# taz.de -- Prozess um Massenmord in KZ Stutthof: Das Schweigen der KZ-Sekretä… | |
> Im Prozess wegen Beihilfe zum Massenmord im KZ Stutthof nimmt die | |
> Angeklagte ehemalige Sekretärin Zeugenberichte regungslos zur Kenntnis. | |
Bild: Zeigt im Prozess keine Gemütsregung: die frühere KZ-Sekretärin Irmgard… | |
ITZEHOE taz | Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gerochen: Irmgard | |
Furchner gibt sich vor der 3. Großen Jugendkammer am Landgericht Itzehoe | |
unwissend. Seit dem 19. Oktober vergangenen Jahres muss sich die ehemalige | |
Sekretärin des Lagerkommandanten des KZ Stutthof, Paul Werner Hoppe, | |
[1][wegen der Beihilfe zum Mord an mehr als 11.000 Menschen verantworten]. | |
Zu Beginn des Verfahrens hatte ihr Rechtsbeistand Wolf Molkentin erklärt, | |
dass seine Mandantin nicht den Holocaust leugne, doch sie erkenne [2][keine | |
persönliche Schuld und wolle schweigen]. | |
Im Verhandlungssaal auf dem Gelände des China Logistic Center, wo das | |
Gericht tagt, wirkt Furchner, im Rollstuhl sitzend, unbeteiligt. Als 18- | |
und 19-Jährige war sie von Juni 1943 bis April 1945 Zivilangestellte der | |
Lagerkommandantur. Unberührt schien die 94-Jährige auch am Dienstag vom | |
Schicksal des Überlebenden Abraham Koryski. Per Video wurde der ebenfalls | |
94-Jährige aus Haifa in Israel zugeschaltet | |
Schon bei der Ankunft habe er den Geruch von verbranntem Fleisch | |
wahrgenommen, berichtete Koryski. „Ihr werdet zu diesem Geruch“, soll ein | |
Wachmann angekündigt haben. Koryski war als Jugendlicher von September | |
1944 bis Ende Januar 1945 in dem Lager bei Danzig inhaftiert. Er habe | |
Hinrichtungen und Prügel erlebt, sagt er. Die meisten Inhaftierten seien | |
Hungers gestorben. Jeden Tag seien die Leichen der in der Nacht | |
Verstorbenen aus den Baracken getragen worden. Viele Menschen seien in dem | |
KZ vergast worden, andere seien von Hunden zerfleischt worden. „Das war | |
Sadismus pur“, sagte Koryski. | |
Der Zeuge erzählte, wie ein SS-Mann einen Stuhl zerbrach. Er ging dann zu | |
einem Vater und dessen Sohn und forderte, dass einer von ihnen den anderen | |
mit einem Stuhlbein erschlagen solle. Wenn nicht, würde er beide | |
erschießen. Der Vater entschied, dass der Sohn ihn erschlagen solle. „Er | |
tat es“, sagte Koryski. Dieses Geschehen hatte der Zeitzeuge [3][auch im | |
Verfahren gegen den SS-Wachmann Bruno D.] vor dem Hamburger Landgericht im | |
Dezember 2019 geschildert. Am Ende sei der Sohn erschossen worden. | |
## Die Angeklagte fand die Ermittlungen „lächerlich“ | |
Den Unwillen, sich der eigenen Geschichte zu stellen, hatte die ehemalige | |
KZ-Sekretärin Furchner gleich zu Verfahrensbeginn demonstriert. Die | |
Rentnerin war zum geplanten Prozessauftakt [4][aus ihrem Seniorenwohnheim | |
in Quickborn verschwunden]. Ihre Flucht konnte die Polizei nach wenigen | |
Stunden in Hamburg beenden. | |
Vor Gericht berichteten ein Staatsanwalt und ein Polizeibeamter, dass die | |
Angeklagte bei einer Durchsuchung vor fünf Jahren unwirsch und mit | |
„Bockigkeit“ reagiert habe. Die Ermittlungen seien lächerlich, soll sie | |
gesagt haben. Der historische Sachverständige Stefan Hördler wies an einem | |
Verhandlungstag darauf hin, dass die Angeklagte sowohl ihren ehemaligen | |
Chef Hoppe als auch den ehemaligen SS-Rapportführer Arno Chemnitz nach 1945 | |
in ihrer Wohnung in Schleswig getroffen habe und warf die Frage auf, woher | |
die Männer ihre Adresse hatten. | |
Chemnitz habe zu den Mordspezialisten in Stutthof gehört, berichtete der | |
Historiker. Unter Hoppes Führung diente auch der Ehemann der Angeklagten | |
als SS-Mann. Dieser sei mit dem Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse mit | |
Schwertern ausgezeichnet worden. Diesen Orden hätten vor allem SS-Männer | |
für ihre Beteiligung an Massenerschießungen erhalten, erläuterte Hödler. Am | |
Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. | |
20 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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