# taz.de -- Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Deutscher angeschossen | |
> Der Mann ist auf dem Weg zum Kabuler Flughafen gewesen. Ein UN-Bericht | |
> warnt vor Vergeltungsaktionen der Taliban. Außenminister Maas kritisiert | |
> den BND. | |
Bild: Warnung vor Vergeltungsaktionen: Patrouillierende Taliban-Kämpfer in Kab… | |
## Deutscher auf dem Weg zum Flughafen angeschossen | |
Ein Deutscher hat auf dem Weg zum Flughafen Kabul in Afghanistan eine | |
Schussverletzung erlitten. Das sagte die stellvertretende | |
Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Freitag in Berlin. „Er wird | |
medizinisch versorgt, es besteht aber keine Lebensgefahr“, sagte Demmer. | |
„Und er wird bald ausgeflogen werden.“ Es handele sich um einen Zivilisten. | |
Um den Flughafen herrschen seit der Machtübernahme der | |
militant-islamistischen Taliban chaotische Zustände. Die Lage ist extrem | |
gefährlich. Die Verzweiflung der Menschen, die auf Evakuierungsflüge | |
gelangen wollen, wird von Stunde zu Stunde größer. Das berichtete ein | |
Augenzeuge am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Demnach halten sich am | |
Eingang zum zivilen Teil, der an einem großen Kreisverkehr liegt, weiterhin | |
Hunderte Menschen auf, die versuchen, auf das Gelände und dann mit Hilfe | |
von westlichen Flugzeugen außer Landes zu kommen. Kämpfer der Taliban | |
feuerten dort in die Luft und schlugen mit Peitschen, um die Leute zu | |
vertreiben. | |
In einem Schreiben der deutschen Botschaft an Menschen, die auf einen Flug | |
hoffen, hieß es am Freitag: „Die Lage am Flughafen Kabul ist aber äußerst | |
unübersichtlich. Es kommt an den Gates immer wieder zu gefährlichen | |
Situationen und bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Zugang zum Flughafen | |
ist derzeit möglich. Zwischendurch kann es aber immer wieder kurzfristig zu | |
Sperrungen der Tore kommen, auch weil so viele Menschen mit ihren Familien | |
versuchen, auf das Gelände zu kommen. Wir können Sie leider nicht vorab | |
informieren, wann die Tore geöffnet sein werden.“ | |
Am Flughafen von Kabul gibt es einen zivilen und einen militärischen | |
Bereich. Da die Taliban den Zugang zum zivilen Airport kontrollieren und | |
blockieren, ist der Ansturm auf den militärischen Teil des Flughafens groß. | |
Der US-Fernsehsender CNN zeigte auch Bilder, wie US-Soldaten in die Luft | |
schossen, um die Menschenmenge von den Außenmauern zurückzuhalten. (dpa) | |
## UN-Bericht warnt vor Vergeltungsaktionen der Taliban | |
Einem für die UN erstellten Bericht zur Lage in Afghanistan zufolge sind | |
die militant-islamistischen Taliban gezielt auf der Suche nach | |
vermeintlichen Kollaborateuren und drohen offen mit Repressalien für deren | |
Familienmitglieder. In dem vertraulichen vierseitigen Bericht des RHIPTO | |
Norwegian Center for Global Analyses, der der Deutschen Presse-Agentur | |
vorliegt, heißt es, dem größten Risiko seien Personen ausgesetzt, die | |
wichtige Positionen im Militär, der Polizei oder anderen | |
Ermittlungsbehörden eingenommen hatten. | |
Die Beteuerungen der Taliban, keine Vergeltungsaktionen vornehmen zu | |
wollen, hält der Leiter der Denkfabrik, Christian Nellemann, nicht für | |
glaubhaft. „Sie versuchen einfach, die Leute an Ort und Stelle zu halten, | |
um sie festnehmen zu können“, so Nellemann. | |
Dem Bericht zufolge hatten die Islamisten bereits vor der Einnahme größerer | |
Städte in Afghanistan Listen und Karten über den Aufenthalt von Personen | |
erstellt, die sie festnehmen wollten. Seien diese nicht auffindbar, würden | |
Familienmitglieder stattdessen in Gewahrsam genommen oder mit Festnahme und | |
sogar dem Tod bedroht. | |
Als Beweis ist dem Bericht ein angeblicher Brief der Taliban an einen | |
früheren hochrangigen Mitarbeiter der afghanischen Sicherheitskräfte | |
angefügt. Darin heißt es, der Mann solle sich stellen, ansonsten sei er | |
selbst für die Festnahme seiner Familienmitglieder verantwortlich. Laut | |
Bericht intensivieren die Taliban das Sammeln von Informationen über | |
ehemalige Regierungsmitarbeiter, indem sie Informanten rekrutieren sowie | |
Händler und Moscheen kontaktieren. Der Fokus westlicher Nationen auf die | |
Rückholung ihrer eigenen Staatsbürger werde ausgenutzt, um gezielt Afghanen | |
ins Visier zu nehmen. (dpa) | |
## Verschärfung der Hungersnot befürchtet | |
Angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan seit der Machtübernahme der | |
radikalislamischen Taliban warnen die Vereinten Nationen vor einer | |
Verschärfung der Hungersnot in dem bitterarmen Land. „Jeder dritte Mensch“ | |
sei von schwerem oder akutem Hunger bedroht, sagte die Leiterin des | |
Welternährungsprogramms (WFP) in Afghanistan, Mary-Ellen McGroarty, am | |
Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Die UNO warnte zudem vor der | |
systematischen Verfolgung von afghanischen Regierungsmitarbeitern und | |
Nato-Ortskräften. | |
WFP-Länderchefin McGroarty zufolge betrifft der Nahrungsmangel bereits 14 | |
Millionen Menschen. Ursachen seien zum einen der Klimawandel, zum anderen | |
der militärische Konflikt zwischen Regierung und radikalislamischen | |
Taliban. Das Land sehe sich mit der „zweiten schweren Dürre innerhalb von | |
drei Jahren konfrontiert“. Wegen des trockensten Winters seit 30 Jahren sei | |
die Weizenernte um 40 Prozent zurückgegangen, die Weizenpreise seien | |
bereits 24 Prozent über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre. (afp) | |
## Maas betont Verantwortung des BND | |
Der Bundesnachrichtendienst trägt Außenminister Heiko Maas zufolge eine | |
erhebliche Mitverantwortung für die jüngsten Probleme beim | |
Afghanistan-Einsatz. „Der BND hat offensichtlich eine falsche | |
Lageeinschätzung vorgenommen, so wie andere Dienste auch“, sagt Maas dem | |
Spiegel. Die Entscheidungen, die aufgrund fehlerhafter Berichte getroffen | |
worden seien, seien nach bestem Wissen und besten Gewissen gefallen, im | |
Ergebnis aber falsch gewesen. Die Dienste hätten falsche Einschätzungen | |
voneinander übernommen. Das könne nicht ohne Konsequenzen für die | |
Arbeitsweise der deutschen Nachrichtendienste bleiben. (rtr) | |
## Über 9.000 Menschen ausgeflogen | |
Angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan seit der Machtübernahme der | |
radikalislamischen Taliban haben westliche Länder inzwischen weit über | |
9.000 Menschen aus Kabul ausgeflogen – und Tausende warten immer noch | |
verzweifelt auf ihre Rettung. Die Bundeswehr flog bis spät in die Nacht zum | |
Freitag deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus Kabul aus, | |
insgesamt nun mehr als 1.640 Menschen. | |
Zuletzt landete eine Transportmaschine der Bundeswehr vom Typ A400M mit 181 | |
Menschen an Bord in der Nacht in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. | |
Zuvor war ein A400M mit 184 Menschen an Bord aus der afghanischen | |
Hauptstadt eingetroffen. „Bisher wurden in elf Umläufen über 1.640 Menschen | |
aus Afghanistan evakuiert“, teilte die Bundeswehr im Onlinedienst Twitter | |
mit. | |
Die USA meldeten am Donnerstag, sie hätten in den vergangenen fünf Tagen | |
rund 7.000 Menschen aus Kabul ausgeflogen. Auch andere westliche Länder | |
haben bereits hunderte Landsleute ausgeflogen, darunter Frankreich, die | |
Türkei oder Großbritannien. | |
Am Flughafen der Stadt warten aber weiter tausende Afghanen, um einen Platz | |
in einem rettenden Flieger zu bekommen. Nach unbestätigten Berichten gab es | |
mehrere Tote am Flughafen, wo sich die Menschen in einem Streifen zwischen | |
US-Soldaten und Taliban drängen. (afp) | |
## Schwarze Liste | |
Die radikal-islamischen Taliban stellen einem privaten norwegischen | |
Nachrichtendienst zufolge eine schwarzen Liste mit Namen von Afghanen | |
zusammen, die in Schlüsselpositionen mit der gestürzten Regierung oder mit | |
den internationalen Truppen zusammengearbeitet haben. „Die Taliban | |
intensivieren die Jagd auf alle Personen und Kollaborateure des früheren | |
Regimes und falls sie erfolglos sind, nehmen sie die Familien ins Visier, | |
verhaften sie und bestrafen sie nach ihrer eigenen Auslegung der Scharia“, | |
heißt es in einem Bericht, der vom RHIPTO Norwegian Center for Global | |
Analyses erstellt und von Reuters eingesehen werden konnte. | |
Besonders gefährdet seien Personen, die in zentralen Positionen bei | |
Militär, Polizei und Ermittlungsbehörden gewesen seien. Die gemeinnützige | |
Organisation nimmt unabhängige nachrichtendienstliche Bewertungen vor und | |
wird von den Vereinten Nationen unterstützt. Die Taliban hatten sich | |
zuletzt moderater geäußert und erklärt, nicht auf Rache an alten Feinden | |
aus zu sein. (rtr) | |
## 100 Millionen Euro Soforthilfe | |
Die Bundesregierung stellt 100 Millionen Euro Soforthilfe für Flüchtlinge | |
aus Afghanistan zur Verfügung. Dies teilte das Auswärtige Amt auf Twitter | |
mit. Mit dem Geld sollen internationale Hilfsorganisationen unterstützt | |
werden, die sich in den Nachbarländern um geflüchtete Afghanen kümmern. | |
Weitere Hilfen sollen folgen. | |
Finanzminister Olaf Scholz hatte die Hilfe schon am Donnerstag angekündigt. | |
Der Deutschen Presse-Agentur sagte der SPD-Kanzlerkandidat: „Dies ist ein | |
erster Schritt, der zeigt, dass wir uns verantwortlich fühlen und uns | |
kümmern.“ (dpa) | |
## Sündenbock BND | |
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat die Arbeit des | |
Bundesnachrichtendienstes (BND) zu Afghanistan kritisiert. „Der BND hat | |
offensichtlich eine falsche Lageeinschätzung vorgenommen, so wie andere | |
Dienste auch“, sagte der Minister dem Spiegel in einem am Freitag | |
veröffentlichten Interview. Damit habe der Geheimdienst eine erhebliche | |
Verantwortung für das außenpolitische Debakel rund um den | |
Afghanistan-Einsatz. | |
„Die Entscheidungen, die aufgrund dieser fehlerhaften Berichte getroffen | |
wurden, sind nach bestem Wissen und Gewissen gefallen“, erklärte Maas. Sie | |
seien aber „im Ergebnis falsch“ gewesen, mit katastrophalen Folgen. Das | |
könne nicht ohne Konsequenzen für die Arbeitsweise der deutschen | |
Nachrichtendienste bleiben, sagt der SPD-Politiker. Zudem sollten | |
Erkenntnisse anderer Dienste künftig vor einer Übernahme intensiv geprüft | |
werden. | |
Es brauche eine Debatte über den Sinn von Bundeswehr-Einsätzen. „Das | |
Scheitern in Afghanistan darf nicht dazu führen, dass wir uns außen- und | |
sicherheitspolitisch komplett der Verantwortung auf der Welt verweigern“, | |
sagte der Minister. „Aber Afghanistan darf sich auch nicht noch einmal | |
wiederholen“, sagte Maas. | |
Die Nato-Partner müssten diskutieren, ob das Verteidigungsbündnis überhaupt | |
geeignet sei, Einsätze außerhalb des eigentlichen Auftrags zu führen. „Ist | |
es unsere Aufgabe, für Frieden zu sorgen? Für die Einhaltung der | |
Menschenrechte? Gehört es auch dazu, unsere Staatsform zu exportieren? Das | |
ist in Afghanistan auf jeden Fall gescheitert“, sagte der SPD-Politiker. | |
(afp) | |
## Facebook: Neue Sicherheitsmaßnahmen | |
Facebook will afghanische Nutzer nach der Machtübernahme der Taliban online | |
durch neue Sicherheitsmaßnahmen schützen. „Wir arbeiten eng mit unseren | |
Partnern in der Industrie, der Zivilgesellschaft und der Regierung | |
zusammen, um jede erdenkliche Unterstützung zum Schutz der Menschen zu | |
leisten“, schrieb der für die Sicherheitsstrategie zuständige Nathaniel | |
Gleicher im Onlinedienst Twitter am Donnerstag (Ortszeit). Auch Nutzer des | |
zu Facebook gehörenden Dienstes Instagram in Afghanistan sollen | |
Informationen zum Schutz ihrer Konten erhalten. | |
Es sei in Afghanistan vorübergehend nicht mehr möglich, die Freundeslisten | |
anderer Nutzer zu durchsuchen. So will das Unternehmen verhindern, dass die | |
Taliban durch das Online-Netzwerk Menschen ins Visier nehmen können. Auch | |
könnten Nutzerinnen und Nutzer die Sichtbarkeit von Beiträgen auf Menschen | |
beschränken, die sie kennen. | |
Auch Taliban-Konten beim Onlinedienst Whatsapp wurden offenbar gesperrt. So | |
war der Sprecher der Islamisten, Sabihullah Mudschahid dort nicht mehr | |
erreichbar. Die Financial Times berichtete zudem, dass ein Taliban-Konto, | |
bei dem Afghanen Plünderungen anzeigen konnten, gesperrt wurde. (afp) | |
20 Aug 2021 | |
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