# taz.de -- Polit-Kunst aus der Südsee in Hamburg: Spiel mit Exotik-Klischees | |
> Ein Video der neuseeländischen Künstlerin Lisa Reihana im Hamburger | |
> Museum am Rothenbaum führt bis heute bestehende kolonialistische | |
> Klischees vor. | |
Bild: Spiel mit dem europäischen Bilderkanon: Lisa Reihanas Videoarbeit „In … | |
HAMBURG taz | Erst sagen sie, sie wollen Pflanzen schauen, und dann tun sie | |
ganz was anderes, nehmen uns unser Land.“ Recht haben die Malinesen in | |
[1][Maryse Condés] historischem Roman „Wie Spreu im Wind“, der – auch �… | |
der Verschlagenheit französischer Kolonialherren erzählt, die den Bewohnern | |
Land und Vertrauen stehlen. | |
Ganz so deutlich sagt es die Maori-stämmige neuseeländische Künstlerin Lisa | |
Reihana nicht, deren Video „Im Schatten der Venus“ derzeit im „Museum am | |
Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt“ (Markk) prangt. Die Arbeit, | |
vorgestellt 2017 auf Venedigs Biennale, war bis zur Einstellung des | |
Besucherbetriebs am Markk erstmals in Deutschland zu sehen. Impressionen | |
der Ausstellung gibt es momentan nur auf der [2][Website des Markk]. | |
Lisa Reihana pflegt die leisen Töne, beobachtet Folgen des Kolonialismus in | |
scheinbar pittoresken Bildern. Die kommen zunächst so „exotisch“ daher, | |
dass es einen schaudert: Ist diese Art der Präsentation nicht längst tabu? | |
Aber genau dieses Spiel mit dem Stereotyp reizt Reihana, um das | |
Fortbestehen von Blick-Hierarchien und Klischees vorzuführen. Denn obwohl | |
uns die Akteure, die die Begegnung britischer Forscher mit der | |
Südsee-Bevölkerung nachspielen, mal ansehen, mal nicht: In der Rolle des | |
romantisierenden Voyeurs bleiben wir immer. | |
Da tanzen etwa Hawaii-Mädchen aufreizend in Baströckchen und schauen so | |
herausfordernd aus dem Bild, dass man denkt: Ja, so schaute (und schaut?) | |
der Europäer auf solche Frauen, reduziert sie auf Objekte der Begierde. | |
Doch der Film läuft weiter, und eine Gruppe einheimischer Männer gerät in | |
den Fokus. Sie beobachten die Frauen, erheben sich dann zu ihrem eigenen | |
Tanz. | |
Er ist die Antwort, sie klatschen sich Arme und Schenkel, zelebrieren | |
Männlichkeit. Aber diese Männer werden nicht läufig, nur weil ihre Frauen | |
Hüften schwingen: Ihre Bewegungen folgen der Choreografie eines rituellen | |
Tanzes. In diesem Moment begreift man: Europäer verstehen wenig von dieser | |
Kultur, in die sie im 18. Jahrhundert erst mit Forschern, dann mit Soldaten | |
eindrangen, um Pflanzen, Früchte, Kunstwerke billigst zu kaufen oder zu | |
stehlen. | |
Inspiriert ist Reihanas Video von drei Südsee-Expeditionen des Briten James | |
Cook, der 1769 nach Tahiti fuhr, um den seltenen Venus-Transit zu | |
beobachten. Dabei zieht die Venus genau zwischen Erde und Sonne hindurch, | |
woraus sich deren Entfernung errechnen lässt. | |
Auf Reihanas Video tritt der Cook-Akteur erst demütig, dann selbstbewusster | |
den Einwohnern gegenüber, tauscht mit einem Häuptling Kleidung aus, nimmt | |
an Zeremonien teil. Er stellt seinen Arbeitstisch samt Fernrohr mitten in | |
die Natur, diskutiert mit Einheimischen über den Lauf der Gestirne. | |
Aber mit der Zeit werden die Briten fordernder, peitschen Maori aus; und | |
als Cook einen von ihnen des Diebstahls bezichtigt, wird er hinterrücks | |
ermordet. Die nächste Szene zeigt Cooks Einzelteile, von Kollegen | |
betrauert, in einer Kiste. Diese Anekdote entspricht übrigens der Realität: | |
James Cook wurde 1779 auf den Hawaii-Inseln ermordet und zerstückelt. Ein | |
angeblich aus seinen Knochen gefertigter Pfeil liegt heute im australischen | |
Museum in Sydney. | |
## Szene für Szene bauen sich Missverständnisse auf | |
Verstehen kann man Reihanas Video aber auch ohne Kenntnis dieser Details. | |
Denn dass sich da, Szene für Szene, Missverständnisse und Gewalt aufbauen, | |
dass die Briten immer öfter mit Gewehren herumfuchteln – das erschließt | |
sich auch so. Und es ist spannend: Man wird förmlich hineingerissen in | |
diesen aus Einzelszenen gebauten Film, in den man jederzeit einsteigen | |
kann. | |
Kluger Kunstgriff dabei: Die Kulisse – nach Art einer Trickfilm-Folie | |
hineinmontiert – zeigt Motive jener Tapeten, die um 1800 die Salons | |
europäischer Eliten zierten und idealisierte Südsee-Landschaften zeigten. | |
Ob Reihanas Schauspieler dabei in oder vor der imaginären Landschaft | |
spielen? Beim Versuch, es zu ergründen, verheddert man sich zwischen | |
Realität, Romantisierung und Illusion wie jene europäischen Eliten, die den | |
Kolonialismus verherrlichten, es vielleicht bis heute tun. | |
Als Betrachter des Videos tut man es ihnen in einem bizarren Reenactment | |
gleich: Man läuft und schaut und läuft, die Szenen fliegen fast zu schnell | |
vorbei, und am Ende fragt man sich, ob man sah oder träumte. Hat dieselbe | |
Szene beim vorigen Durchgang nicht anders ausgesehen, wurde da nicht ein | |
Brite ausgepeitscht statt des Maori? Und suggeriert, andererseits, die | |
Endlosschleife nicht das Weiterbestehen der paternalistischen Beziehung | |
zwischen Europa und den Ex-Kolonien, auch in ethnografischen Museen? | |
In der Tat: Schamhaft im Dunkel versteckt lagern Exponate des Markk aus | |
mehreren Hamburger Südsee-Expeditionen, initiiert ab 1904 durch Georg | |
Thilenius, den ersten Direktor des damaligen „Museums für Völkerkunde“, u… | |
finanziert von Hamburger Kaufleuten. | |
Und auch wenn Emelihter Kihleng, die aus Palau stammende | |
Forschungs-Stipendiatin des MARKk, diese Exponate zusammentrug, macht das | |
nicht die Fehlstelle wett, die die Kolonisatoren hinterließen. „Es ist | |
schade, dass ich so weit reisen musste, um Gegenstände meiner eigenen | |
Kultur vorzufinden“, sagt Kihleng diplomatisch. | |
Solange das so ist, solange die [3][Restitutionsdebatte] ethnografischer | |
Museen nicht in Rückgabe oder faire Vereinbarungen mündet, ist der | |
Kolonialismus nicht ganz vorbei. | |
22 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Alternativer-Literaturnobelpreis/!5557043/ | |
[2] https://markk-hamburg.de/ausstellungen/im-schatten-von-venus/ | |
[3] /Rueckgabe-kolonialer-Museumsbestaende/!5563284/ | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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