# taz.de -- Protokolle nach Hanau: Wut. Trauer. Mut | |
> Eine Woche nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau bleibt die | |
> Frage: Was können wir tun? Elf Protokolle. | |
Bild: Trauer um die Ermordeten in Hanau | |
Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein, sagt die Mutter von Ferhat | |
Unvar, der [1][in Hanau] ermordet wurde. Leider wird es so sein. Er ist | |
umsonst gestorben. Genau wie alle anderen. Sie, ihr Sohn und alle anderen | |
gehören nicht zu Deutschland, wie Bundesinnenminister Seehofer vor zwei | |
Jahren verkündete. Die Migration sei die Mutter aller Probleme [2][und der | |
Islam] gehöre nicht zu Deutschland. | |
Damit gehören sie und ihr Sohn genauso wenig wie ich zu Deutschland. Von | |
einer „Zäsur“ wird nur gesprochen, wenn Biodeutsche getötet werden. Nicht | |
die Höckes und Konsorten sind unser Problem. Wer als Innenminister einer | |
wohlgemerkt christlichen Partei, der für die innere Sicherheit in diesem | |
Land und damit für die Sicherheit aller Bürger in diesem Land | |
verantwortlich ist, so etwas sagt, braucht sich nicht zu wundern, wenn | |
andere den Abzug drücken. | |
Taten statt Worte haben schon die NSU-Terroristen propagiert. Der Islam und | |
damit die „Ausländer“ gehören nicht hierher. Schließlich geht es hier um | |
den Erhalt der Deutschen Nation. Es wird alles beim Alten bleiben. Ein paar | |
Tage Trauer, die Fahnen auf halbmast, alles bleibt, wie es ist. Es wird | |
nicht besser. Es wird schlimmer. Es kommen die nächsten Seehofers, die den | |
Rechtsradikalismus mit der Thematisierung der Clankriminalität bekämpfen | |
wollen. Schon wieder sind es die „Ausländer“, die schuld daran sind, dass | |
es Rechtsradikalismus in Deutschland gibt. Wer erklärt dieser Mutter, dass | |
ihr Sohn umsonst gestorben ist? | |
Seda Başay-Yildiz, NSU-Nebenklageanwältin, Frankfurt | |
*** | |
Hätte ein islamistischer Terrorist in Deutschland zehn Menschen erschossen, | |
weil er gegen „Ungläubige“ vorgehen wollte, hätte es – völlig zu Recht… | |
einen Aufschrei gegeben, der wochenlang nachhallt. Aber nach dem Terror von | |
Hanau? Schnell ist Normalität eingekehrt. Kein Mensch ist auf die Idee | |
gekommen, Karneval ausfallen zu lassen. Und hat irgendjemand eigentlich | |
etwas über die Beerdigungen der Opfer gelesen? Kann wenigstens einen Namen | |
der Ermordeten nennen? Mich erstaunt das nicht. | |
Das ist kein neues Gefühl, dass Menschen, die braune oder schwarze Haut | |
haben oder die einen fremd klingenden Namen tragen, in dieser Gesellschaft | |
weniger wert sind. Wenn sie wegen genau dieser Eigenschaften ermordet | |
werden, ist es anscheinend weniger schlimm. Politiker wie Friedrich Merz | |
von der CDU vermitteln in dieser Lage allen Ernstes, am Rechtsextremismus | |
seien letztlich die Ausländer selbst schuld. So wie CSU-Politiker Horst | |
Seehofer behauptete, Migration sei „die Mutter aller Probleme“. | |
So wie der CDU-Mann Heinrich Lummer, als Anfang der Neunzigerjahre | |
Flüchtlingsheime brannten und Menschen ermordet wurden, erklärte: „Ich | |
warne vor einer Überfremdung Deutschlands!“ All das ist inakzeptabel. Wie | |
wird es weitergehen in Deutschland? Wir werden uns wehren, immer wieder, | |
mit Worten und allen demokratischen und juristischen Mitteln. Wir müssen | |
noch viel lauter werden. | |
Hasnain Kazim, Autor, Wien | |
*** | |
Das Attentat in Hanau erschüttert zahllose Menschen in Deutschland. | |
Scheinbar aus dem Nichts wurden Menschen mitten aus dem Leben gerissen, | |
plötzlich, sinnlos, unbegreiflich. Den Zusammenbruch all dessen, was wir | |
für sicher und stabil in unserem Leben halten, müssen die Angehörigen nun | |
ertragen. Und wir müssen uns fragen, was können und was müssen wir tun, | |
damit nicht noch mehr unschuldige Menschen mitten aus unserer Gesellschaft, | |
mitten im Alltag, mitten unter uns ermordet werden? | |
Das Waffengesetz in Deutschland ist eines der restriktivsten der Welt. Was | |
versäumen wir? Offensichtlich geht es um die Vernetzung von Informationen, | |
denn der mutmaßliche Täter war als Waffenbesitzer bekannt und er war ebenso | |
als psychisch belastet auffällig geworden, als er Anzeige, gegen eine | |
imaginäre Geheimdienstorganisation stellte. Die Zusammenführung der | |
Informationen hätte zum sofortigen Entzug der Berechtigung zum Besitz von | |
Schusswaffen geführt. | |
Neben dieser Vernetzung ist eine obligatorische psychologische Begutachtung | |
von Waffenbesitzern, wie sie als Antrag 2017 bei der Revision der EU | |
Feuerwaffenrichtlinie vorlag und abgewiesen wurde, sinnvoll. Im Leben eines | |
jeden Menschen kann es Entwicklungen geben, die ihn aus der Bahn werfen. | |
Der Besitz einer Schusswaffe kann in einer solchen Situation fatale Folgen | |
haben. | |
Gisela Mayer, Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden | |
*** | |
Der Terroranschlag in Hanau hat nicht überrascht, aber geschockt. Es hat | |
Menschen getroffen, die meine Geschwister hätten sein können. Meine | |
Geschwister waren am Samstag wieder in einer Shishabar. Meine Schwester | |
sagt am Telefon, wir sind immer in die Shishabar gegangen. Wir werden es | |
auch weiterhin tun. | |
Vor rechtem Terror können wir uns nicht selber schützen. Nur die | |
Sicherheitsbehörden können das, die Zivilgesellschaft kann das, die Politik | |
kann das. Die Sicherheitsbehörden, in dem sie ihrer Pflicht nachkommen, | |
alle Menschen zu schützen, und mit der Entnazifizierung in den eigenen | |
Reihen und Köpfen beginnt. Die Zivilgesellschaft, in dem sie rechter | |
Ideologie keinen Quadratzentimeter Boden einräumt, in dem sie sich als | |
antifaschistisch versteht. Und die Politik, die ein verschärftes | |
Waffenrecht durchsetzt, erwirkt, dass die NSU-Akten geöffnet werden, die | |
Förderung für zivilgesellschaftliche Projekte sicherstellt, keine | |
Kompromisse mit der AfD eingeht und Rassismus benennt. | |
Ronya Othmann, Autorin, München | |
*** | |
Der Anschlag in Hanau kam nicht unerwartet. Erst kurze Zeit vorher ist ein | |
Nazi-Terrornetzwerk von der Polizei hochgenommen worden. Die formulierten | |
Ziele der Neonazis waren Terroranschläge auf die muslimische Minderheit des | |
Landes, um dadurch Bürgerkriegszustände herzustellen. Dieses Wissen führt | |
nicht dazu, dass es einem weniger das Herz zerreißt, dass diese | |
unschuldigen Menschen sterben mussten. Die Trauer, die sich jetzt in ihren | |
Familien ausbreitet, muss unermesslich sein. Schlimm waren auch | |
Relativierungsversuche in den sozialen Medien und anderswo. | |
Dass es einen hundertprozentigen Schutz nun einmal nicht gebe, usw. Eine | |
solche Aussage macht es sich zu einfach. Niemand fragt hier nach dem | |
Unsterblichkeitskraut. Es geht um menschenrechtliche Schutzpflichten des | |
Staates, die eingehalten werden müssen, auch wenn das nicht zu einem | |
absoluten Schutz führen kann. Dazu gehört: dass der Staat keine Ressourcen | |
scheut, den NSU-Komplex vollständig aufzulösen, alle Netzwerke von Nazis zu | |
identifizieren und wirksame Maßnahmen gegen sie zu ergreifen. Bisher | |
blieben die Mahnungen von Betroffenen und Opferanwälten ungehört. Auch nach | |
innen hin muss der Staat aktiv werden und in den eigenen Behörden, | |
insbesondere im Sicherheitsapparat die Verbindung zu Nazistrukturen mit | |
einer Null-Toleranz-Linie eliminieren, also eine Entnazifizierung 2.0. | |
durchführen. | |
Die Generalbundesanwaltschaft sollte Rechenschaft darüber ablegen, wie sie | |
mit den Informationen aus dem Brief umgegangen ist, den der Attentäter aus | |
Hanau vorab dort eingesandt hat. Darüber hinaus sollte der Staat einen | |
wirksamen, zugänglichen und schnell handelnden Beschwerdemechanismus für | |
die Angehörigen der Opfer einrichten. Für potenziell Betroffene sollte es | |
eine Meldestelle geben, wo sie bei Verdacht auf Verfolgung sofort Schutz | |
finden können. | |
Deniz Utlu, Schriftsteller, Berlin | |
*** | |
Was heißt es, mit einer Narbe, dem Verlust eines Bruders, eines Sohnes, | |
eines Mannes zu leben? Ich habe 2004 den Nagelbombenanschlag in Köln | |
miterlebt, habe jahrelang den NSU-Prozess mitgemacht und wurde wie mein | |
Mann beschuldigt: Bandenkrieg oder Zuhälterei oder irgendetwas anderes. | |
Rassismus ausgeschlossen. Mein Sohn hat seinen Vater mit sieben Jahren | |
unter die Erde gelegt. Deutschland, du hast in Bezug auf Rassismus versagt! | |
Wir sind hier geboren, wir haben einen deutschen Pass, wir reden deutsch, | |
wir halten uns an Gesetze. Aber das hat euch nicht gereicht. | |
Wenn ihr Integration wollt, beherrscht erst einmal unsere Namen und unsere | |
Geschichten. Vorher seid ihr keine Deutschen. Die Morde und Anschläge | |
passieren in eurem Land. Das gehört zu eurer Geschichte. Was ihr als Trauer | |
bezeichnet, ist eine tiefe Narbe, die wir im Herzen haben, die ihr zwei | |
Tage lang lebt, indem ihr Kerzen anzündet. Ich bitte euch, die Familien der | |
Opfer in Hanau nicht nur bei Trauerveranstaltungen zu unterstützen. Ich | |
bitte euch, eure Kinder so zu erziehen, dass sie nicht irgendwann einmal | |
Akten wegschließen. | |
Candan Özer Yılmaz, Witwe von Atilla Özer, der 2004 beim rassistischen | |
Nagelbombenanschlag des NSU in einem Friseurladen in der Kölner Keupstraße | |
schwer verletzt wurde und später starb. | |
*** | |
Als klar wurde, was in Hanau passiert ist, war mein erster Gedanke: Jetzt | |
ist es wieder passiert. Wochen vor der Tat habe ich mich mit anderen über | |
die Stimmung in Deutschland unterhalten. Überall war das Gefühl: Es wird | |
bald wieder etwas passieren, wir wissen nur nicht, wo. Nun ist es Hanau. | |
Mich lässt nicht los, dass es die Kinder und Enkel der Zugewanderten und | |
Gastarbeiter getroffen hat. Ich hatte nach dem Auffliegen des NSU mal eine | |
Lesung, da kam ein Mann zu mir, der sagte, er sei nach Deutschland | |
gekommen, damit seine Kinder hier eine bessere Zukunft hätten, und nun | |
gingen seine Kinder zurück in die Türkei, um diese bessere Zukunft dort zu | |
suchen. Da bricht gerade etwas zusammen: das Gefühl, hier geschützt und | |
Teil der Gesellschaft zu sein. Ich sage in meinem Wahlkreis immer: Wendet | |
euch an die Behörden, wenn es Probleme gibt, die sorgen für euch. Jetzt | |
gibt es Momente, an denen ich zweifle, ob das so noch stimmt. | |
Ich selber habe nie erwogen, Deutschland zu verlassen, das ist keine | |
Option. Hier ist mein Kind geboren, hier ist mein Freundeskreis, mein | |
Lebensmittelpunkt. Ich bleibe da, wo ich bin. Ich mache mich jetzt noch | |
breiter, lasse mir keine Räume nehmen. Das Oberste ist jetzt, dass der | |
Staat uns schützt, und zwar alle. Dass er Rassismus wirklich wirksam | |
entgegentritt. Und dann müssen wir uns über unsere Zukunft austauschen: Wie | |
wollen wir miteinander leben? Da, wo etwa die AfD zu spalten sucht, da muss | |
uns das Einende gelingen. Es ist genau die Umvolkungsideologie dieser | |
Partei, die kranke Menschen wie in Hanau zur Tat schreiten lässt. Als ob | |
mein deutschtürkisches Kind Teil eines Geheimplans wäre, Deutschland zu | |
unterwandern – wie absurd und niederträchtig! Wir müssen diese Partei | |
endlich konsequent ausgrenzen. | |
Canan Bayram, Grünen-Abgeordnete, Berlin-Kreuzberg | |
*** | |
Hanau hat etwas in mir verändert. Ich habe mich bislang in der | |
Öffentlichkeit immer als „Migrantin undercover“ gefühlt. Ich heiße Julia | |
Wasenmüller. Dass meine Familie aus Kasachstan kommt und wir in die | |
Kategorie „Russlanddeutsche“ fallen, sieht man mir nicht an. Ich bin weiß. | |
Am Tag des Anschlags in Hanau habe ich mich gefragt, wie ich meine | |
BIPOC-Freund*innen unterstützen kann, wo ich nicht die erste Zielscheibe | |
rechter Gewalt bin und überall als Kartoffel durchgehe. Ein Bild-Reporter | |
nahm noch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ein Video vor einer der | |
Shishabars in Hanau auf und spricht von einer „Milieutat“. Diesmal sollen | |
es „die Russen“ gewesen sein. | |
Klar, Migrant*innen morden mal wieder unter sich. Die Nachricht macht mich | |
wütend. Am Freitag lese ich, dass am Donnerstagnachmittag, also ein Tag | |
nach Hanau, in Berlin-Schmargendorf ein Typ mit Nazitattoos und | |
Luftdruckgewehr vor der Brust in einen russischen Supermarkt lief. Die | |
Polizei erkennt kein politisches Tatmotiv. Ich schreibe meinen Freund*innen | |
mit PostOst-Background. Maksim antwortet, dass er vor unserem letzten | |
Treffen in diesem Supermarkt eingekauft hat. Ich muss schlucken. Plötzlich | |
fühlt sich das alles ziemlich nah an. Die meisten Menschen in meiner | |
Familie sprechen kein perfektes Deutsch und heißen Olga, Viktor oder | |
Vitali. Hanau trifft uns alle, die wir von Nazis als „anders“ markiert | |
werden. | |
Julia Wasenmüller, Social-Media-Redakteurin bei der taz | |
*** | |
Als ich am Donnerstag beim Frühstück saß und im Radio von neun Ermordeten | |
in Hanau hörte, war ich entsetzt. Doch als kurz danach die rassistischen | |
Motive des Täters bekannt wurden, traten zur Trauer bald auch Wut und | |
Frustration hinzu: Wären diese Morde zu verhindern gewesen, wenn der Staat | |
früher und entschlossener gegen Rassismus und die Bedrohung durch rechten | |
Terror vorgegangen wäre? Als Bildungsstätte Anne Frank hatten wir erst | |
wenige Tage zuvor darauf hingewiesen, wie gering uns der Aufschrei über die | |
enttarnte Terrorgruppe S. erschien. | |
Die Bedrohung von rechts muss endlich ernst genommen werden. Wir brauchen | |
keine Schnellschüsse, sondern eine neue Strategie: Eine koordinierte | |
Zusammenarbeit des Staats und der Zivilgesellschaft. Ist die Politik jetzt | |
bereit, die Versäumnisse der Vergangenheit anzuerkennen und entschlossen zu | |
handeln? Wahrscheinlicher ist, dass auch dieser Terroranschlag wie seine | |
Vorgänger ganz schnell ad acta gelegt wird. Und beim nächsten rechten | |
Anschlag werden wir wieder Floskeln wie „Tragödie“ und „Alarmsignal“ zu | |
hören bekommen. | |
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank | |
*** | |
Was empfinde ich nach dem rassistischen Anschlag von Hanau? Trauer. | |
Mitgefühl. Mitleid. Wütende Entschlossenheit. Keine blinde Wut. Gerechte | |
Wut nennt man das biblisch. Darüber, dass ausgerechnet in Deutschland jeden | |
Tag Menschen rassistisch und antisemitisch beleidigt, angegriffen, getötet | |
werden. Müsste Deutschland nicht das weltweite Vorbild darin sein, | |
Rechtsextremismus zu ächten und zu bekämpfen? Kann das Grauen der Schoah | |
nach gerade mal drei Generationen vergessen sein? | |
Der Glaube daran, dass Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft „nie | |
wieder“ Platz haben werde, ist schon lange verflogen. Ich möchte von allen | |
Politiker*innen hören, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Ich | |
möchte im Fernsehen nicht mit rechtsextremen Positionen konfrontiert | |
werden. Ich möchte, dass jemand, der das Dritte Reich als „Vogelschiss“ | |
bezeichnet, rechtliche Konsequenzen trägt. Ich möchte, dass nicht nur von | |
Rassismus und Antisemitismus Betroffene sich dagegen stellen. Ich möchte, | |
dass nach Hanau alle Menschen in Deutschland wütend entschlossen sind. | |
Gilda Sahebi, Politikwissenschaftlerin und Journalistin | |
*** | |
Meine eine ersten Gefühle nach Hanau: Angst, Ohnmacht, Wut. Was passiert, | |
wenn Deutschland kippt? Wohin gehen wir? Es reicht, dachte ich mir, dass | |
Rassismus kleingeredet und immer wieder von Fremdenfeindlichkeit gesprochen | |
wird. Es reicht, dass ein Ali es schwerer hat als ein Thomas, eine Wohnung | |
zu bekommen. Es reicht, dass eine Fatma mit Kopftuch sich viermal mehr als | |
eine Anna bewerben muss, um bei gleicher Qualifikation zum | |
Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Es reicht, dass wir bei Angriffen | |
auf PoCs, die täglich stattfinden, direkt zur Tagesordnung übergehen. | |
Ich selbst erhalte immer wieder Morddrohungen, stehe auf Todeslisten, | |
bekomme Polizeischutz, erlebe Hass und Hetze von rechts wie nie zuvor in | |
meinem Leben. Rassismus ist in unserem Land heute keine Ausnahme, Rassismus | |
ist für viele Menschen Alltag. Manch eine Kopftuch- oder Leitkulturdebatte, | |
manch eine Äußerung über Migration und Flüchtlinge, über Clans und | |
Shishabars – und damit meine ich insbesondere, aber nicht nur die AfD – | |
haben den Boden dafür bereitet, indem sie Deutschland in ein „wir“ und ein | |
„die“ eingeteilt haben. | |
Spaltung beginnt in den Köpfen und setzt sich in Bestsellern, | |
Kommentarspalten und Tweets fort. Und wer dann nur noch mit Gleichgesinnten | |
in der eigenen Blase kommuniziert, da ist es kein großer Schritt mehr hin | |
zur Radikalisierung. Und dann können aus dem Hass auf Migranten, auf | |
Muslime, auf Flüchtlinge, der in den letzten Jahren massiv befeuert wurde, | |
auch schreckliche Taten werden. Hanau steht dafür beispielhaft. | |
Fakt ist aber auch: Wir können nicht bei Ohnmacht, Wut und Angst stehen | |
bleiben. Mehr als jemals zuvor in der Geschichte des wiedervereinigten | |
Deutschland muss es für uns Demokraten heißen: Jetzt erst recht. Wir | |
überlassen den Hatern dieses Land nicht. Dafür brauchen wir vieles. Als | |
Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement setze ich mich dafür | |
ein, die Zivilgesellschaft in ihrem Einsatz gegen rechts und für Demokratie | |
zu stärken, Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dieses | |
Engagement sich besser entfalten kann. | |
Ich kämpfe dafür, dass zivilgesellschaftliches Engagement einen höheren | |
Stellenwert in der Politik findet und als das anerkannt wird, was es ist: | |
nämlich Bollwerk und Betriebssystem für unsere Demokratie. Denn wohin | |
schweigende Mehrheiten führen, wissen wir in Deutschland. Ich setze mich | |
dafür ein, dass Antisemitismus und Rassismus nicht immer weiter um sich | |
greifen. Auch gehört für mich dazu, dass wir uns endlich mit dem Phänomen | |
des antimuslimischen Rassismus auseinandersetzen. | |
Das Thema gehört – endlich – auf die Agenda der Bundespolitik. In vielen | |
Gesprächen mit Abgeordneten quer durch die demokratischen Parteien und mit | |
Regierungsvertretern spüre ich Zuspruch, zugleich aber auch große Vorsicht. | |
Ich wünsche mir, dass jetzt endlich Mutige vorangehen, das Gespräch mit | |
Fachleuten suchen und den Betroffenen signalisieren: Wir lassen euch nicht | |
allein, sondern packen das Thema an. | |
Auf Landesebene haben wir schon einiges unternommen. Die Polizei ist | |
wachsam. Moscheen werden geschützt. Es gibt Beratung für Betroffene und | |
Projekte, die Mut machen. Gerade weil es so viele Engagierte, so | |
vielfältiges muslimisches Leben und einen so großen Sachverstand in Berlin | |
gibt, setze ich jetzt auch auf den nächsten Schritt: dass wir eine | |
systematische Bestandsaufnahme machen und Handlungskonzepte erarbeiten. | |
Wir müssen uns vor allem fragen: Wie können wir eine übergreifende Allianz | |
aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung schmieden, um | |
diese schreckliche Spaltung in „die“ und „wir“ zu überwinden, um gemei… | |
eine bessere Zukunft zu gestalten? Die Angriffe auf die Demokratie laufen | |
weltweit. Das bedeutet, wir brauchen eine globale Strategie, um sie | |
abzuwehren. Als Staatssekretärin für Internationales trete ich dafür ein, | |
dass wir Allianzen von Städten bilden im Kampf gegen die Feinde der | |
Demokratie. | |
Ganz besonders mit den Städten, in denen die nationalen Regierungen die | |
Räume der Zivilgesellschaft und ihre Grundrechte immer weiter einschränken. | |
Bei allen Problemen und Herausforderungen, die es auch in der Hauptstadt | |
gibt, bin ich dankbar und stolz darauf, dass Berlin ein Garant für | |
Toleranz, Offenheit und Akzeptanz ist. Dass wir einen Innensenator haben, | |
der mit der notwendigen Sensibilität in diesem Bereich agiert. | |
Seit dem Mord an Walter Lübcke ist insgesamt einiges auf den Weg gebracht | |
worden im Kampf gegen Rechtsextremismus und Hass im Netz. Die Politik ist | |
sensibilisiert. Es gibt ein neues Bewusstsein dafür, dass es so nicht mehr | |
weitergehen kann und dass wir tiefergreifende Maßnahmen brauchen, um den | |
Vormarsch der Rechtsterroristen zu stoppen. Ich bin ich zuversichtlich, | |
dass es uns gelingt, das Klima der Angst zu überwinden und ein | |
Stimmungswandel in unserem Land zu erreichen. Viele sind in den letzten | |
Monaten aufgestanden. Lasst uns das Momentum nutzen! | |
Sawsan Chebli, Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei | |
27 Feb 2020 | |
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