# taz.de -- Schau über koloniale Wissenschaft: Die Ambivalenz der Kriebelmück… | |
> Eine Hamburger Ausstellung zeigt eine einstige koloniale | |
> Forschungsstation im heutigen Tansania. Inzwischen wird sie vor Ort | |
> geschätzt und gepflegt. | |
Bild: Koloniale Forschungs-objekte: Insektenkästen aus Amani | |
HAMBURG taz | Der Ort war völlig ungeeignet: Zu hoch gelegen, der Boden zu | |
sauer für Kaffee und zu trocken für Malaria. Die derzeit in einer Hamburger | |
Schau präsentierte Forschungsstation Amani im heutigen Tansania mit ihrer | |
Hanglage war nur für den Anbau von Pflanzen verschiedener Klimazonen | |
geeignet. | |
Und doch lag im damaligen „Deutsch-Ostafrika“ ab 1902 das wichtigste | |
[1][Institut der deutschen Kolonien], das explizit Malaria und | |
Landwirtschaft erforschte. Grund war das für Europäer angenehm kühle Klima | |
in der einstigen Missionars-Erholungsstation. Gegründet als Konkurrenz zum | |
niederländischen Institut auf Java, sollte Amani eruieren, wie man die | |
Kolonie stärker ausbeuten und Tropenkrankheiten bekämpfen könne. Letzteres | |
ausschließlich zum Wohl der Europäer, die plötzlich mit Sumpffieber und | |
Schlafkrankheit konfrontiert waren. Auch wollte man in Amani die Botanik | |
aller Kolonien zeigen, getrieben vom Sammlerstolz des Herrschenden. | |
Dabei waren Institute wie Amani kein Abstellgleis; im Gegenteil: Robert | |
Koch forschte dort zeitweise, auch die Hamburger Botaniker und Zoologen | |
Julius Vosseler, Franz Stuhlmann und Albrecht Zimmermann arbeiteten in | |
Amani, bevor Deutschland den Zweiten Weltkrieg verlor und die Kolonien an | |
die Briten abtrat. 1970 erst, neun Jahre nach Tansanias Unabhängigkeit, | |
wurde mit Phillip Wegessa ein Afrikaner Chef des Instituts. | |
Zusammengebrochen ist es Ende der 1970er-Jahre, als die East African | |
Community im Tansania-Uganda-Krieg zerfiel und Großbritannien kaum noch | |
Geld schickte. | |
Heute stehen die Gebäude leer, geforscht wird anderswo. Aber einige | |
Ex-Assistenten erhalten Amani als quasi-musealen Ort. Diese Ambivalenz hat | |
den [2][Sozialanthropologen Wenzel Geissler] von der Uni Oslo interessiert, | |
als er zwischen 2013 und 2016 mit einem internationalen Team aufbrach, um | |
mehr über den Umgang der Einheimischen mit materiellen Resten des | |
Kolonialismus zu erfahren. Ex-Chefs und ehemalige Assistenten hat er nach | |
Erinnerungen und Gefühlen gefragt und zu „Veteranentreffen“ eingeladen. | |
Herausgekommen sind Tonaufnahmen, Fotos und Videos. Sie bilden den Kern der | |
Amani-Schau in [3][Hamburgs ethnographischem Museum MARKK]. Chefin Barbara | |
Plankensteiner will so auch jene Museumsexponate beleuchten, die aus Amani | |
stammen. | |
Für eine harte Kolonialismus-Debatte ist Amani allerdings bedingt geeignet, | |
denn es war kein Ort extremer Gewalt oder von Versklavung, wie die | |
Plantagen. Es hat dort zum Beispiel keine Revolten gegeben wie den brutal | |
niedergeschlagenen „Araber-Aufstand“ von 1936. | |
Allerdings hatte sich Armanis Gründungsdirektor Franz Stuhlmann an der | |
„militärischen Durchsetzung kolonialer Landnahme“ beteiligt, wie ein | |
Wandtext der Schau berichtet. Zudem herrschte in Amani strukturelle | |
Ungleichheit, denn bis zur Unabhängigkeit waren die Chefs weiß und die | |
Assistenten schwarz. Dass die Afrikaner bis 1961 keine Wissenschaftler | |
werden konnten, habe daran gelegen, dass das koloniale Bildungssystem nicht | |
auf solch qualifizierte Abschlüsse ausgerichtet gewesen sei, sagt Geissler. | |
Auch hätten weiße Chefs die Assistenten vor der Unabhängigkeit gelegentlich | |
angeschrien oder gar geohrfeigt. | |
„Trotzdem haben die einstigen afrikanischen Angestellten großteils positiv | |
über Amani gesprochen“, sagt Geissler. Das sei auch eine Generationenfrage. | |
„Die meisten noch lebenden Zeitzeugen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren | |
dort arbeiteten, haben den Kolonialismus nicht mehr erlebt. Sie verbinden | |
mit Amani eher die Freude über die Befreiung Tansanias und die neuen | |
beruflichen Möglichkeiten.“ Mit sichtlichem Vergnügen hätten die | |
Einheimischen erzählt, wie sie den Weißen Privilegien abgerungen hätten. | |
Das freue ihn, ändere aber nichts an den Verbrechen des Kolonialismus | |
insgesamt. „Es liegt mir fern, die Kolonialherrschaft in irgendeiner Weise | |
zu entschuldigen“, betont Geissler. „Aber gewisse Ambivalenzen muss man | |
auch in dieser Debatte aushalten.“ | |
In der Tat kam es zu irritierenden Situationen, als Geisslers Team einige | |
Ex-Assistenten vorführen ließ, wie sie einst Kriebelmücken gefangen hatten, | |
die Überträger der Flussblindheit. Zwar ist das Risiko dieser Methode | |
gering, weil man nur nach sehr vielen Stichen krank wird. Zudem existiere | |
die Flussblindheit in der Region nicht mehr, sagt Geissler. „Trotzdem – | |
und obwohl wir selbst teilnahmen – machte gerade die Nachstellung deutlich, | |
wie politisch und ethisch problematisch diese Forschungsmethode ist.“ | |
Allerdings offenbarte dieses Re-Enactment auch den Bruch der einstigen | |
Hierarchie. Denn nach einer Weile sagten die Afrikaner, es sei genug, und | |
gingen. „Das war ein Akt der Souveränität uns gegenüber, der uns zeigte: | |
Ihr seid nicht mehr die Chefs“, erzählt Geissler zufrieden. | |
Dennoch wird einem mulmig, wenn man die in der Ausstellung gezeigten Videos | |
dieses Re-Enactments sieht. Denn man kommt als weißer Museumsbesucher so | |
wenig aus der kolonialen Beobachterrolle heraus wie die Forscher. | |
Andererseits wird man Zeuge neuen Selbstbewusstseins, weil die Afrikaner | |
gehen können, wann sie sollen. | |
Und der Wandel reicht weiter: Niemand spricht heute mehr von den | |
Abrissplänen der 1970er-Jahre. Vielmehr wollen die Einheimischen diesen Ort | |
bewahren, der viele Forscher prägte und für Afrikaner der 1960er-Jahre | |
trotz allem eine Jobchance bot. | |
Heute hat Amani noch rund 30 bezahlte Angestellte – Gärtner, | |
Reinigungskräfte und Wärter, die aufpassen, dass niemand demoliert oder | |
stiehlt. Tatsächlich stehen da noch die hölzernen Labortische von einst, | |
und den Schrank mit den Tsetsefliegen-Kästen sichert ein Vorhängeschloss. | |
Dieses Ausharren zwischen Einst und Jetzt an einem Ort, der in den 1960ern | |
und 1970ern zur Vision eines wissenschaftsbasierten tansanischen | |
Sozialismus gehörte: All das hat die Künstlerin Mariele Neudecker für die | |
Schau auf Audios, Videos und Fotos gebannt. In stilleben-artige Innenräume | |
blickt man da, wo Vögel zwitschern und Männer im Hintergrund reden. Sie | |
bewohnen die Räume nicht, aber sie pflegen sie wie einen alten Menschen. | |
Anrührend auch Rehema Chachages Arbeit, die auf etwas Erde kurze Texte über | |
das Leiden der Swahili-Frauen projiziert. Doch der Amani-Bezug ist dünn, | |
und so wirkt das Werk recht willkürlich dort hingesetzt. Das MARKK wollte | |
wohl keine Amani-Schau ohne afrikanische Stimmen. | |
Fragt sich nur, ob Kunst hier kluges Vehikel ist oder eher Feigenblatt: | |
Denn Kunst ist schön subjektiv und erspart dem vom Gewissen geplagten | |
Europäer jede weitere Debatte. Auch erweckt ein afrikanisches | |
„Kolonialismus“-Kunstwerk den Eindruck, das Geschehene sei nun | |
aufgearbeitet, ästhetisch überhöht und reingewaschen. Ein koloniales | |
Konzept, für das sich afrikanische Künstler wohl nicht mehr lange hergeben | |
werden. | |
Verhuscht wirken auch die mitten in den Saal gestellten Vitrinen mit | |
MARKK-Exponaten aus Amami. Insektenkästen, ein Kamm, eine Holzfigur liegen | |
da, die Forscher einst hersandten. Wie das MARKK diese Dinge aber künftig | |
präsentieren wird, steht da nicht. | |
9 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Herero--und-Nama-Konferenz-in-Hamburg/!5496926&s=petra+schellen+koloni… | |
[2] https://www.sv.uio.no/sai/english/people/aca/paulwg/ | |
[3] /Hamburger-Ausstellung-Flow-of-Forms/!5504131&s=petra+schellen+kolonial… | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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