# taz.de -- Denkmalsturz in Bristol: Black History Matters | |
> Warum ausgerechnet in Bristol eine Statue von einem Sklavenhändler vom | |
> Sockel geholt wurde und die Stadt dennoch zu einem Vorbild werden könnte. | |
Bild: Soll als Zeitdokument ins Museum: die gestürzte Statue des Sklavenhändl… | |
Die Statue von Edward Colston thronte 125 Jahre lang im Stadtzentrum von | |
Bristol und überblickte den historischen Hafen. Sie wurde 1895 errichtet, | |
174 Jahre nach seinem Tod, zehn Jahre nach der Aufteilung Afrikas unter | |
den Kolonialmächten – dem Höhepunkt des britischen Empire und zugleich dem | |
Beginn seines Untergangs. Die Statue sollte an einen Mann erinnern, der | |
Bristol zu Wohlstand verholfen hatte, als Philanthrop galt und für den | |
Reichtum stand, der aus den Kolonien ins Mutterland floss. | |
Sie erinnerte auch an eine Zeit, in der Schwarzes Leben wenig zählte. | |
Colston bekam in Bristol nicht nur eine Statue, auch zwei Schulen wurden | |
nach ihm benannt, eine Straße, eine Konzerthalle, ein Armenhaus und noch in | |
den 1960er Jahren ein Bürokomplex. Wie viel Colston genau wohltätigen | |
Zwecken spendete, ist weder nachvollziehbar noch wesentlich, denn es ging | |
darum, sich einer bestimmten Sicht der Geschichte zu erinnern.Doch es gibt | |
auch eine andere Erinnerung an Edward Colston. | |
Ab 1730 war Bristol der größte britische Hafen für den transatlantischen | |
Sklavenhandel. Mehr als 2.000 Schiffe fuhren von hier nach Afrika und | |
verluden dort mehr als 500.000 Menschen. Colston war Direktor der Royal | |
African Company, die von 1672 bis 1698 das Monopol für den britischen | |
Sklavenhandel besaß und 80.000 Männer, Frauen und Kinder nach Übersee | |
verkaufte. [1][Auf der Überfahrt zum amerikanischen Kontinent, der | |
sogenannten middle passage, starben allein auf Colstons Schiffen 20.000 | |
Menschen]. | |
Bristol war durch den transatlantischen Sklavenhandel zu Wohlstand gelangt, | |
ganze Viertel entstanden neu. Heute hadert die Stadt mit diesem Erbe, auch | |
weil nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs viele Einwanderer aus der Karibik | |
nach Bristol kamen. Sie waren direkte Nachfahren der Opfer der Sklaverei, | |
mit ihnen und ihrer Erinnerung begannen die Erzählung der Stadtgeschichte | |
und letztlich das Bild von Colston als Philanthrop zu wackeln. | |
## Bürgerrechtsproteste schon in der 1960er Jahren | |
Bristol gilt bis heute als segregierte Stadt und doch auch als eine, die | |
das ändern möchte. Für die Schwarze Community war Bristol lange eine Stadt | |
der Ausgrenzung, der Ungleichheit und des Widerstands. Bis in die 1990er | |
Jahre hinein zogen die meisten Schwarzen in den heruntergekommenen | |
Stadtteil St. Pauls, lange der einzige, in dem überhaupt an sie vermietet | |
wurde. Als das örtliche Nahverkehrsunternehmen in den 1960er Jahren die | |
Anstellung nichtweißer Menschen untersagte, organisierten Schwarze Bürger | |
um den Sozialarbeiter Paul Stephenson erfolgreich einen Busboykott. | |
Heute erinnert unter anderem eine [2][Plakette im Busbahnhof von Bristol an | |
das Ereignis]. Als Reaktion auf den Boykott wurden in England die ersten | |
Gleichstellungsgesetze (Race Relation Acts) von 1965 und 1968 beschlossen. | |
Zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses riefen Schwarze Aktivisten | |
1968 den St. Pauls Carnival ins Leben. 1980 gab es hier die race riots, | |
eine Reaktion darauf, dass Polizisten unverhältnismäßig oft Schwarze | |
Menschen kontrollierten. | |
All dies wird heute als offizielle Geschichte der Stadt im | |
stadtgeschichtlichen Museum MShed erzählt, das in einer der alten | |
Speicherhallen direkt gegenüber der Stelle am Hafen liegt, an der die | |
Statue von Edward Colston ins Wasser gestoßen wurde. Die Brücke, die die | |
beiden Uferseiten verbindet, wurde 1999 nach P[3][ero Jones benannt, einem | |
Sklaven, der im 18. Jahrhundert im Haushalt eines reichen Kaufmanns diente | |
und dessen Geschichte man zumindest fragmentarisch kennt]. | |
Colstons Statue soll zusammen mit Schildern der | |
Black-Lives-Matter-Demonstrationen im M Shed ausgestellt werden. Der | |
offizielle Twitter-Account des Museums und der Stadtverwaltung | |
positionierte sich nach dem Sturz der Statue eindeutig und verlinkte auf | |
Online Content des Museums zum Thema Transatlantischer Sklavenhandel. Es | |
wurde darauf hingewiesen, dass man bei der Bergung der Statue aus dem | |
Hafenbecken das Graffito auf der Statue als zeithistorisches Dokument nicht | |
beschädigen darf. | |
## Bristols erster Schwarzer Bürgermeister | |
[4][Bristols Bürgermeister Marvin Rees ist der erste direkt gewählte | |
Schwarze Bürgermeister Europas. Er bezeichnetet die Statue als Affront | |
gegen einen Teil der Bevölkerung in Bristol, sich selbst eingeschlossen.] | |
Für Rees, der afrokaribischer Abstammung ist, wäre es denkbar, dass Colston | |
seine Vorfahren verschifft hatte. So könne er als Bürgermeister Vandalismus | |
zwar nicht gutheißen, aber er sehe auch die Bedeutung des Falls der Statue. | |
Man muss den Geist der Stadt verstehen, ihre Geschichte und ihre Kultur, | |
die auch durch das Erbe der jamaikanischen Einwanderer geprägt ist. Eine | |
Kommission aus lokalen Historikern und Experten soll nun die Geschichte der | |
Stadt neu aufrollen. Gebäudenamen sollen geändert werden, wie die Wills | |
Memorial Hall, benannt nach der Tabakfamilie Wills, wobei „Tabakhandel“ als | |
Euphemismus für den transatlantischen Sklavenhandel steht. Die Namenszüge | |
an der Colston Hall und am Colston Tower wurden abmontiert. Die beiden | |
Schulen erwägen, ihren Namen zu ändern. | |
All dies deutet darauf hin, dass in Bristol der Sturz der Colston-Statue | |
weder der Anfang noch das Ende ist, sondern in einer langen Kette eines | |
Prozesses der Dekolonialisierung steht, die wichtig ist, um strukturelle | |
Benachteiligungen zu erkennen und abzubauen. Dafür ist es auch notwendig, | |
sich mit der Geschichte der Sklaverei und ihren Auswirkungen bis in die | |
Gegenwart auseinanderzusetzen. Dies kann nur dann gelingen, wenn beide | |
Seiten gehört und ins Boot geholt werden, wenn Institutionen ihre eigenen | |
Rollen und Machtpositionen kritisch hinterfragen. Die Universität von | |
Bristol berief im Oktober 2019 [5][Olivette Otele] auf den Lehrstuhl für | |
die Geschichte der Sklaverei. Sie ist die erste Schwarze | |
Geschichtsprofessorin in England. | |
Was auf den leeren Sockel im Stadtzentrum kommen wird, darüber soll | |
demokratisch abgestimmt werden. Möglich wäre, so Rees, ein Vorschlag des | |
[6][Street-Art-Künstlers Banksy], des weltberühmten Sohns der Stadt, oder | |
eine Statue von [7][Paul Stephenson, dem Lokalhelden des Busboykotts] und | |
Kämpfer für die Gleichstellung der Schwarzen Community. | |
13 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nytimes.com/2020/06/14/world/europe/Bristol-Colston-statue-slave… | |
[2] http://www.bristolmuseums.org.uk/stories/bristol-bus-boycott | |
[3] http://www.bristolmuseums.org.uk/georgian-house-museum | |
[4] /Essay-Britische-Kolonialnostalgie/!5550466 | |
[5] /Professur-fuer-Geschichte-der-Sklaverei/!5634933 | |
[6] /Werk-Banksys-versteigert-und-zerstoert/!5541855 | |
[7] http://news.bristol.gov.uk/news/bristols-real-story-must-be-told | |
## AUTOREN | |
Susanna Jorek | |
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