# taz.de -- Zerrissene Thüringer CDU: In der Klemme | |
> Der Linke Bodo Ramelow soll mit CDU-Stimmen zum Thüringer | |
> Ministerpräsidenten gewählt werden. Kann die Partei das überstehen? | |
Bild: Politischer Aschermittwoch, Apolda: CDU-Gernegroß Friedrich Merz (l.) un… | |
Am kommenden Mittwoch um 14 Uhr steht im Erfurter Landtag die Wahl zum | |
Ministerpräsidenten erneut auf der Tagesordnung. Einziger Kandidat bislang | |
laut Drucksache 7/340: der zuletzt unterlegene Linke Bodo Ramelow. | |
Vorgeschlagen haben ihn Linkspartei, SPD und Grüne. „Wir gehen davon aus, | |
dass Bodo Ramelow im ersten Wahlgang mindestens 46 Stimmen erhält und | |
gewählt ist“, sagte die linke Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow. Sie | |
erwarte, dass die mit der CDU ausgehandelte Stabilitätsvereinbarung greife. | |
Sonst will die Linke eine Auflösung des Parlaments beantragen. | |
Das heißt, auch wenn sich alle wegen der vertrackten Gemengelage | |
wohlüberlegt um eine klare Formulierung herumdrücken: Vier CDU-Abgeordnete | |
müssen im ersten Wahlgang für Ramelow stimmen, denn Rot-Rot-Grün hat keine | |
Mehrheit. | |
Für einen Linken stimmen? Das wäre für manche ChristdemokratInnen, wie etwa | |
Christian Sitter, der Sündenfall. Das werde die CDU zerreißen, hat der | |
Landeschef der Werteunion, eines kleinen Vereins am rechten Rand der | |
Partei, jüngst prophezeit. | |
Viel Handlungsspielraum hat die Thüringer CDU nicht. Sie ist eingeklemmt | |
zwischen dem Wahlergebnis, das eine Regierungsbildung ohne Linke und AfD | |
unmöglich macht, und einem Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundespartei, der | |
beides untersagt. Die fatale Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum | |
Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD hat die Lage weiter | |
verkompliziert. Hinzu kommen Umfragewerte, die bei Neuwahlen eine | |
Halbierung der Fraktion prophezeien. | |
Die CDU ist gespalten, zerstritten, und nach dem Abgang von Partei- und | |
Fraktionschef Mike Mohring führungslos. Am Montag will immerhin die | |
Fraktion eine neue Spitze wählen. Auch das wird kritisch beäugt. Grund | |
genug für ChristdemokratInnen also, deprimiert zu sein. Wenn nicht | |
verzweifelt. | |
Doch am Mittwochabend gibt sich die Thüringer CDU gut gelaunt. Sie hat in | |
die Festhalle der Vereinsbrauerei in Apolda zum Politischen Aschermittwoch | |
geladen. Die langen Tischreihen stehen dicht an dicht, mehr als 1.500 Gäste | |
sollen es sein. Es gibt Bier, Blasmusik, Heringsfilets mit Salzkartoffeln | |
und einen Gastredner, von dem man sich Hoffnung verspricht: Friedrich Merz, | |
Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz, von dem viele hier glauben, mit ihm und | |
einem konservativeren Profil wäre der Kampf gegen die AfD einfacher. | |
Merz fordert zwar eine klare Abgrenzung von rechts, vor allem aber geht er | |
Ramelow an. Er kritisiert den Linken scharf dafür, bei der Wahl Anfang | |
Februar ohne absehbare Mehrheit kandidiert zu haben. Dies sei der | |
eigentliche Grund für die derzeitigen Probleme in Thüringen. „Der Auslöser | |
war die Arroganz, die Überheblichkeit, zu sagen, ich stelle mich hier zur | |
Wahl.“ | |
Jubel, Applaus, ohrenbetäubendes Schlagen von Kuhglocken. Die viel | |
gescholtenen Thüringer ChristdemokratInnen johlen befreit. Endlich wird mal | |
jemand anderem die Schuld an dem ganzen Schlamassel zugeschrieben. | |
„Wenn die CDU vor den Wahlen gesagt hat, dass sie zur Wahl eines | |
Ministerpräsidenten der Linkspartei nicht zur Verfügung steht“, sagt Merz | |
nun, „dann muss dieses Wort auch nach der Wahl gelten.“ Da tobt der Saal. | |
Wenn man den Applaus als Gradmesser dafür nimmt, wie viel die CDU-Basis von | |
dem Deal hält, den vier ihrer Landtagsabgeordneten mit Rot-Rot-Grün | |
ausgehandelt haben, heißt das wohl: Sie halten davon gar nichts. | |
Noch bevor der Politische Aschermittwoch so richtig Fahrt aufgenommen hat, | |
steht Cornelius Golembiewski, ein schmaler junger Typ mit Anzug und Bart, | |
im Vorraum zur Halle, wo man sich trotz Musik halbwegs unterhalten kann. | |
Golembiewski, 27, Medizinstudent aus Jena, ist seit November Vorsitzender | |
der Jungen Union in Thüringen. | |
Ob er richtig findet, was die CDU-Fraktion nun entschieden hat? „Ich will | |
keinen Stillstand für Thüringen, ich will keine Neuwahlen. Damit ergibt | |
sich eine schwierige Situation“, sagt er vorsichtig – was man wohl als | |
Zustimmung deuten kann. Er aber gehe davon aus, dass niemand im ersten | |
Wahlgang für Ramelow stimmt, so sei das auch im CDU-Vorstand besprochen | |
worden. Es gehe um Enthaltung im dritten Wahlgang. | |
Obwohl die Absprache bewusst viele Deutungen offenlässt, wird sie meist | |
anders interpretiert. Inzwischen soll dies auch die Bundesspitze abgenickt | |
haben. Der Thüringer Generalsekretär Raymond Walk, einer der vier | |
Verhandler, der unter anderen am Montag nach Berlin zitiert worden war, | |
sagte nach der Besprechung: „Die Verabredung hält.“ | |
In der Jungen Union werde das Ganze „sehr divers“ diskutiert, mitunter auch | |
„emotional“, sagt Golembiewski in der Apoldaer Vereinsbrauerei. „Die | |
Meinungen dazu dürften 50:50 sein.“ Er befürchtet: „Flirterei in beide | |
Richtungen – also in Richtung Linke oder AfD – wird zu Austritten führen.�… | |
Einer, der sich den Politischen Aschermittwoch aus der Ferne anguckt, ist | |
Werner Henning. Seit 1994 ist der 63-Jährige Landrat in Eichsfeld, ganz im | |
Westen Thüringens, zuletzt wurde er vor zwei Jahren mit 82,2 Prozent | |
wiedergewählt. Er sagt: „Mit der AfD kann ich mir ein Arrangement auf | |
Landesebene nicht vorstellen.“ Schon am Tag nach der Landtagswahl hatte er | |
sich dafür ausgesprochen, dass die CDU sich mit den Linken arrangiert. | |
Am Dienstagnachmittag sitzt Henning, der schon als Abiturient in der DDR in | |
die CDU eingetreten ist, in seinem Büro im Landratsamt und kommt immer | |
wieder auf zwei Dinge zurück: sein Christsein und die Verwurzelung im | |
Eichsfeld, einer katholischen Region im durch und durch protestantisch | |
geprägten Thüringen. | |
„Wir sind freier hier aufgrund unserer jahrhundertelangen Erfahrung als | |
kleine Insel“, sagt Henning. „Wir haben gelernt, uns anzupassen, das ja, | |
aber entscheidend ist letztlich das eigene Gewissen.“ Und Letzteres gelte | |
eben auch für die Landtagsabgeordneten der CDU, deshalb sei die in Erfurt | |
gefundene Lösung mit Blick auf die Ministerpräsidentenwahl korrekt. „Aber | |
warum nicht gleich so korrekt?“, fragt er und lächelt leise. | |
Dieses Eichsfeld hat noch ein weiteres Spezifikum, das zu der Debatte | |
gehört: Der Thüringer Landeschef und Rechtsaußen der AfD, Björn Höcke, | |
wohnt hier, seit Mai vergangenen Jahres sitzt er im Kreistag. „Höckes | |
nihilistischer Gesamtkontext, seine menschenverachtende Art, das ist | |
unvereinbar“, sagt Henning. Ramelow dagegen achtet er. Weil dieser Christ | |
ist und auch, weil er sich noch als Gewerkschafter für die Bergarbeiter des | |
Kaliwerks in Bischofferode eingesetzt hat. „Was man hier schätzt, ist | |
Korrektheit“, sagt Henning. „Und Ramelow ist korrekt.“ | |
## Vorwürfe aus der West-CDU | |
Und dass dieser der Kandidat der sogenannten „SED-Nachfolgepartei“ ist? | |
Dieser Vorwurf komme vor allem aus der West-CDU. Dort habe man „ein sehr | |
holzschnittartiges Bild“ von der Linkspartei. „Das kann ich nicht teilen, | |
ich habe andere Erfahrungen gemacht. Und ich glaube, die Leute hier stimmen | |
mir zu.“ | |
Ganz ähnlich sieht das André Neumann, der in Altenburg am anderen Ende | |
Thüringens Oberbürgermeister ist. Er hat sich schon früh dafür | |
ausgesprochen, dass die CDU Ramelow ins Ministerpräsidentenamt hilft. Der | |
5. Februar, die Wahl Kemmerichs mit den Stimmen der AfD, werde inzwischen | |
mehrheitlich als Fehler gesehen, sagt er am Telefon. „Das hat eine Debatte | |
ausgelöst, die wohl notwendig war.“ Für ihn ist klar: Die CDU muss sich von | |
der AfD abgrenzen, „da darf es keinen Hauch von Akzeptanz geben“. | |
Die unterschiedlichen Haltungen zu den Linken aber müsse die Partei | |
aushalten. „Wer sich als Mitte begreift, muss diese Stränge integrieren.“ | |
Dies sei eine wichtige Aufgabe für die neue Parteiführung. Und was ist mit | |
den 17 CDU-Mitgliedern, die sich in einem Appell auch für Gespräche mit der | |
AfD ausgesprochen haben? Die müssten prüfen, ob sie die Mehrheitsmeinung | |
der CDU akzeptieren könnten. | |
Einer der 17 ist Werteunion-Chef Christian Sitter, sein Verein hat 120 | |
Mitglieder. Sitter betreibt eine Anwaltskanzlei in der Gothaer Altstadt, | |
direkt am Marktplatz gelegen. Aschermittwoch, kurz nach 11 Uhr, er ist dort | |
gerade gemeinsam mit seiner Partnerin, Angela Wanner, angekommen. Auf | |
seinem Schreibtisch steht ein Kreuz aus Metall. Sitter, dunkle Brille, | |
knallroter Kapuzenpullover, sitzt jetzt dahinter. Die Wahl von FDP-Mann | |
Thomas Kemmerich, sagt er, sei nicht der Sündenfall gewesen. Trotz Stimmen | |
von der AfD. „Wir stehen zu diesem Ministerpräsidenten.“ | |
## Einmischung aus Berlin | |
Auch Wanner ist in der Werteunion, zudem in der Frauenunion aktiv, wie | |
Sitter hat sie den Appell unterschrieben. Hätte Berlin sich nicht | |
eingemischt, sagt sie, wäre drei Wochen nach Kemmerichs Wahl Ruhe | |
eingekehrt – und der FDP-Mann hätte eine Chance bekommen. Viele Mitglieder | |
hätten gerade eine „Faust in der Tasche“. Wegen der Einmischung aus Berlin | |
und auch weil die CDU Ramelow nicht ins Amt heben dürfe. | |
Erst am Abend zuvor hätten sich Mitglieder aus vier südthüringischen | |
Kreisverbänden in Suhl getroffen. „Da waren wir uns einig.“ Ramelow, sagt | |
Sitter, sei ein Sozialist. Und Teile der Partei würden vom | |
Verfassungsschutz beobachtet. Das allerdings sind kleine und nicht | |
besonders einflussreiche Gruppen. | |
Und was passiert, wenn am kommenden Mittwoch Ramelow eben doch mit | |
CDU-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt wird? „Dann wird es | |
Massenaustritte geben“, sagt Sitter. Dann seufzt er. Und sagt später, dass | |
er selbst wohl CDU-Mitglied bleiben werde. So schnell dürfe man nicht | |
aufgeben. Wanner nickt. | |
1 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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