| # taz.de -- Kolonialisten-Statue in Bristol: Höflichkeit hilft nicht mehr | |
| > In Großbritannien begegnen Schwarzen Menschen ständig Statuen von | |
| > Männern, die unsere Vorfahren versklavt haben. Unsere Gefühle zählen | |
| > einen Dreck. | |
| Bild: Bristol am 7. Juni: Die Statue von Sklavenhändler Edward Colston wird zu… | |
| Die Bewegung [1][Black Lives Matter] wurde ins Leben gerufen, um der | |
| offenkundigen Tatsache etwas entgegenzusetzen, dass das Leben Schwarzer | |
| Menschen nicht zählt. Dabei geht es nicht nur um eine wirtschaftliche oder | |
| rein materielle Frage, es geht auch um scheinbar „flüchtige Dinge“ wie die | |
| Folgen für unsere Psyche und damit verbunden die Frage nach der | |
| gesellschaftlichen Repräsentanz. | |
| Es war interessant zu sehen, wie besorgt einige Weiße jetzt um Recht und | |
| Ordnung und Regierungsfähigkeit und Eigentum sind, weil die [2][Statue von | |
| Edward Colston] in Bristol, Großbritannien, von Demonstrierenden | |
| niedergerissen wurde. | |
| Ich habe ein Jahr lang in Bristol gearbeitet und begegnete ständig Statuen | |
| zu Ehren von Männern, die meine Vorfahren versklavt haben. Höfliche | |
| Petitionen, die Statue Colstons und anderer zu entfernen, wurden ignoriert. | |
| Lange bevor ein sogenannter Pöbel die Statue in den Fluss warf, hatten | |
| Schwarze Aktivisten darum gebeten, solche Denkmale in Museen | |
| unterzubringen, wo die hingehen können, die sie unbedingt sehen wollen, uns | |
| aber die Demütigung der Beleidigung unserer unterdrückten Vorfahren erspart | |
| bleibt. Weiße Behörden haben unseren Anspruch darauf ignoriert, denn unser | |
| Leben zählt nicht, und mit Blick auf die selbstzufriedene Geringschätzung | |
| Weißer uns gegenüber zählen offensichtlich auch unsere Gefühle nicht. | |
| Im Jahr 2007 leiteten ich und viele andere eine Kampagne zur Schaffung | |
| eines nationalen Mahnmals ein, mit dem der Zeit des Sklavenhandels und der | |
| zig Millionen gedacht werden soll, die unter dem Joch der Sklaverei des | |
| Britischen Weltreichs gestorben sind. Wir waren friedlich, respektvoll und | |
| versuchten es über die üblichen friedlichen Kanäle – zuerst bei der | |
| Labour-Regierung unter Tony Blair, dann bei der Regierungskoalition aus | |
| Tories und Liberaldemokraten und schließlich bei der Regierung von Theresa | |
| May: Sie haben allesamt unsere Bitte überhört. | |
| Wir waren friedlich und respektvoll und machten unsere Eingaben auf | |
| althergebrachte friedliche Weise. Aber wir wurden ignoriert, denn unser | |
| Leben und unsere Gefühle interessieren einen Dreck!Wir haben dafür | |
| gekämpft, dass Großbritannien sich für seine [3][Beteiligung am | |
| Sklavenhandel] entschuldigt, und Blair erklärte, es täte ihm sehr leid. | |
| Aber entschuldigt hat er sich nicht, weil der Sklavenhandel, gebilligt von | |
| einem System habgieriger Handelsinteressen, damals legal gewesen sei. Also | |
| keine Entschuldigung und schon gar keine Entschädigung. | |
| Wieder haben wir niemanden eingeschüchtert, uns nicht wie ein Mob | |
| aufgeführt. Wir brachten Argumente vor, einige von uns schrieben Bücher, | |
| Essays, Artikel – und es änderte sich gar nichts. Wir leben also weiterhin | |
| mit dem psychologischen und seelischen Schaden, den der Blick auf Denkmale | |
| für Menschen, die Millionen an dem Handel mit dem schwarzen Fleisch unserer | |
| Vorfahren verdient haben, angerichtet hat. Und dabei sind wir noch nicht | |
| einmal bei den Auswirkungen wirtschaftlicher Not und gesellschaftlicher | |
| Benachteiligung angelangt, denen ein Schwarzer Körper im postkolonialen | |
| Großbritannien ausgesetzt ist. | |
| ## Wo war die Kritik an der Komplizenschaft der Kirche? | |
| Für mich war es interessant, nach dem Niederreißen einer Statue die | |
| üblichen besorgten Stimmen Weißer Menschen zu hören, die um Recht und | |
| Ordnung fürchten und die Gefahr einer Herrschaft des Pöbels | |
| heraufbeschwören. Warum waren ihre Stimmen nicht schon früher zu vernehmen? | |
| Wo waren die britischen Universitäten und Theologen, um die Komplizenschaft | |
| der Kirche bei Sklavenhandel und späterem Kolonialismus aufzudecken, an dem | |
| sich alle Kirchen bereichert haben, die Schwarzen aber lehrten, sich selbst | |
| zu hassen? | |
| Mein Freund Delroy Wesley Hall, ebenfalls ein Schwarzer Theologe, erzählt | |
| von in Großbritannien lebenden Schwarzen Menschen, die mit einer Form des | |
| „immerwährenden Kreuzesleids“ zu kämpfen haben: Wir stecken nach unserer | |
| gesellschaftlichen und kollektiven Kreuzigung in einem ewigen „Karsamstag“ | |
| fest, ohne dass sich ein „Ostersonntag“ abzeichnete. | |
| Weiße können sich also darüber beschweren, dass wir uns nicht an die Regeln | |
| halten, während unsere Beschwerden übergangen und gar mit Verachtung | |
| behandelt worden sind! In diesem Augenblick der Geschichte werde ich | |
| deshalb Weißen nicht für ihre Entschuldigungen danken und für ihren | |
| Kniefall und ihre Erklärungen und ihre Beteiligung an Demonstrationen, was | |
| sie nicht das Geringste kostet, während wir von einer „existenziellen | |
| Kreuzigung“ betroffen sind, deretwegen wir auch häufiger mit seelischen | |
| Erkrankungen wie Schizophrenie zu kämpfen haben als andere. | |
| Ich werde Weiße Menschen nicht zu „lehren“ versuchen, wie sie mit ihrem | |
| Unbehagen und ihren Gefühlen umgehen sollen, während ich und unzählige | |
| Schwarze Menschen Angst haben, unser Haus zu verlassen, weil wir zu denen | |
| gehören könnten, die unverhältnismäßig häufig angehalten, inhaftiert und | |
| verhört werden von unserer angeblich so freundlichen Polizei, wenn sie sich | |
| nicht an die Ausgangsbeschränkungen gehalten haben. Einige von uns haben | |
| ganz einfach genug von der Heuchelei der Weißen und dem plötzlichen | |
| Interesse an unseren Belangen, nachdem sie sich in all den Jahren so gut | |
| wie gar nicht dafür interessiert haben. | |
| Systemischer Rassismus beginnt nicht mit dem Tod von George Floyd und wird | |
| auch nicht enden, nur weil Weiße Menschen überwältigt von liberalen | |
| Schuldgefühlen die Hände ringen, uns erzählen, wie leid ihnen das mit dem | |
| Rassismus tut, der unser Leben zerstört – nicht das ihre! Einige von uns | |
| werden weiterkämpfen, aber wir sind müde und noch viel wütender, als ihr | |
| euch vorstellen könnt. Also wagt es bitte nicht, uns zu erzählen, wie wir | |
| uns verhalten sollen, denn wenn wir nach euren Höflichkeitsregeln gespielt | |
| haben, dann hat euch das einen Dreck gekümmert! | |
| Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning | |
| 10 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anthony G. Reddie | |
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