# taz.de -- Ortskräfte in Afghanistan: Man kennt sie nicht mehr | |
> Zehn Jahre lang arbeitete Mohammad Zahed für die Nato-Truppen in Kabul. | |
> Seine Rettung scheitert an einem bürokratischen Detail. | |
Bild: Neue Realität: Ein halb abgerissenes Plakat des geflohenen Präsidenten … | |
Mohammad Zahed blickt nervös in die Kamera seines Smartphones, um ihn | |
herum herrscht Chaos. Hunderte von Menschen strömen an ihm vorbei und | |
versuchen, auf den [1][Kabuler Flughafen] zu gelangen. „US-Soldaten und | |
Taliban-Kämpfer schießen in die Menge“, berichtet Zahed, der sich nahe dem | |
Flughafengelände aufhält. Seit die militant-islamistischen Taliban am | |
vergangenen Sonntag Kabul eingenommen haben, spielen sich dort dramatische | |
Szenen ab. | |
Zahed, Ende Dreißig, ist für eine große Telekommunikationsfirma in Kabul | |
tätig. In den letzten zehn Jahren kümmerte er sich auch um die | |
Datenleitungen der Bundeswehr und anderer Nato-Truppen. Seine Arbeit war | |
aus logistischer Sicht fundamental, um den westlichen Einsatz vor Ort und | |
die damit verbundene Kommunikation zu ermöglichen. | |
Dieser Umstand ist nicht nur Zahed bewusst, sondern auch jenen, von denen | |
er seit Monaten bedroht wird und die nun zurück in Kabul sind: die Taliban. | |
Einer seiner Arbeitskollegen wurde im vergangenen Jahr getötet. Von | |
Extremisten, wie er glaubt. | |
Seit die [2][USA und ihre Verbündeten ihren Abzug durchführen], versinkt | |
Afghanistan im Chaos. In den letzten Tagen und Wochen konnten die Taliban | |
fast das ganze Land einnehmen. Lediglich die nördliche Provinz Pandschir, | |
in der sich Vizepräsident Amrullah Saleh und Ahmad Massoud, Sohn des | |
bekannten Mudschaheddin-Kommandanten Ahmad Schah Massoud, aufhalten sollen, | |
wird von den Extremisten nicht kontrolliert. | |
## Unglaubwürdige Amnestie | |
Seit Jahren ist bekannt, dass die Taliban ein besonderes Augenmerk auf jene | |
Afghanen gelegt haben, die den ausländischen Truppen geholfen haben, | |
sprich, Dolmetscher und anderweitiges Personal, das in den letzten zwanzig | |
Jahren von der Nato beschäftigt wurde. Menschen wie Mohammad Zahed. Konkret | |
betrifft dies Tausende von Afghanen. Während viele von ihnen ihre Heimat in | |
den letzten Jahren verlassen haben, sind andere geblieben. | |
Sie sind es, die nun die Vergeltung der Taliban fürchten, obwohl diese vor | |
Kurzem abermals [3][eine Generalamnestie versprachen]. „Ich kann mich auf | |
solche Worte nicht verlassen. Wer weiß, wie sie agieren werden, wenn der | |
internationale Fokus weg ist?“, fragt sich Zahed, der aus der | |
südostafghanischen Provinz Khost nahe der pakistanischen Grenze stammt. | |
Dort sind die Taliban bereits seit Jahren präsent, weshalb er sein Dorf | |
nicht mehr besucht. | |
Vor einigen Wochen hatte die Bundesregierung angekündigt, allen Ortskräften | |
von Bundeswehr und Polizei, die ab 2013 ein Visum für Deutschland | |
angestrebt hatten, dieses zu bewilligen. Bislang wurden hierfür mindestens | |
2.400 Visa für betroffene Personen und deren enge Verwandte ausgestellt. | |
Viele von ihnen konnten sich allerdings kein Flugticket leisten. Die | |
Bundesregierung hatte die Übernahme von Reisekosten abgelehnt. Zuletzt | |
sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für „pragmatische Lösungen“ aus. | |
Etwaige Charterflugzeuge wurden in den Raum gestellt. Doch [4][dann fiel | |
Kabul] und von Evakuierungsflügen für Ortskräfte fehlt jegliche Spur. | |
## Ein Déjà-vu für die Afghanen | |
Es gibt jedoch ein weiteres Problem, denn Afghanen wie Zahed wird womöglich | |
gar nicht geholfen. „Ich habe jeden Tag mit den Nato-Kräften und der | |
Bundeswehr zusammengearbeitet, doch ich hatte keinen direkten Vertrag mit | |
ihnen. Das wird mir und meiner sechsköpfigen Familie nun zum Verhängnis“, | |
sagt er. | |
Im Fall von Mohammad Zahed hat das Auswärtige Amt bereits (vor mehreren | |
Wochen) bestätigt, dass man sich um sein Anliegen nicht kümmern könne, da | |
er für eine externe Firma tätig war, die wiederum für die Nato-Truppen | |
arbeitete. Die Firma mit Sitz in Hongkong hat auch Zweigstellen in | |
Deutschland, wo Zaheds Verwandte leben. | |
Wer die Argumentation des Auswärtigen Amtes liest, bekommt den Eindruck, | |
dass die Bundeswehr nichts mit Zahed zu tun hatte. Dabei sah die Realität | |
vor Ort anders aus. „Den Soldaten war es egal, ob ich als Individuum einen | |
Vertrag mit ihnen hatte oder nicht. Sie haben sich immer an mich gewandt. | |
Ich war stets für sie da. Doch nun kennt man mich plötzlich nicht mehr, | |
obwohl unsere Zusammenarbeit im Detail dokumentiert ist“, sagt Zahed. Der | |
Mailverkehr, den Zahed mit den Nato-Truppen hielt, liegt der taz vor. | |
Angesichts des Abzugs der US-Truppen haben viele Afghanen ein Déjà-vu. | |
[5][1989 verließen die letzten sowjetischen Truppen] nach ihrer | |
zehnjährigen Besatzung das Land. Das letzte kommunistische Regime konnte | |
sich drei weitere Jahre dank finanzieller und logistischer Unterstützung | |
aus Moskau halten. Nachdem der Geldhahn abgedreht wurde, nahmen die | |
Mudschaheddin Kabul ein und ein blutiger Bürgerkrieg brach aus. Er kostete | |
Tausende von Afghanen das Leben. Dann kamen die Taliban an die Macht. | |
## Viele Tote, keine Zukunft | |
Doch nun geschah alles viel schneller. Laut den Vereinten Nationen kam es | |
im ersten Halbjahr 2021 zu mindestens 5.183 zivilen Opfern in Afghanistan. | |
1.659 Zivilisten wurden getötet, 3.524 weitere verletzt. Für Mohammad Zahed | |
ist all dies und die Rückkehr der Taliban Grund genug, um Afghanistan | |
verlassen zu wollen. | |
„Ich hoffe, dass die deutschen Behörden ihrer Verantwortung nachkommen und | |
wir endlich abreisen können. Meine Kinder haben hier keine Zukunft, egal, | |
was die Taliban uns heute erzählen und wie sehr sie sich verändert haben | |
mögen“, sagt Zahed. | |
19 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Afghanistan-nach-dem-Machtwechsel/!5789732 | |
[2] /US-Truppenabzug-aus-Afghanistan/!5790526 | |
[3] /Afghanistan-nach-dem-Machtwechsel/!5794472 | |
[4] /Taliban-uebernehmen-Afghanistan/!5789645 | |
[5] https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/178868/1989-sowjetischer-abz… | |
## AUTOREN | |
Emran Feroz | |
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