# taz.de -- Rechter Anschlag in Hanau: Psychologen in die Behörden! | |
> Die steile These: Der Amoklauf von Tobias R. hätte durch psychologisch | |
> geschultes Personal in der Justiz eventuell verhindert werden können. | |
Bild: Hätte psychologische Hilfe die Morde verhindern können? | |
Hätte es eine Chance gegeben, die schreckliche Tat von Hanau zu verhindern, | |
wenn man vorher erkannt hätte, wie gefährlich der Sportschütze Tobias R. | |
ist? | |
Wer kann das schon mit Gewissheit sagen. Aber es lässt natürlich | |
aufhorchen, dass die Bundesanwaltschaft diese Woche bestätigt hat, dass sie | |
bereits im November einen Brief erhalten hatte, in dem Tobias R. seine | |
wahnhaften Ideen über seine angebliche Überwachung durch fremde | |
Geheimdienste ausbreitete. | |
Es ist unklar, ob sich aus dem Schreiben schon eine Gefahr herauslesen | |
ließ. Es bestand wohl nur zum Teil aus dem sogenannten Manifest, [1][jenem | |
von Rassismus und Wahn durchsetzten Konvolut], das nach dem Tod des | |
Attentäters gefunden wurde. Und all jene, die der Bundesanwaltschaft da | |
jetzt eine Mitverantwortung zuweisen, machen es sich nach heutigem Stand zu | |
einfach. | |
Für die Juristen in Karlsruhe wird R. damals nur einer von Hunderten | |
gewesen sein, die sich jeden Tag mit zum Teil abstrusen Klagen an deutsche | |
Gerichte, Behörden und auch Redaktionen wenden. Menschen schreiben von | |
Verschwörungen oder – ähnlich wie Tobias R. – von Außerirdischen, die ih… | |
Chips eingepflanzt hätten. Sie schicken Steuerunterlagen in Kartons, um | |
eine Staatsverschwörung gegen sie zu beweisen. Auch haben viele | |
Rechtspfleger und Richter schon vor Jahren Bekanntschaft mit Reichsbürgern | |
gemacht, als dieses Phänomen noch wenig beachtet wurde. | |
Die sinnlosen Eingaben verstopfen den ohnehin zähen Aktenfluss. Beim | |
Bundesverfassungsgericht zum Beispiel sorgen offensichtlich unbegründete | |
Verfassungsklagen für hohen Arbeitsaufwand, weil jeder Bürger erst einmal | |
ohne jede formale Voraussetzung Klage einreichen kann. Es kommen so viele | |
Beschwerden, dass schon mal eine Strafgebühr für offensichtlich | |
unbegründete Verfassungsbeschwerden im Gespräch war. | |
Querulanten heißen solche Leute unter Juristen. Es gibt eine regelrechte | |
Szene, die sich in Internetforen über die richtigen juristischen Wendungen | |
austauscht, mit denen sie erreichen können, dass sich ein Gericht mit ihrer | |
Klage beschäftigen muss. Es gibt auch pensionierte Richter, die die | |
Querulanten beraten, um ihren ehemaligen Kollegen etwas heimzuzahlen. Die | |
Diagnose für dieses Verhalten lautet „krankhafter Querulantenwahn“, auch | |
wenn sie unter Experten umstritten ist. | |
## Menschen helfen, wo sie auffällig werden | |
Die wenigsten Querulanten greifen später zur Waffe. In dem roten Band | |
„Querulanz in Gericht und Verwaltung“, einem der wenigen Bücher, in dem | |
sich Psychologen mit dem Phänomen anhand empirischer Daten beschäftigen, | |
kann man nachlesen, dass ein wesentliches Bedürfnis vieler darin liege, | |
Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und es gebe nur ein Rezept, das hilft: | |
„Erfahrene Juristen berichteten, dass durch ausführliche Gespräche | |
hartnäckige juristische Auseinandersetzungen beendet werden konnten“, | |
schreiben die Autoren. | |
Dafür ist im Alltag von Behörden allerdings wenig Zeit, und Juristen sind | |
dafür auch nicht qualifiziert. Deshalb wäre es geboten, dass Behörden bei | |
solchen Fällen mit Psychologen oder Sozialarbeitern zusammenarbeiten, statt | |
die Briefe der nervigen Beschwerdeführer mit einem Aktenzeichen im Archiv | |
zu entsorgen. | |
[2][Aber dazu müssten erst einmal rechtliche Voraussetzungen geschaffen | |
werden.] Denn Behörden dürfen Anzeigen oder Eingaben nicht einfach an den | |
Psychologischen Sozialdienst weitergeben. Das verhindert der Datenschutz. | |
Nur wenn offensichtliche Gefahr droht oder eine Straftat angekündigt wird, | |
müssen die Behörden handeln. | |
Der Fall von Tobias R. zeigt, dass vielleicht Schlimmstes hätte verhindert | |
werden können, wenn qualifiziertes Personal dieses Dokument des Wahnsinns | |
nicht nur unter juristischen, sondern auch unter psychologischen | |
Gesichtspunkten geprüft und mit dem Absender Kontakt aufgenommen hätte. | |
Man sollte Menschen da helfen, wo sie auffällig werden. Gerichte und | |
Behörden sind ein Magnet für Querulanten – und übrigens auch Journalisten. | |
Vor einigen Jahren stand ein Mann mit einem Rollkoffer voller Papiere vor | |
meiner Tür. Nachdem er bei der Bundesanwaltschaft abgeblitzt war, wollte er | |
nun einem Journalisten Beweise dafür vorlegen, dass ihn eine Stadtsparkasse | |
im Schwäbischen um sein Haus gebracht hatte. | |
Aus den Dokumenten konnte man das nicht so einfach herauslesen, Kopien | |
wollte er mir nicht überlassen. Nach zweieinhalb Stunden zog er weiter. Er | |
war zornig, aber wahrscheinlich nicht gefährlich. Psychologische Betreuung | |
hätte er mit Sicherheit gebrauchen können. | |
2 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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