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# taz.de -- Nach Hanau: Zeichen, die ermutigen
> Rechtsterroristen wollen die Gesellschaft in Angst versetzen. Doch das
> Selbstbewusstsein der Betroffenen wächst. Die Mörder werden ihr Ziel
> nicht erreichen.
Bild: Demonstration in Hanau nach dem Attentat
Ein „Weiter so!“ darf es nach Hanau nicht geben, heißt es auf
Demonstrationen und in Leitartikeln. Aber was folgt daraus? Es war das
dritte Mal, dass in Deutschland ein rassistisches Attentat nach dem Muster
eines Amoklaufs verübt wurde. Das Motiv: Rassismus. Die erschreckendste
Erkenntnis aus diesen Verbrechen ist, dass die Mörder mitten unter uns sind
und jederzeit wieder zuschlagen können.
Die Täter von [1][Hanau], [2][Halle] (2019) und [3][München] (2016) waren
keine organisierten Faschisten der „Generation Hoyerswerda“ so wie der NSU
oder der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter
Lübcke, auch wenn sie sich deren Propaganda bedienen. Die Täter von heute
sind tickende Zeitbomben, und sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft,
die immer weiter nach rechts driftet. Die Situation ist deshalb
brandgefährlich.
Rassismus ist nicht das Gift, das die Gesellschaft von außen zerstört, wie
die Kanzlerin behauptet, sondern ein Fundament, das die patriarchale
kapitalistische Ordnung in den reichen Metropolen des Nordens seit der
Kolonisierung des Südens stützt. Die Krise des globalisierten Kapitalismus
geht mit einem beängstigenden Aufschwung rechtspopulistischer Parteien,
faschistischer Bewegungen und des Rassismus einher.
Die Rechtspopulisten sind die geistigen Brandstifter und die Paten der
Rechtsterroristen. Politiker*innen nahezu aller Couleur greifen deren
Hetzreden auf und setzen eine rigorose Abschottung gegen die Bewegung der
Migration durch, fordern schnellere Abschiebungen und mehr Polizei gegen
„ausländische Clans“. Die hessische Landesregierung ließ die VS-Akten
kurzerhand für 120 Jahre sperren, verkürzte diese Frist aber auf 30 Jahre,
weil diese Dreistigkeit nicht unwidersprochen blieb. Die Verstrickung des
V-Mann-Führers Andreas Temme, der beim Mord des NSU an Halit Yozgat 2006 in
Kassel am Tatort war, sollte offensichtlich vergessen gemacht werden. Dabei
hatte die Kanzlerin den Angehörigen der Opfer 2013 lückenlose Aufklärung
zugesichert.
## Drang zur Selbstdarstellung
Das erklärte Ziel der Rechtsterroristen ist, die Gesellschaft so sehr in
Angst und Schrecken und bürgerkriegsähnliche Zustände zu versetzen, dass
sie sich als Ordnungsmacht dagegen inszenieren können. Es sei zweitrangig,
ob die Mörder „verrückt“ seien, schreibt Georg Seeßlen in der Zeit vom 2…
Februar 2020. Die Täter wähnten sich als Vollstrecker eines faschistischen
Weltbildes und sind angetrieben vom grenzenlosen Hass auf alle Menschen,
die sie als die Anderen identifizieren.
Was die Terroristen eint, ist ihr zutiefst rassistisches, antisemitisches
und antifeministisches Weltbild und nicht zuletzt ihr Drang zur
Selbstdarstellung. Ihre größten Vorbilder sind der Massenmörder Anders
Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen tötete, und
der australische Rechtsterrorist, der 2019 bei einem Attentat im
neuseeländischen Christchurch 51 gläubige Muslime ermordete. Seit dem
Mordanschlag 2016 in München, bei dem ein 18-jähriger Schüler im
Olympiapark neun Menschen erschoss, war zu befürchten, dass rassistische
Attentate, wie das auf Utøya, auch bei uns jederzeit stattfinden können.
Klaus Theweleit liefert in seinem Essay „Das Lachen der Täter“ eine
Erklärung, was die Mörder antreibt. Sie seien „Dominanzmännertypen“ und
glaubten, im Namen eines „höheren Rechts“ zu handeln. Für Theweleit sind
diese rassistischen Mordexzesse keine Ausnahmen, sondern die unserer
Gesellschaft zugrunde liegende Normalität.
Aber welche Handlungsmöglichkeiten bleiben uns nach dieser düsteren
Diagnose überhaupt? Eine Antwort gibt uns die Mutter des in Hanau
ermordeten Ferhat Ünvar: „Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein.“ Wir
seien alle dafür verantwortlich, dass keinem weiteren Menschen zustoße, was
ihrem Sohn zugestoßen ist. Der Versuch der Täter, sie zu Fremden zu machen,
weisen die Familien der Opfer entschieden zurück. Das Erste, was wir tun
sollten, ist, den Opfern und ihren Angehörigen beistehen, damit sie mit
ihrem Schmerz nicht allein sind, ihre Stimmen und Geschichten gehört und
die Ermordeten zu Subjekten werden und nicht vergessen werden.
Das war unsere Lehre nach der Selbstenttarnung des NSU. Es ist ermutigend,
wie schnell die spontane Aufforderung #SayTheirNames nach Hanau
aufgegriffen und verbreitet wurde. Aber das reicht nicht, denn wir können
erheblich mehr tun: solidarische Netzwerke schaffen, in denen Menschen
unterschiedlicher Herkunft und Geschichte sich respektvoll begegnen, sich
zuhören und gemeinsam und entschieden dem alltäglichen Rassismus
entgegentreten; Gesicht zeigen, sich nicht einschüchtern lassen, öffentlich
Stellung beziehen und die vielfältigen antirassistischen Initiativen
tatkräftig unterstützen und ihnen so zu mehr öffentlicher Wirksamkeit
verhelfen.
Und weiter: den institutionellen Rassismus bekämpfen, zum Beispiel
[4][Racial Profiling] und die Praxis der Polizei, bestimmte Personengruppen
oder Orte wie Shisha-Bars [5][einer besonderen Beobachtung] zu unterziehen
und sie zu stigmatisieren – und nicht zuletzt geschichtspolitische
Initiativen ergreifen, in denen die Kämpfe der Migration sichtbar werden,
um Menschen zu befähigen, sich kritisch mit kolonialen und rassistischen
Denkmustern und gesellschaftlichen Machtverhältnissen auseinandersetzen und
sie nicht als gegeben hinzunehmen.
„Die, die diese Taten begangen haben, sollen nicht denken, dass wir dieses
Land verlassen werden“, sagt Elif Kubaşik, deren Mann, Mehmet Kubaşik 2006
in seinem Kiosk in Dortmund vom NSU hingerichtet wurde. Dieses Statement
und die der Angehörigen aus Hanau zeugen von wachsendem Selbstbewusstsein
bei Opfern rassistischer Gewalt. Das gibt uns Hoffnung und belegt
eindrucksvoll, dass die Mörder ihr Ziel nicht erreichen werden. Denn
Migration ist unumkehrbar – oder wie es Tausende auf den Demonstrationen in
den Tagen nach Hanau rufen: „Yalla Yalla Migrantifa!“
14 Mar 2020
## LINKS
[1] /Antimuslimischer-Rassismus/!5666322
[2] /Anschlag-auf-Synagoge-in-Halle/!5633937
[3] /Zwei-Jahre-nach-dem-Muenchner-Amoklauf/!5524500
[4] /Berliner-Polizei/!5657979
[5] /Clankriminalitaet-in-Berlin/!5637715
## AUTOREN
Martin Rapp
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