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# taz.de -- Widerstand im Nationalsozialismus: Späte Ehrung für stille Helden…
> Vier Eheleute werden im Roten Rathaus posthum als „Gerechte unter den
> Völkern“ geehrt. Sie verbargen in der Nazi-Zeit ein jüdisches Ehepaar.
Bild: Cornelia Ewald, Bruno Schmidt und Gundela Suter (l.v.r.) nehmen den Preis…
Berlin taz | Cornelia Ewald gesteht, dass sie bis vor einigen Jahren von
dieser Geschichte keine Ahnung hatte. Dass ihre Berliner Urgroßeltern Anna
und Bruno Schwartze Juden gerettet haben, davon hatte sie noch nie gehört.
Im Dezember 1942 war das. Gestapo-Männer waren in das Haus in der Torstraße
113 in Mitte gekommen, um die Nachbarn abzuholen. Henriette und Moritz
Mandelkern hatten den Wagen gesehen, als er vor dem Haus stoppte. Das
jüdische Ehepaar verbarg sich in der Wohnung und ließ die Tür trotz des
eindringlichen Schellens verschlossen. Das Kommando zog unverrichteter
Dinge ab.
Aber die Mandelkerns wussten, dass sie schon sehr bald wiederkommen würden.
In Deutschland hatten schon mehr als ein Jahr zuvor die Deportationen in
die Vernichtungslager im besetzten Osten begonnen. Ihr Sohn Siegfried war
schon verschwunden, deportiert nach Polen. Er sollte nie wieder auftauchen.
An diesem Mittwoch steht Cornelia Ewald im Festsaal des Roten Rathauses auf
der Bühne, neben sich Bruno Schmid, Ururenkel der Schwartzes, der
israelische Botschafter Ron Proser und Berlins Bürgermeisterin Bettina
Jarasch. Vor ihr sitzen viele hundert Gäste. Heute erhält das Ehepaar
Schwartze posthum die Ehrung als „Gerechte unter den Völkern“, die höchste
Auszeichnung, die der Staat Israel an Nichtjuden vergibt.
Cornelia Ewald darf als Nachgeborene die Familie repräsentieren. Es ist der
Dank dafür, dass die Urgroßeltern 1942 den Mandelkerns das Leben retteten.
Der Botschafter übergibt die Urkunde an Ewald, die Bürgermeisterin die
Medaille an die Enkelin Anne Schmid. Anwesend sind auch Verwandte der
Geretteten. Sie sind aus der ganzen Welt nach Berlin gereist.
## Überleben in der Kammer
Was damals im Dezember 1942 geschehen ist, hat Moritz Mandelkern schon kurz
nach dem Krieg aufgeschrieben. Noch am Abend des verhinderten
Gestapo-Besuchs sei Anna Schwartze aufgetaucht, die gute Nachbarin, die
ihnen, die nur noch Lebensmittelkarten mit minderwertigen Waren erhielten,
schon mal Äpfel und Weißbrot vorbeigebracht hatte. Fünfmal klopfen, sie
wussten, dass sie an der Tür stand. Schwartze brachte Brötchen und Wein,
machte Wasser heiß und unterbreitete den Verzweifelten ein Angebot: Einer
der Verfolgten könnte sich doch in der winzigen ungeheizten Kammer in ihrer
Wohnung verbergen.
Es war die Rettung. 18 Monate lang versteckte sich Moritz Mandelkern in
dieser Kammer. Es war kalt, es war ungemütlich, man konnte sich kaum
bewegen. Doch er bekam von den Schwartzes etwas zu essen. Und das
Wichtigste: Er lebte.
Seine Frau Henriette fand derweil Unterschlupf bei entfernten Verwandten im
brandenburgischen Groß Schönebeck. Die betrieben dort einen Bauernhof. Als
1944 das Haus in der Berliner Torstraße, in dem sich Moritz Mandelkern
versteckt hielt, von Bomben getroffen niederbrannte, begab sich auch er
nach Groß Schönebeck. Helene und Friedrich Hübner nahmen ihn wie schon
zuvor seine Frau auf. Ohne Gegenleistung und auf unbestimmte Zeit.
Es sind dies die beiden anderen Menschen, die an diesem Mittwoch im Roten
Rathaus die Ehrung als „Gerechte unter den Völkern“ von der Gedenkstätte
Yad Vashem in Jerusalem erhalten. Für das schon lange verstorbene Ehepaar
Hübner ist die Enkeltochter Gundela Suter ins Rathaus gekommen. Sie wusste
im Gegensatz zu Cornelia Ewald schon länger um diesen hellen Punkt in der
Familiengeschichte.
## Die meisten schauten weg
Suter erinnert sich daran, dass die drei Töchter der Familie Hübner damals
nicht eingeweiht waren und sich wunderten, dass „Onkel Moritz“ und „Tante
Henriette“ immer in der Scheune verschwanden, wenn sich auf dem Hof Besuch
ankündigte. Erst nach der Befreiung am 25. April 1945 erfuhren sie die
Hintergründe. Da hatte das Ehepaar Mandelkern schon dafür gesorgt, dass
Familie Hübner durch die Soldaten der Roten Armee nichts geschah.
29.921 Menschen weltweit haben seit 1963 von Yad Vashem die Ehrung
„Gerechte unter den Völkern“ erhalten. Unter ihnen befinden sich auch 641
Deutsche. „Es waren viel zu wenige Menschen“, die damals den Verfolgten zur
Seite standen, daran erinnert Bettina Jarasch in ihren einführenden Worten.
[1][Die meisten hätten weggeschaut]. Und sie dankt dafür, dass heute an
vielen Orten in Berlin dieser „stillen Helden“ gedacht werde und ihnen mit
einem Museum der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Referenz gezeigt wird.
Der israelische Botschafter Ron Prosor nennt die christlichen Retter der
verfolgten Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus „Helden des Kampfs für
die Freiheit“. Anna und Bruno Schwartze, Helene und Friedrich Hübner, sie
seien „Beispiele dafür gewesen, was es heißt, ein moralischer Mensch zu
sein“. [2][Ihre Taten würden zeige]n: „Jeder kann mutig sein.“
Und Prosor erinnert an seine eigene Familiengeschichte. Seine in Berlin
lebenden Großeltern hätten sich schon Ende 1933 zusammen mit ihren Kindern
zur Emigration nach Erez Israel entschlossen. Wären sie geblieben, hätte es
auch für sie „stille Helden“ gegeben?
2 Nov 2022
## LINKS
[1] /Prozess-um-Massenmord-in-KZ-Stutthof/!5831500
[2] /Widerstandskaempfer-Georg-Elser/!5844487
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
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