# taz.de -- Museum arbeitet Kolonialismus auf: Blicke auf den kolonialen Blick | |
> Kelvin Haizel aus Ghana hat historische Fotos künstlerisch kommentiert. | |
> Heraus kam eine teils recht dekorative Ausstellung in Hamburgs MARKK. | |
Bild: Gülden verfremdet: Kelvin Haizels „Breaking Eggs in Vietnam“ | |
HAMBURG taz | Die meisten Hamburger Museen bieten zur „8. Triennale der | |
Photographie“ eine eigene Ausstellung. Das fällt auch dem „Museum am | |
Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt [1][(MARKK)]“ nicht schwer, | |
verfügt das [2][ehemalige Völkerkundemuseum] doch über einen riesigen | |
Schatz von über 450.000 – in Worten: vierhundertfünfzigtausend – | |
historischen Fotos, darunter häufig alte Glasplatten-Negative. | |
Im Zentrum der aktuellen Ausstellungsinszenierung „Archiv der Erfahrungen“ | |
steht nun die Inventarnummer „84. P. 1:1“ aus dieser Sammlung. Hinter der | |
Sigle verbirgt sich ein Album von 1868. Erst 1984 an das Museum gekommen, | |
war die Bilderkollektion ein Geschenk des 1845 in Singapur geborenen | |
Kaufmanns Johann Emil Egmont von Hagedorn an seine in Hamburg lebende | |
Schwester und seinen Schwager. | |
Doch seltsamerweise gibt es im inzwischen digitalisiert zugänglichen Album | |
außer der einen Seite mit der Widmung keinerlei persönliche Hinweise oder | |
Bilder: Auf 50 Doppelseiten enthält es – wohl objektiv dokumentierend | |
gemeint – 352 Fotografien von Menschen und Orten aus ganz Südostasien von | |
Burma/Myanmar über Siam/Thailand bis Kambodscha und Vietnam. Und da es | |
keine Beschriftungen gibt, weder biographisch noch sachlich, entsteht der | |
Wunsch nach einer passenden Story. | |
Eine solche Erzählung zu stiften wird heute weniger von der | |
[3][Wissenschaft] erwartet, als von einem [4][freien künstlerischen | |
Zugang]. So befasste sich in dreimonatiger Residenz der 1987 in Ghana | |
geborene Fotokünstler Kelvin Haizel mit der Sache. Sein in vielen | |
internationalen Ausstellungen erprobter, sehr objektbezogener Zugang ging | |
erst einmal vom Material selbst aus. | |
## Eiklar fürs Foto | |
Da für die chemische Technik der alten Albuminbilder unter anderem Eiklar | |
verwendet wurde und weitere benötigte Fotochemikalien einen leichten | |
Goldton haben, verwendet er für seine aus den Bildern gewonnenen | |
Digitalcollagen nun flächige braungoldene Interventionen. | |
Sie beruhen im Ansatz auf den mikroskopischen Degenerationen, die über die | |
Jahre im Fotomaterial selbst entstanden sind. Sie betonen in der | |
vergrößerten Anschauung besondere Aspekte und Gesten der einst in viel | |
kleinerem Maßstab abgelichteten Personen. | |
Einigermaßen seltsam erscheint dagegen Haizels Versuch, auf Stoff | |
reproduzierte Bilder zu dynamisieren, indem drei Tänzerinnen zwecks | |
Verlebendigung dem Luftzug eines Ventilators ausgesetzt werden. Das auf | |
diese Weise bewegte Foto mag zwar die Geister jener längst verstorbenen | |
Damen erfreuen, doch als Medienkritik kann diese luftige Idee nur auf | |
Unverständnis stoßen. | |
Und auch die kommentarlose Kombination einzelner Ortsansichten mit den | |
stilisierten Lichtspuren der alten Handelsrouten scheint kaum mehr zu | |
leisten als hübsche Dekoration. | |
Oft schon vergessen ist, dass Fotografie einst erst einmal ein Negativ | |
erzeugte, das dann im Labor erst entwickelt – und gegebenenfalls verändert | |
wurde. Eine Präsentation dieser rückwirkend nun neu generierten Negative | |
unter – die Laborsituation zitierendem – Rotlicht an den Glaswänden der | |
zentralen alten Saalvitrine erinnert daran. Und das ist vielleicht auch als | |
ein Moment dialektischer Reflexion zwischen Positiv und Negativ, | |
Information und Aneignung, Interesse und Macht zu lesen. | |
Die Direktorin des Hauses, [5][Barbara Plankensteiner] schickt der | |
Ausstellung voraus, die Arbeit des Künstlers Kelvin Haizel erfolge „… um | |
die Gewalt des kolonialen Blicks und der von außen auferlegten Bedeutungen | |
nicht erneut zu reproduzieren …“. | |
Das erscheint als eine etwas aufgesetzte ideologische Interpretation | |
angesichts etwa von Architekturaufnahmen und Stadtansichten. Wenn die bloße | |
Abbildung von etwas tatsächlich eine derart rabiate Inbesitznahme sein | |
sollte, wäre vor allem die überwältigende Macht der heutigen | |
US-amerikanischen Bilderbanken zu bekämpfen und ein magisch-religiös | |
begründetes allgemeines Bilderverbot positiv zu fördern. | |
Doch da Objekte und Bilder keine selbst kommunizierenden Wesen sind, können | |
Museum, Kunst und Publikum gar nicht anders, als mit zugewiesenen | |
Bedeutungen zu arbeiten. Allgemein ist zurzeit in kulturgeschichtlichen | |
Ausstellungen eine extreme Überbewertung des Kontextes gegenüber dem Inhalt | |
zu bemerken. | |
Auch bei dieser Archiv-Erfahrung ist verblüffend, wie sehr in dieser | |
Präsentation in der Oberfläche geschwelgt wird, ohne das geringste | |
Interesse für den Inhalt, ohne jegliche Erklärung des Abgebildeten, allein | |
im Spiel mit der Darstellung. Der üppig-dekorative und [6][frei spekulative | |
Umgang] mit dem Material ist letztlich ebenso unkritisch aneignend wie | |
jener vor 154 Jahren. Und auch das ist ja vielleicht eine wertvolle | |
Erkenntnis. | |
6 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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