# taz.de -- Historiker zu Kolonialismus in Osnabrück: „Nur Europa ist beklei… | |
> Museumskurator Thorsten Heese zeigt auf seinem Stadtrundgang koloniale | |
> Orte in Osnabrück. Die Stadt hat massiv an Leinenhosen für Versklavte | |
> verdient | |
Bild: Aufwändig beworben: Osnabrücker Kolonial-Ausstellung von 1913 | |
taz: Herr Heese, welche Rolle hat Osnabrück im Kolonialismus gespielt? | |
Thorsten Heese: In puncto kolonial-imperiales Bewusstsein war Osnabrück | |
genauso ein Rädchen im Getriebe wie die größeren [1][Akteure Hamburg und | |
Bremen]. Auch hier gab es Ortsgruppen der „Deutschen Kolonialgesellschaft“, | |
des „Alldeutschen Verbandes“ und des „Deutschen Flottenvereins“ sowie | |
kolonialistisch gesinnte Militärvereine und Kaufmannsvereinigungen. | |
Wie stark hat Osnabrück wirtschaftlich profitiert? | |
Osnabrück hat in der Frühen Neuzeit vor allem am Leinen verdient. Daraus | |
wurden unter anderem „Osnabrücker Hosen“ hergestellt, die versklavte | |
Menschen auf [2][karibischen und amerikanischen Plantagen] als | |
Arbeitskleidung trugen. Interessant ist, dass alle profitierten: von der | |
Stadt über die Tuchhändler bis zu den einfachen Flachsbauern und Webern. | |
Was weiß man über den „Ersten Afrikaner von Osnabrück“? | |
Einzige Quelle ist eine gedruckte Taufpredigt von 1661. Da steht, dass er | |
als Vierjähriger in Guinea von niederländischen Soldaten entführt wurde und | |
als Sklave nach Holland gelangte. Altbürgermeister Schepeler hat ihn später | |
in Hamburg gekauft und nach Osnabrück gebracht. Seine groß als | |
„Heidenrettung“ inszenierte Taufe war gegen die Katholik:innen | |
gerichtete protestantische Propaganda. | |
Gab es weitere Sklaven in Osnabrück? | |
Es fehlen zwar Belege, aber er blieb vermutlich nicht der einzige. Gerade | |
Adlige erwarben als Statussymbol solche vermeintlich „exotischen“ | |
Diener:innen. | |
Wurden weitere Menschen öffentlich zur Schau gestellt? | |
1893 hielt ein Forschungsreisender im „Großen Club“ einen Vortrag über | |
Afrika, während zwei Afrikanerinnen auf ein Podium gesetzt wurden und 1913 | |
zeigte man in der Stadthalle eine [3][Kolonialausstellung mit | |
Afrikaner:innen] in einem „Hüttendorf“. Beides galt als spektakulär. | |
Bei unserem Rundgang suchen wir beide Orte auf; auch das Leggehaus, in dem | |
das erwähnte Leinen gegen Leggesteuer auf Qualität geprüft wurde. | |
Wie kolonialistisch sind die „Erdteilallegorien“ am Schloss? | |
Es sind vier um 1740 geschaffene Statuen, die Europa, Asien, Afrika und | |
Amerika symbolisieren. Obwohl sie sich in Größe, Accessoire und Ästhetik | |
gleichen, sagt der Subtext etwas anderes: Nur Europa ist vollständig | |
bekleidet und wirkt mit Schild, Helm und Toga wie eine antike Siegesgöttin. | |
Die anderen sind, mit erotisch-„wilder“ Konnotation, nur halb bekleidet. | |
Asien trägt ein Rauchgefäß, was auf religiöse Riten sowie den Handel mit | |
asiatischen Produkten verweist. Amerika und Afrika werden mit wilden Tieren | |
(Krokodil und Löwe) in Verbindung gebracht, Amerika durch einen | |
Menschenschädel sogar mit Kannibalismus. Hier werden deutlich koloniale | |
Stereotype bedient. | |
Wird das unkommentiert bleiben? | |
Ich hoffe nicht. Eine Studierendengruppe der hiesigen Universität hat sich | |
im [4][Blog des Geschichtsvereins] schon zum Thema geäußert und fordert, | |
dass die Uni, auf deren Gelände die Figuren stehen, eine | |
kontextualisierende Tafel anbringt. | |
17 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Hamburg-ehrt-bis-heute-Kolonialisten/!5691779 | |
[2] /Norddeutsche-Kolonialgeschichte/!5416050 | |
[3] /Ausstellung-zur-Kolonialgeschichte/!5807261 | |
[4] https://hvos.hypotheses.org/6146 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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