# taz.de -- Friedrich Merz über Berlin-Kreuzberg: Ein Code für Rassismus | |
> Der Kandidat für die CDU-Spitze sucht sich sein Publikum. Er findet es im | |
> thüringischen Apolda und bedient dabei gefährliche Ressentiments. | |
Bild: Das Epizentrum des abendländischen Untergangs: Berlin-Kreuzberg | |
Berlin-Kreuzberg also. Die Hetzer sind nicht nur bei der AfD zu Hause, was | |
vielen Bürgern hierzulande ja ganz recht wäre, sieht man ihre Neigung, das | |
Problem des Rassismus auf den offiziellen parlamentarischen Arm des | |
Rechtsextremismus auszulagern. Die Hetzer haben auch in der Partei Helmut | |
Kohls und Angela Merkels ein Zuhause. [1][Friedrich Merz, der gerade den | |
mächtigsten Posten innerhalb dieser „Volkspartei“ anstrebt], qualifiziert | |
sich gerade als deren Sprachrohr. | |
Wer er ist und was ihn für viele Konservative so reizvoll macht, die sich | |
selbst nicht als Wutbürger, sondern traditionsbewusste Bürgerliche sehen, | |
demonstriert Merz in den vergangenen Tagen am laufenden Band. Es sind keine | |
Ausrutscher, es ist durchdachtes Kalkül, ein Machtspiel, das Menschen wie | |
er im Zweifelsfall auch auf Kosten von Menschenleben spielen, siehe Hanau. | |
Nur wenige Tage nach dem [2][rechtsextremen Anschlag von Hanau], bei dem | |
Menschen an einem im Zusammenhang vermeintlicher oder echter Kriminalität | |
lange geschürten, rechten Feindort Shishabar getötet wurden, twitterte Merz | |
von rechtsfreien Räumen und Clanstrukturen, die es aufzubrechen gelte. | |
Während der Pressekonferenz am Dienstag, bei der er seine Kandidatur | |
erklärte, stellte ein Kollege eine präzise Frage: Ob Merz Rechtsextremismus | |
mit der stärkeren Thematisierung von Clankriminalität und Grenzkontrollen | |
bekämpfen wolle. „Die Antwort ist ja“, antwortete Merz mit kaltem Blick. | |
Zwei Tage später sprach er dann beim [3][politischen Aschermittwoch in | |
Apolda]. Dort sagte er: „Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg, das ist | |
mitten in Deutschland.“ Gerade in Thüringen sagte Merz das. Gerade nach | |
Hanau. | |
## Kein Versehen | |
Berlin-Kreuzberg. Ein bewusst verwendeter Code, den Merz nicht aus Versehen | |
in Thüringen abruft. Der Code ist rassistisch: Berlin-Kreuzberg ist dieser | |
türkisch geprägte Ort in Berlin, dessen Zentrum „Merkezi“ in leuchtenden | |
grünen Lettern auf Türkisch ausgewiesen ist; der Ort, wo man an jeder Ecke | |
türkische Sprachtfetzen aufschnappt. | |
Der Code ist außerdem antisemitisch: weil Kreuzberg ein Resultat von | |
moderner Urbanität ist, von vielfachen Interaktionen, grenzenlosen | |
Bewegungen, der Fluidität des Großstadtlebens – all das steht für | |
Rechtsextreme, aber auch für Konservative wie Merz für verhängnisvolle | |
Entwurzelung, Heimat- und Traditionslosigkeit, abstraktes Leben. Als | |
Gegensatz dazu, und deshalb ist es entscheidend, dass Merz diesen Satz | |
gerade in Thüringen getätigt hat, beanspruchen sie Traditonsbewusstsein, | |
Verwurzelung, Heimat. Ein konstruierter Gegensatz, der antisemitisch ist, | |
weil in der Ideologie des Antisemitismus, im Nationalsozialismus, das | |
Jüdische als abstrakt, modern, kosmopolitisch fantasiert wird, das | |
Landleben dagegen als konkret, greifbar, deutsch. | |
Dieser antimoderne Gegensatz wird von neurechten Extremisten wie der | |
sogenannten „Identitären Bewegung“ mobilisiert, die dann vom „großen | |
Austausch“ in den Metropolen schwadronieren. Vieles weist darauf hin, dass | |
der Täter von Hanau die Idee hatte, dass man diesen halluzinierten Vorgang | |
nicht mehr rückgängig machen könne und deshalb zur Waffe greifen und töten | |
müsse. Und Merz mobilisiert das Bild des großstädtischen Verfalls nun für | |
seinen Wahlkampf. Das ist der diskursive rote Faden, der sich nach Hanau | |
durch Konservatismus und Rechtsextremismus zieht. Denn Berlin-Kreuzberg | |
steht für das, was in Hanau angegriffen wurde. | |
27 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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