine Mandantin, die mit einer elektronischen Handfessel da saß – wohl | |
| wegen des Fluchtversuches. Das jetzige Verfahren habe „sicherlich eine | |
| herausgehobene Bedeutung“, nicht zuletzt für „die Überlebenden, die hier | |
| noch einmal Zeugnis ablegen werden“ so der Verteidiger: „Aus Sicht der | |
| Angeklagten überwiegt im Moment der Aspekt der Zumutung“. | |
| Staatsanwältin Maxi Wantzen hatte zuvor erklärt, dass die Angeklagte als | |
| Stenotypistin und Schreibkraft den Verantwortlichen des Lagers bei [2][der | |
| systematischen Tötung von Gefangenen] Hilfe geleistet habe. Aufgrund ihrer | |
| Tätigkeit sei sie über alle Vorgänge der systematisch praktizierten | |
| Mordmethoden „bis ins Detail“ informiert gewesen. Sie habe durch ihre | |
| Arbeit „die reibungslose Funktionsfähigkeit des Lagers“ gesichert. | |
| Im KZ Stutthof und den Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen | |
| starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen | |
| Zentralstelle in Ludwigsburg etwa 65.000 Menschen. | |
| Am Ende des Verhandlungstages führte der Wunsch des Rechtsanwalts Onur | |
| Özata, der drei Holocaust-Überlebende als Nebenkläger vertritt, ebenfalls | |
| ein Eröffnungsstatement halten zu wollen, zum Eklat. Der vorsitzende | |
| Richter wehrte das Begehren ab, das bei vorherigen Verfahren zu Verbrechen | |
| des Nationalsozialismus zugelassen wurde. | |
| Mehmet Daimagüler, weiterer Nebenklagevertreter, polterte, dass dem Gericht | |
| die historische Bedeutung nicht bewusst sei, es ginge nicht um | |
| Verkehrsdelikte. Für das Verfahren sind Verhandlungstermine bis ins | |
| kommende Jahr geplant. | |
| 19 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Speit | |
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