# taz.de -- Verfahren gegen frühere KZ-Sekretärin: Ein Prozess, der sein muss | |
> Der Prozess gegen die frühere KZ-Sekretärin kann das lange Versagen der | |
> Justiz nicht ungeschehen machen. Aber es gilt: Alter schützt vor Strafe | |
> nicht. | |
Bild: Der Eingang des ehemaligen KZ Stutthof – heute ein Museum, in dem an di… | |
Der Prozess gegen die 96-jährige Irmgard F. [1][begann am Dienstag in | |
Itzehoe mit dreiwöchiger Verspätung]. Am ersten Tag der Hauptverhandlung | |
war keine Anklage verlesen worden, weil die Angeklagte [2][aus ihrem | |
Pflegeheim ausgebüxt war]. Die frühere Chefsekretärin des KZ Stutthof | |
fühlt sich nämlich unschuldig. | |
Aber eigentlich findet dieses Verfahren mit einer Verspätung von mindestens | |
60 Jahren statt. Seit den 1950er Jahren war der bundesdeutschen Justiz | |
bekannt, dass Irmgard F. über zwei lange Jahre die Korrespondenz des | |
KZ-Kommandanten erledigt hatte, während unmittelbar neben ihrem Büro | |
Zehntausende Häftlinge jämmerlich verhungerten, erschossen oder vergast | |
wurden oder an Krankheiten verstarben. Eine Korrespondenz war das, die zum | |
Tod dieser Menschen mittelbar beitrug. Doch jahrzehntelang musste sie sich | |
für diese mutmaßliche Tatbeteiligung nicht verantworten – so wie Tausende | |
andere KZ-Wachmänner und Schreibstubenbedienstete auch. | |
Denn deutsche Richter hatten sich darauf geeinigt, dass man die vorgeblich | |
kleinen Täter laufen lassen kann. Nur [3][bei einer unmittelbaren | |
Tatbeteiligung] machte man den Vollstreckern des Völkermords einen Prozess. | |
Das aber waren nur wenige, denn die meisten ihrer Opfer waren tot und | |
konnten nicht Zeugnis ablegen. Das war eine sehr bequeme Haltung, zumal die | |
damaligen Richter und Staatsanwälte selbst nicht immer eine weiße Weste | |
trugen. | |
Diese krumme Rechtsauffassung änderte sich erst, als die meisten | |
Verantwortlichen längst verstorben waren. Und es dauerte noch einmal | |
geschlagene vier Jahre von den ersten neuen Ermittlungen bis zum | |
Prozessbeginn gegen Irmgard F. Jetzt, 76 Jahre nach dem Ende der | |
Nazi-Diktatur, steht sie als Greisin vor Gericht, angeklagt der Beihilfe | |
zum Mord in mindestens 11.000 Fällen. Aber macht das heute noch einen Sinn? | |
## Überlebende mussten lange warten | |
Ja, eine Wiederholungsgefahr geht von der Angeklagten wohl nicht aus. Aber | |
dennoch müssen in einem Rechtsstaat Taten wie die, die Irmgard F. | |
vorgeworfen werden, gesühnt werden. Es steht nirgends geschrieben, dass | |
Alter vor Strafe schützt. Aber die wenigen, inzwischen selbst uralten | |
Überlebenden und ihre Nachkommen mussten bis heute warten, dass die | |
Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt. | |
Der Prozess kann das jahrzehntelange Versagen der Justiz nicht ungeschehen | |
machen. Aber noch furchtbarer wäre es, wenn sich wegen dieses Versagens die | |
letzten lebenden mutmaßlichen Täter nicht für das verantworten müssen, was | |
sie in der Nazizeit anderen Menschen angetan haben. Es wäre ein zweites | |
Versagen. | |
20 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-gegen-fruehere-KZ-Sekretaerin/!5805927 | |
[2] /Verzoegerung-bei-Prozess/!5805054 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Fellenz | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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