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# taz.de -- Freispruch für Beleidiger von Chebli: Wo ist die deutsche Mitte
> Die Mitte ist ein weites Feld, das zeigen zwei aktuelle Urteile darüber,
> wer was wo eigentlich Mitte ist.
Bild: Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, SPD
Geografisch betrachtet muss man Friedrich Merz recht geben: Apolda liegt
weit mehr in der Mitte von Deutschland als Berlin-Kreuzberg, zumindest von
oben nach unten gesehen. Da liegt Kreuzberg ziemlich weit oben im
Nordosten, während das thüringische Kreisstädtchen (22.012 Einwohner*innen
laut Wikipedia) eher in der Mitte der Bundesrepublik liegt. Allerdings
ziemlich weit rechts in der Mitte. Also rein geografisch gesehen.
In Apolda hatte der Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz vor örtlichen
Parteifreund*innen am Aschermittwoch beurteilt, wo die Mitte von
Deutschland ist, nämlich in Apolda: „Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg,
das ist mitten in Deutschland“, „schmetterte“ (Focus) der Mann, der die C…
zurück in die Mitte und dafür nach rechts bewegen will, ihnen entgegen.
Sollte er es nicht geografisch gemeint haben (und das darf man vermuten,
wenn er Kreuzberg als Gegenbild bemüht, das vielen außerhalb Berlins immer
noch als Einwandererhotspot gilt), hat Merz jedoch unrecht.
Nur 4,1 Prozent der Apoldaer*innen hatten nämlich laut Mikrozensus 2011
einen Migrationshintergrund. Damit liegt das Städtchen weit unter dem
damaligen Bundes-Mittelwert von 19,2 Prozent. In Berlin, siehe Meldung auf
Seite 20, liegt der Wert aktuell bei 35 Prozent. Und unter Berlins Bezirken
ist übrigens – hallo, Herr Merz! – Kreuzberg gar nicht Spitzenreiter,
sondern Mitte: mit 54 Prozent. Aber das weiß Merz vielleicht nicht oder
weiß es doch und sagt trotzdem Kreuzberg, denn Mitte, dass ist da, wo
ausländische Botschaften, internationale Firmenniederlassungen und Büros
ausländischer Medien sind. Also die kosmopolitische Welt des Herrn Merz,
der ja auch in Aufsichtsräten mehrerer internationaler Unternehmen sitzt.
Und das – jetzt auf Statusebene betrachtet – auch für Mitte hält.
In Mitte arbeitet auch Sawsan Chebli, als Staatssekretärin im Rathaus. Die
Diplompolitologin und Einwanderertochter hat sich vom prekären Rand der
Gesellschaft in die Mitte hochgearbeitet. Dafür wird sie permanent und
ekelhaft beleidigt. Gegen einen, der sie „Quotenmigrantin“ und „islamische
Sprechpuppe“ nannte, hatte Chebli geklagt. Der legte gegen eine Geldstrafe
von 1.500 Euro Berufung ein: Quotenmigrantin sei eine sachliche
Feststellung, islamische Sprechpuppe keine Beleidigung, so seine Argumente.
Das sah das Gericht (übrigens in Mitte) am Donnerstag in zweiter Instanz
dann ganz genauso. Die Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt
und nicht strafbar: ein Freispruch in Mitte.
„Wenn diese Hater denken, dass sie mich jetzt zum Schweigen bringen, irren
sie“, sagte Sawsan Chebli am Donnerstag Nachmittag in einer ersten Reaktion
auf das Urteil: „Ich werde weiter meine Stimme laut erheben. Es ist gut zu
wissen, dass ich dabei auf viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter zählen
kann.“ Es wäre noch besser, zu wissen, dass die die Mitte sind.
27 Feb 2020
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Sawsan Chebli
Friedrich Merz
Mitte
Sawsan Chebli
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rechter Terror
#Unteilbar
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