# taz.de -- Neues Album von Kendrick Lamar: Dick auch ohne Goldschmuck | |
> Der Hype ist begründet: Auf „To Pimp a Butterfly“ von US-Rapper Kendrick | |
> Lamar versammelt sich die Meisterklasse der Black-Music-Komponisten. | |
Bild: Gegenentwurf zu HipHop-Millionären wie Jay-Z: Kendrick Lamar. | |
Wer sich beschwert, dass Rap früher besser war, musikalisch interessanter | |
klang und politisch noch etwas zu sagen hatte, der kann dieses Album schön | |
laut aufdrehen: Kendrick Lamars „To Pimp A Butterfly“ entlehnt seinen Titel | |
nicht umsonst Harper Lees Romanklassiker „To Kill a Mockingbird“. Nein, | |
größenwahnsinnig wirkt Lamar nicht, höchstens seiner Zäsurstellung bewusst. | |
Denn der Hype um die Platte ist groß, und er ist berechtigt: 9,6 Millionen | |
Mal wurde sie am Erscheinungstag gestreamt, kein anderes Album hat es | |
bisher auf so eine Zahl geschafft. | |
Mit seinem zweiten Werk liefert der 27-jährige Kalifornier nämlich ein | |
soundtechnisch wie erzählerisch unglaublich gehaltvolles Konzeptalbum, das | |
sich locker zwischen glänzende Westcoast-Classics wie Dr. Dres „The | |
Chronic“ (1992), Tupac Shakurs „All Eyez on me“ (1996) und The Games | |
„Documentary“ (2005) einreihen lässt. Mal flowt Lamar unbeschwert, mal | |
schreit er sich die Seele aus dem Leib über das theatralisch arrangierte | |
Beat-Set. Mal droppt er fesselnde Geschichten von Gut und Böse zwischen | |
rotierenden Jazz-Momenten und bläserlastigen Funk-Grooves. | |
Während sich das viel beachtete Debütalbum „Good Kid, M.a.a.d. City“ noch | |
um den Alltag des in Compton, Los Angeles, aufgewachsenen jungen Hustlers | |
drehte, geht es auf „To Pimp a Butterfly“ um die inneren Widersprüche und | |
Ängste eines Ausgezogenen, um die Verantwortung der großen Bühnen dieser | |
Welt, die Lamar inzwischen rockt, und um die sündhaften Verlockungen, die | |
in Hotelsuites auflauern. | |
Interessant ist dabei vor allem, dass Lamar nun wieder in sein altes | |
Viertel zurückgezogen ist und die Anbindung zur Community nicht verliert. | |
Das mag der beste Input für einen authentischen Storyteller sein. Es verrät | |
aber auch, warum der Rapper als Gegenentwurf zu glamourösen | |
HipHop-Millionären wie Kanye West oder Jay-Z gilt: Lamar ist kein Mann des | |
dicken Goldschmucks und der Designeranzüge. Er ist seit über zehn Jahren | |
mit seiner Highschool-Liebe liiert und macht lediglich durch seine Musik | |
von sich reden. | |
Musikalisch ergibt sich über die Bezugnahme auf L. A.s zeitgenössische | |
Beat-Szene um Flying Lotus (der auch gleich den ersten Track auf dem Album | |
produziert hat) und dem G-Funk der 90er Jahre ein vielschichtiger Sound, | |
der der Meisterklasse von Black-Music-Komponisten zu verdanken ist, die | |
sich auf „To Pimp a Butterfly“ versammelt. Bassist Thundercat ist dabei, | |
Produzent Terrace Martin liefert einige Bretter und Jazz-Pianist Robert | |
Glasper vergoldet die Songs mit erhabenem Geklimper. Selbst Pharrell | |
Williams gibt sich die Ehre und präsentiert mit dem verspult-bouncigen | |
Instrumental zu „Alright“ eine seiner stärksten Produktionen der | |
vergangenen Jahre. | |
## Obdachlose und Gott | |
Am deutlichsten aber zeigt sich die Herrschaft von Compton-Legende Dr. Dre, | |
der mit seiner Crew N. W. A. einst die Blaupause für den Gangsta-Rap | |
lieferte und nun als Executive Producer den Gesamtstil von „To Pimp a | |
Butterfly“ maßgeblich beeinflusst hat. Dres Präsenz ist am stärksten in | |
ikonischen Momenten wie auf „How Much a Dollar Cost“ zu erkennen. Der Song | |
erzählt von der Begegnung mit einem Obdachlosen, der sich als Gott | |
enttarnt, und wird untermalt von pompösen Hörnern, knallenden Drums und | |
schwermütigen Pianoakkorden. | |
„Wesley’s Theory“ wiederum öffnet mit einem Vocalsample des Jamaikaners | |
Boris Gardiner: „Every nigger is a star.“ Es geht um den Rausch durch und | |
die Vergänglichkeit von Erfolg, als Paradebeispiel hält Wesley Snipes her, | |
einst Hollywoodgröße, inzwischen mehrmals wegen Steuerhinterziehung | |
verurteilt und pleite. Snipes und Funklegende George Clinton, der das Intro | |
zum Song einspricht, sind nur zwei Prominente, die eine Rolle in Lamars 16 | |
Songs starker Hood-Oper spielen. Es folgen noch einige schwarze | |
Schüsselfiguren der (Pop-)Geschichte: Obama und Mandela werden erwähnt, | |
Michael Jackson wird rehabilitiert, Fela Kuti gesampelt („I No Get Eye for | |
Back“ auf „Mortal Man“), Snoop Dogg gefeaturet, und die 1996 verstorbene | |
Westcoast-Rap-Legende Tupac Shakur wird in einem zusammenmontierten Epilog | |
interviewt. | |
Ihren Höhepunkt erreichen Lamars Reflexionen über den schwarzen Mann auf | |
dem wutentbrannten Track „The Blacker The Berry“. Angelehnt an Wallace | |
Thurmans 1929 erschienenen gleichnamigen Harlem-Renaissance-Roman, | |
verarbeitet Lamar darin Stereotypen und Realitätsaspekte der | |
afroamerikanischen Community zu einer Art mehrdimensionaler Ferguson-Hymne. | |
Es geht um Rassismus und systematische Gewalt, aber es geht auch um die | |
Kehrseite. „I’m the biggest hypocrite in 2015“ lautet die erste Zeile | |
schon, damit Lamar am Ende des Stücks resümieren kann, dass schwarze Männer | |
nicht nur von weißen Polizisten erschossen werden, sondern sich in Compton | |
viel zu häufig auch gegenseitig erschießen. Ziemlich genau 50 Jahre nach | |
den Aufständen im benachbarten Bezirk Watts, wo sich die zu 99 Prozent | |
schwarze Bevölkerung gegen Polizeigewalt zur Wehr setzte und einen Anstoß | |
für die Black-Panther-Bewegung gab, ist das ein Statement, das sich nicht | |
viele Protagonisten trauen auszusprechen. | |
19 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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