# taz.de -- Postkolonialismus-Forschung in Bremen: Forum gegen strukturellen Ra… | |
> Ambitioniertes Projekt mit wenig Geld: ForscherInnengruppe betreibt das | |
> Institut für Postkolonialismus und transkulturelle Studien der Uni | |
> Bremen. | |
Bild: Postkoloniale Ausbeutung: Kinder arbeiten in einer Kobaltmine im Kongo | |
BREMEN taz | Es ist ein bekanntes Problem: Das Institut für | |
Postkolonialismus und transkulturelle Studien der Universität Bremen, kurz | |
Inputs, hat ambitionierte MitarbeiterInnen und ein sehr kleines Budget: | |
Ganze 800 Euro haben die ForscherInnen jährlich zur Verfügung, um ihre | |
Arbeit zu bezahlen, Vorträge zu organisieren und Texte zu publizieren. | |
Das zeugt von wenig Wertschätzung – dabei leistet das Institut seit Jahren | |
Pionierarbeit in der postkolonialen Forschung. „Europe is rotten to the | |
core“ – Europa ist bis auf den Kern verrottet – paraphrasiert Sabine | |
Broeck, eine der GründerInnen, ein Zitat von Aimé Césaire. | |
Mit diesen radikal antikolonialen Ansätzen nehmen die WissenschaftlerInnen | |
die akademische Landschaft Europas auseinander, decken koloniale | |
Denkstrukturen auf und fordern die vermeintlich kulturelle Überlegenheit | |
des weißen europäischen Erbes heraus. „Uns einte die Vorstellung, dass | |
dieser Zustand, die Whiteness des humanistischen Kanons, radikal zu | |
kritisieren ist. Und dass man diesem Zustand nicht beikommt, wenn man jetzt | |
kosmetisch mal einen Genozid mehr unterrichtet“, sagt Sabine Broeck. | |
Als sie um das Jahr 2000 herum an die Universität Bremen kam, war sie dort | |
die Einzige, die sich für die [1][Geschichte der transatlantischen | |
Versklavung], Rassismus in den USA und Schwarze Wissenschaft interessierte. | |
Eurozentrismus und Critical Whiteness wurden in Deutschland damals noch | |
nicht diskutiert. | |
## In der Freizeit geforscht | |
Auch gab es kaum ein Institut, das sich mit der übergeordneten Frage nach | |
Postkolonialität beschäftigte – was es also bedeutet, an deutschen | |
Universitäten darüber zu forschen: selbstreflexiv, mit dem Hintergrund der | |
eigenen Kolonialgeschichte. | |
In einigen Fachgebieten befassten sich zwar einzelne WissenschaftlerInnen | |
mit diesen Themen: „In der Romanistik gab es dann zum Beispiel Seminare | |
über kolumbianische SchriftstellerInnen“, sagt Broeck. Aber das | |
übergeordnete Element einer „noch immer kolonial verfassten Gegenwart“ | |
hatte kein spezielles Forum für Austausch und Forschung. | |
Dabei bedurfte es gerade bei den Geisteswissenschaften einer gründlichen | |
Revision. [2][Also gründeten Sabine Broeck und ihre KollegInnen, darunter | |
Gisela Fabel, das Inputs]. „Institut, das klang dann direkt so pompös“, | |
erinnert sich Broeck. Im Grunde war das jedoch zunächst eine kleine Sache, | |
die ForscherInnen hielten einander Vorträge und forschten in ihrer | |
Freizeit, neben dem aktuellen Lehrplan. „Das war schon politisch, wir | |
machten es aus persönlicher Überzeugung“, sagt Broeck. | |
Gerade das Bereitstellen einer Plattform für diese Themen auch für | |
NachwuchsforscherInnen hatte eine politische Komponente. „Sie müssen sich | |
das vorstellen: Sie wollen an einem humanistischen Institut eine | |
Dissertation über die schwarze Diaspora schreiben, und dort ist niemand, | |
der darüber ein Gespräch führen kann“, sagt Broeck. Und das nicht aus bös… | |
Willen, sondern es habe eben niemand beforscht. Und das sei ein Ausdruck | |
von Rassismus. [3][Diesem strukturellen Rassismus wollte das Inputs etwas | |
entgegensetzen]. | |
Nach einigen Jahren des Forschens war das Institut schließlich so weit, | |
erstklassige ExpertInnen für Vortragsreihen nach Bremen zu holen. Frank | |
Wilderson von der University of California war als Humboldt-Fellow zu Gast, | |
heute ist er international renommiert für seine Theorien zu | |
Afro-Pessimismus. | |
Afro-Pessimismus besagt, dass das dehumanisierende Erbe der frühmodernen | |
Versklavung Schwarzer Menschen bis heute nachwirkt. Auch Walter Mignolo | |
hatte 2011 eine Gastprofessur bei Inputs inne. Der argentinische | |
Anthropologe gilt heute als eine der wichtigsten Stimmen des dekolonialen | |
Diskurses. | |
Vor allem diese Zusammenarbeit mit ExpertInnen war wegweisend. Für das | |
Inputs bedeutete diese Phase den Übergang von einer postkolonialen Idee zu | |
einer [4][dekolonialen Theorie] „Der Eintritt von Mignolo in den deutschen | |
Diskurs markiert einen Übergang. Dass wir sozusagen wegkommen von dem | |
Gucken auf die kolonisierten Länder und wie schlecht es denen da geht und | |
wie arm dran die sind“, sagt Broeck. | |
Mignolo betont, dass Kolonialismus damals wie heute genau hier stattfindet, | |
in den Metropolen. Antikoloniales Denken könne nicht entwickelt werden, | |
solange die Kolonialzeit als eine Episode der Vergangenheit betrachtet | |
werde. Das würde suggerieren, dass wir sie hinter uns haben – während | |
Kolonialismus schon immer als ein Verhältnis zu betrachten sei. | |
## Vom Marxismus ausgeblendet | |
Sabine Broeck ist inzwischen im Ruhestand. Im Inputs befassen sich gerade | |
Detlef Quintern und Kerstin Knopf mit einer dekolonialen Revision des | |
Marxismus. 2020 kam ihr Buch, „From Marxism to Global Marxism“ heraus. | |
Detlef Quintern betont, dass bei Marx zweifellos Eurozentrismus vorzufinden | |
sei. „Die Stimmen aus dem Süden, wenn man das so nennen kann, tauchen bei | |
Marx ja eher abwertend oder am Rande auf“, schreibt er. | |
So wurden Arbeiteraufstände in Algerien oder Indien von Marx eher abgetan, | |
weil sie angeblich keine Zukunft hätten. Die marxistische Theorie ging | |
vielmehr vom industrialisierten England als Prototyp aus: von hier aus | |
werde sich alles kapitalisieren. Marx sagt, dass die hier produzierte | |
Baumwolle den Kapitalisten gehört, und entwickelt daraus seine Werttheorie. | |
Dass die Baumwolle aus von Versklavten bearbeiteten Plantagen kommt, | |
bezieht er nicht ein. In diesen Analysen verliert der Marxismus aus den | |
Augen, inwiefern Kapitalismus auch Imperialismus und Kolonialismus | |
produziert. „Das Ganze hätte in einem Labor funktioniert, seine Theorie, | |
aber nicht in der Gesellschaft, in der wir leben“, sagt Quintern. | |
So sind wichtige Zusammenhänge aus dem globalen Süden verloren gegangen, | |
die – davon gehen Quintern und seine KollegInnen aus – in einer | |
nachträglichen Revision die marxistische Theorie sogar entscheidend | |
verbessern können. | |
1 Aug 2022 | |
## LINKS | |
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[2] /Bloss-keine-Geschichte/!5716162 | |
[3] http://www.fb10.uni-bremen.de/inputs/ | |
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## AUTOREN | |
Nora Diekmann | |
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