| # taz.de -- Ausstellung in Hannover: Ein neuer Blick auf alte Verbrechen | |
| > Mit Verhüllungen, Markierungen und sparsamem Nippes-Einsatz: Das | |
| > Historische Museum Hannover sucht nach einer Bildsprache fürs Thema | |
| > Kolonialismus. | |
| Bild: Mehr Zahlungsmittel als Schmuckstück: Eine Manille aus der Kolonialzeit | |
| Hannover taz | Sie haben sie eingepackt. Der ganze [1][Welfenprunk] und | |
| -protz, an dem man sonst die Kinder an Regentagen vorbeischleift, die | |
| Gemälde und Paradekutschen des Historischen Museums Hannover, haben die | |
| Kurator*innen der Ausstellung „Von Goldenen Kutschen und kolonialer | |
| Vergangenheit“ verhüllt: Nur kleine Ausschnitte in der Papierverpackung | |
| erlauben zu sehen, was sich dahinter verbirgt. | |
| Das ist vielleicht naheliegend für ein Haus im Dauerumbau. Es ist aber auch | |
| eine ziemlich clevere Lösung für [2][ein Problem vieler | |
| Kolonialismus-Ausstellungen]: Am Ende triumphiert doch schnell die optische | |
| Opulenz der siegreichen Herrscher oder der hübsche Exotismus der | |
| gesammelten Beutegegenstände. Das Blut und Leid, das an diesen Gegenständen | |
| klebt, wird zur farblosen Fußnote auf irgendeiner Texttafel. | |
| Oder, fast schlimmer, man sieht sich gezwungen, es gewaltpornografisch zu | |
| reproduzieren, um dem goldenen Schein etwas entgegensetzen zu können. Diese | |
| Klippe haben sie in Hannover erfolgreich umschifft. Die Ausstellung ist | |
| dadurch zwar ein bisschen textlastig geworden, dafür aber bietet sie ein | |
| paar sehr eindrückliche Denkanstöße. | |
| Es geht hier vor allem um die Epoche der Personalunion, also die 123 Jahre | |
| zwischen 1714 und 1837, in denen „Hanovarians“ auf dem britischen Thron | |
| saßen. Es sind – nicht ganz zufällig – auch jene Jahre, in denen | |
| Großbritannien zum Imperium aufstieg und mehr und mehr Territorien in | |
| Afrika, Asien, Nordamerika, in der Karibik und in Indien kolonisierte. Nur | |
| ist dieser Aspekt der Geschichte in Hannover bisher nie erzählt worden. | |
| ## Die Partnerstadt Bristol hilft die Lücken zu füllen | |
| Nun geht es also, sehr zeitgemäß, um Nutznießer und Profiteure, um das Ende | |
| der Sklaverei – ebenfalls unter einem hannoverschen König – aber auch um | |
| die koloniale Geschichte, die an diesem Punkt noch lange nicht endet und | |
| ihre Schatten bis heute wirft. Das alles konkret und anschaulich zu machen, | |
| ist kein leichtes Unterfangen, es gibt da noch viele blinde Flecken, Lücken | |
| in den Sammlungen und der Forschung. | |
| In Hannover haben vor allem die Kolleg*innen aus der Partnerstadt | |
| Bristol ausgeholfen, die in dieser Sache einen gewissen Vorsprung haben: | |
| Nicht zufällig war es in dieser Stadt im Südwesten Englands, wo | |
| [3][Black-Lives-Matter-Demonstranten 2020 die Statue des Sklavenhändlers | |
| Edward Colston im Hafenbecken versenkten]. | |
| Bristols Reichtum stammt ganz unmittelbar aus Sklavenhandel und | |
| Sklavenarbeit, zumal auf den Zuckerplantagen. Das Bewusstsein dafür ist | |
| dort schon länger geweckt: Bristol, erzählt Museumsdirektor Thomas Schwark | |
| bei der Ausstellungseröffnung, habe schon vor 30 Jahren eine eigene | |
| Abteilung zum Thema Sklaverei in die ständige Ausstellung des Stadtmuseums | |
| integriert. Allerdings werde sie gerade überarbeitet. | |
| Trotz des reichen Fundus, aus dem die Hannoveraner da schöpfen durften, | |
| bleiben die direkten Bezüge manchmal dürftig. Ganze zwei Hannoveraner – | |
| einen Arzt und einen Bänker – hat man gefunden, die eindeutig und direkt | |
| vom Sklavenhandel profitiert haben und in koloniale Verbrechen dieser Zeit | |
| verwickelt waren. | |
| ## Anschluss an aktuelle Debatten | |
| „Es gibt sicher mehr, aber die müssen wir erst noch finden“, sagt Schwark. | |
| Vieles tickt die Ausstellung auch nur an. Die Geschichten der Revolten und | |
| des Widerstandes beispielsweise sind hier nur durch ein paar Schwarze Köpfe | |
| repräsentiert. Das reicht nur als Hinweis auf ihre Perspektive, aber nicht, | |
| um sie zu vermitteln. | |
| Andere Bezüge überraschen: Wer hätte gedacht, dass [4][Sklaven auf | |
| amerikanischen Plantagen „true born Osnaburghs“], Leinen aus dem | |
| Osnabrücker Raum trugen? Der wachsende Bedarf an robustem und günstigem | |
| Stoff wurde durch bäuerliche Heimarbeit in dieser Region gedeckt. | |
| Andersherum spielten koloniale Luxuswaren wie Kaffee, Tee, Kakao, Zucker | |
| und Tabak in vielen adeligen und großbürgerlichen Haushalten bald eine | |
| große Rolle – natürlich auch in Hannover. | |
| Man legt Wert darauf, an aktuelle Debatten anzuschließen. Ein Glossar am | |
| Eingang erklärt, warum auf bestimmte Begriffe verzichtet wird. Und kleine, | |
| rote Warnaufkleber zieren manche Gemälde. Auf ihnen steht „Vorsicht | |
| Aneignung“ oder „Vorsicht Rassismus“ und der Zusatz „handle with care. | |
| price: high. made in hanover“. | |
| Wo einfach so Schwarze oder andere Angehörige kolonialisierter Völker aufs | |
| Klischee reduziert in die Szenerie gepinselt wurden – kleben diese Sticker. | |
| Das ist clever, weil die Irritation nötigt, tatsächlich einen anderen Blick | |
| auf diese Ausstellungsstücke zu werfen. | |
| Weitere, kurze Kapitel der Ausstellung widmen sich außerdem der Zeit, als | |
| Deutschland dann als Reich und eigenständige Kolonialmacht auftrat – sowie | |
| der langen Trauer, als es damit vorbei war. Hier bemüht sich die | |
| Ausstellung, an gegenwärtige Debatten um Straßennamen oder [5][das | |
| Carl-Peters-Denkmal in der Südstadt] anzuknüpfen. Auch auf Nachwehen in der | |
| heutigen Handelswelt und Konsumgesellschaft wird hingewiesen. | |
| Alles in allem ist das ein beeindruckendes Projekt – [6][aber erkennbar | |
| noch work in progress]. Es gibt ein üppiges Rahmenprogramm aus Vorträgen, | |
| Filmen und Podiumsgeprächen, auch ein Workshop mit Aktivist*innen zur | |
| Frage, wie Kolonialismus künftig im Museum dargestellt werden soll, steht | |
| noch aus. | |
| 24 Jul 2022 | |
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| [6] http://www.kolonialismus-hannover.de | |
| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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