# taz.de -- Oskar Lafontaine über SPD und Grüne: „Abwarten, ob sie standhaf… | |
> Inhaltlich gibt es bei SPD und Grünen kaum Anzeichen für einen | |
> Politikwechsel, sagt Lafontaine. Was bedeutet das für eine rot-rot-grüne | |
> Koalition? | |
Bild: „Mit mir als Kanzler“, sagt Oskar Lafontaine, „wäre die gesellscha… | |
taz.am wochenende: Herr Lafontaine, schön, dass Sie mit der „neoliberalen | |
Kampfpresse“ reden. Zu der haben Sie die taz ja neulich gerechnet. | |
Oskar Lafontaine: Ich weiche keinem Gegner aus. | |
Gruselt es Ihnen davor, dass Frank-Walter Steinmeier, also der Mann, der | |
Murat Kurnaz in Guantánamo hat schmoren lassen, bald als Bundespräsident | |
salbungsvolle Reden halten könnte? | |
Wir hatten SPD und Grünen angeboten, gemeinsam eine Persönlichkeit zu | |
unterstützen, die im Gegensatz zu Herrn Gauck für soziale Gerechtigkeit und | |
eine friedliche Außenpolitik eintritt. Aber SPD und Grüne taktieren nur. | |
Nun warten wir ab, wer kandidiert. Steinmeier hat ein beachtliches | |
Sündenregister. | |
Und dann wählt die Linkspartei das kleinere Übel? | |
Wenn SPD und CDU eigene Kandidaten aufstellen, wird die Linke beraten | |
müssen, wie sie sich verhält. | |
Sie wirken manchmal wie ein Gewerkschafter, der erst gegen das Kapital | |
holzt und dann doch mit den Arbeitgebern einig wird. Auf Facebook | |
beschimpfen Sie … | |
… Sie lesen meine Facebook-Einträge? Dann trage ich ja zur politischen | |
Bildung bei. | |
… „die neoliberalen Einheitsparteien CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne“. Jetzt | |
schließen Sie die Wahl von Steinmeier nicht aus. Gibt es doch Unterschiede | |
zwischen den Parteien? | |
Zur Wahl Steinmeiers äußern wir uns erst dann, wenn er auch kandidiert. | |
Natürlich gibt es auch zwischen Politikern, die die Agenda 2010 unterstützt | |
haben, Unterschiede. Aber der Neoliberalismus bestimmt das Handeln von CDU, | |
CSU, SPD, FDP und Grünen. Siehe etwa die jüngsten Entscheidungen bei der | |
Erbschaftsteuer oder der Leiharbeit, die die genannten Parteien gestützt | |
haben. | |
Wenn die Linke schon bei einem rein repräsentativen Amt wie dem des | |
Bundespräsidenten offenlässt, ob sie den SPD-Kandidaten unterstützt, damit | |
es nicht der CDUler wird: Wie stark ist dann erst die Bereitschaft, große | |
Konzessionen an SPD und Grüne zu machen, wenn nach der Bundestagswahl eine | |
rot-rot-grüne Mehrheit möglich ist? | |
Wir wollen einen Politikwechsel. Und einen Politikwechsel gibt es nicht, | |
wenn die neoliberale Politik fortgesetzt wird. | |
Glauben Sie an einen Politikwechsel mit Rot-Rot-Grün? | |
Vor der letzten Bundestagswahl habe ich die Programme nebeneinandergelegt: | |
Damals gab es im sozial- und steuerpolitischen Bereich eine Reihe von | |
Überschneidungen. In der Steuerpolitik haben sich SPD und Grüne nach der | |
Bundestagswahl schnell von ihren Vorstellungen verabschiedet. Und was die | |
sozialpolitische Programmatik angeht, sehen Sie jetzt an Leiharbeit und | |
Werkverträgen, dass die Ankündigungen nicht ernst zu nehmen waren. | |
Die SPD sagt, wir haben Themen, die wir in den Koalitionsverhandlungen | |
unbedingt durchbringen wollen. 2013 war es der Mindestlohn. Das macht die | |
Linkspartei nicht. Warum? | |
Ohne größere Steuergerechtigkeit und eine deutliche Verbesserung der | |
zerstörten Sozialversicherung geht es nicht. Und dann gibt es bei uns noch | |
einen Punkt, die Beteiligung der Bundeswehr an Interventionskriegen. Da | |
müssen die anderen wissen, dass die mit uns nicht zu machen ist. Für mich | |
ist völlig unverständlich, warum die etablierten Parteien nach den | |
Erfahrungen in Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen weiter für | |
Interventionskriege eintreten. | |
Das klingt nicht sehr hoffnungsvoll für Rot-Rot-Grün, sondern nach der | |
alten Leier der Linkspartei: Die anderen müssen sich ändern, sonst gibt es | |
keine Koalition. | |
Da seit Jahrzehnten eine neoliberale Politik gemacht wird, müssen wir diese | |
Leier spielen. SPD und Grüne haben bisher vorwiegend aus taktischen Motiven | |
eine rot-rot-grüne Koalition ins Gespräch gebracht. Die SPD könnte ohne | |
diese Option keinen Kanzlerkandidaten aufstellen. Die Grünen haben ein | |
Interesse, vor der Wahl nicht zu sagen, was sie nach der Wahl machen. | |
Inhaltlich gibt es bei SPD und Grünen kaum Anzeichen für einen | |
Politikwechsel. Es gab bei den bisherigen Gesprächen ein Thema, bei dem | |
Übereinstimmung herrschte, das ist die Bürgerversicherung. Aber auch da | |
müsste man abwarten, ob SPD und Grüne, wenn es den zu erwartenden Druck aus | |
der Wirtschaft gibt, standhaft bleiben. Ich habe zumindest aufgrund meiner | |
bisherigen Erfahrungen Zweifel. | |
Überlegen Sie manchmal, wie Deutschland heute aussähe, wenn Sie 1998 als | |
Kanzlerkandidat selbst angetreten wären? | |
Ja. Mit mir als Kanzler wäre die gesellschaftliche Entwicklung | |
wahrscheinlich anders verlaufen, aber das ist vergossene Milch. | |
Sie haben 1998 nicht geahnt, dass man mit Schröder keine linke Politik | |
machen konnte? | |
Ich hatte sein Wort für eine gemeinsame Politik ohne Krieg und Sozialabbau. | |
Sonst hätte ich seine Kandidatur verhindert. Aber es geht nicht nur um ihn, | |
sondern auch um Joschka Fischer. Dass er ein solcher Befürworter von | |
Interventionskriegen war, habe ich nicht geglaubt. | |
Ihr griechischer Kollege Gianis Varoufakis ist 2015 ähnlich schnell | |
zurückgetreten wie Sie 1999. Sehen Sie Parallelen zwischen Rot-Grün und | |
Syriza? | |
Ja. In beiden Fällen ging es um eine Politik, die Machtstrukturen | |
grundsätzlich infrage stellte. Daher war klar, dass Syriza es sehr schwer | |
haben würde, sich durchzusetzen. Die Kernfrage war: Wird Syriza die Kraft | |
aufbringen, gegen das Troika-Diktat aufzubegehren und zu sagen: Wir wagen | |
notfalls den Sprung ins kalte Wasser? Das hätte bedeutet, Varoufakis’ | |
damaligen Vorschlag umzusetzen: mit einer Parallelwährung zum Euro | |
anzufangen, verbunden mit der Kontrolle über die griechische Zentralbank. | |
Sind linke Parteien besonders schlecht auf den Moment vorbereitet, an dem | |
sie an die Regierung kommen? | |
Sie haben größere Schwierigkeiten, weil sie die Machtstrukturen infrage | |
stellen. Aber ich habe mir nicht vorstellen können, dass die Abwehr meines | |
Versuchs, die Finanzmärkte zu regulieren, so heftig sein würde – vom | |
Sun-Titel über den „gefährlichsten Mann Europas“ bis hin zur zynischen | |
Bemerkung des US-Finanzstaatssekretärs Larry Summers: Sie glauben doch | |
nicht, dass wir Ihre Vorschläge übernehmen? Die Wall Street hat den | |
Wahlkampf von Bill Clinton finanziert! Ich muss mir vorwerfen, die | |
Heftigkeit dieses internationalen Widerstandes nicht richtig eingeschätzt | |
zu haben. Syriza hat wohl auch nicht mit einem solchen Widerstand | |
gerechnet. | |
Besonders durchdacht wirkte deren Idee einer Volksabstimmung jedenfalls | |
nicht. | |
Wenn man über das EU-Diktat abstimmen lässt, muss man auch wissen, was man | |
danach macht. Zuerst die Bevölkerung aufzufordern, Nein zu den Bedingungen | |
der Kommission zu sagen, und sie dann doch zu akzeptieren, war ein schwerer | |
Rückschlag für die Linke. | |
Sie sind skeptisch bezüglich Rot-Rot-Grün im Bund, glauben aber an Rot-Rot | |
oder Rot-Rot-Grün im Saarland. Wie passt das zusammen? | |
Die großen politischen Knackpunkte, also Steuer- und Sozialgesetze, | |
Waffenlieferungen und die Beteiligung an Interventionskriegen, werden nicht | |
auf Länderebene entschieden. Deshalb wundert es mich immer, wenn jemand | |
sagt, in einem Bundesland funktioniert Rot-Rot-Grün, also muss es auch im | |
Bund funktionieren. | |
Die SPD hat sich im Saarland klar zum Konsolidierungskurs bekannt, im | |
Landesdienst sollen 2.000 Stellen abgebaut werden. Geht das auch in einer | |
Koalition mit der Linken? | |
Wenn es keine Millionärssteuer gibt, können wir nicht mehr Personal haben | |
als andere Bundesländer. Für eine andere Steuerpolitik, die den Ländern | |
ausreichend Geld in die Kassen spült, gibt es derzeit keine Mehrheit. Die | |
Frage bleibt dann: Können wir auf Landesebene überhaupt etwas bewegen? | |
Unser zentrales Projekt ist, bei staatlichen Zuschüssen an Firmen eine | |
Belegschaftsbeteiligung am Unternehmen durchzusetzen. Karl Schiller, der | |
Wirtschaftsminister unter Willy Brandt, sagte, als ich einmal mit ihm | |
durchs Saarland gefahren bin: Es ist ein Problem, Investitionszuschüsse von | |
10 oder 15 Prozent zu geben – und das alles wird dem Konto der | |
Anteilseigner zugeschrieben. Es ist Zeit, das zu ändern. | |
Ein Konzept ähnlich wie bei der Stahlindustrie an der Saar? | |
Die haben wir in den neunziger Jahren mit Zuschüssen mit der Auflage | |
gerettet, dass sie in eine Stiftung überführt wird. Es gibt keine privaten | |
Eigentümer mehr. Heute ist die saarländische Stahlindustrie europaweit am | |
besten aufgestellt. Sie hat ein ungleich höheres Eigenkapital als | |
beispielsweise Thyssen, weil dieses Unternehmen in die Hände von | |
Finanzinvestoren gefallen ist. Die Stahlindustrie an der Saar funktioniert | |
nach dem Motto: Alles Geld bleibt im Unternehmen, es wird sehr viel | |
investiert, und die Entscheidungen werden unter Beteiligung der Belegschaft | |
im Saarland getroffen. Dieses erfolgreiche Modell wollen wir ausweiten. | |
Wollen Sie selbst auch Regierungsverantwortung im Saarland übernehmen? | |
Ich war schon Oberbürgermeister, Ministerpräsident und Minister und werde, | |
sollten wir uns an einer Regierung beteiligen, anderen den Vortritt lassen. | |
Aber Sie werden für den Landtag kandidieren? | |
Das ist noch nicht endgültig entschieden. | |
5 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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