| # taz.de -- Minialbum von Thundercat: Blut auf der Tanzfläche | |
| > Trauer, Erotik, Aufbruch: Mit „The Beyond/Where the Giants Roam“ liefert | |
| > Pop-Bassist Thundercat das kürzeste und schönste Album dieses Sommers. | |
| Bild: Exzentriker, auch was Kopfschmuck angeht: Thundercat. | |
| Kann man sich innerhalb von 16 Minuten trennen und neu verlieben? Kann man | |
| den Tod beweinen und im Anschluss tanzen gehen? Geht das? | |
| „Es gibt keine richtige Art, mit dem Verlust umzugehen“, schrieb Joan | |
| Didion einst. Die US-Autorin, die sich jahrelang mit dem Tod von Ehemann | |
| und Tochter auseinandersetzte, weiß: Es ist Bullshit, dass die Zeit alle | |
| Wunden heile. Warum also warten und trauern bis der Schmerz nachlässt, wenn | |
| er doch nie vollkommen in der Stille ausklingen wird? | |
| Nur 16 Minuten geht das kürzeste und wahrscheinlich schönste Album des | |
| Sommers. Und auch hier geht es um Zeit, um Tod und um Verletzlichkeit. „The | |
| Beyond/Where the Giants Roam“ heißt es und stammt vom Bassisten/ Sänger/ | |
| Komponisten Thundercat, von dem in diesem Jahr mehrmals zu hören war – im | |
| Kleingedruckten in den Credits großer Werke: | |
| Stephen Bruner, so heißt Thundercat bürgerlich, war involviert in die | |
| Produktion von Kendrick Lamars Hip-Hop-Epos „To Pimp A Butterfly“, und er | |
| ist ständiges Mitglied der Band um Kamasi Washington, seinem | |
| Kindheitsfreund. Thundercat selbst, der zum näheren Umfeld des in Los | |
| Angeles angesiedelten Post-Hip-Hop-Masterminds Flying Lotus und zu dessen | |
| Label Brainfeeder gehört, brachte seine letzte Soloplatte „Apocalypse“ vor | |
| zwei Jahren heraus. | |
| Was in der Zwischenzeit passiert ist, teilte der Virtuose mit dem stets | |
| exzentrischen Pelz- und Feder-Kopfschmuck kürzlich in vereinzelten Tweets | |
| der Öffentlichkeit mit: Er habe mit dem Tod einiger ihm nahestehender | |
| Personen zu kämpfen gehabt und den gewaltsamen Angriffen, denen die | |
| schwarze Community in letzter Zeit ausgesetzt war. Darum drehe sich der | |
| Kern von „The Beyond/Where the Giants Roam“. | |
| Dieses sechs Songs starke Release würde man gemeinhin wohl EP nennen, | |
| Thundercat aber nennt es ein Minialbum. Schon allein das ist ein Statement | |
| gegen die Verabsolutierung der Maßeinheit Zeit. Eine Platte muss laut | |
| dieser Logik keine bestimmte Zeitspanne ausfüllen, um als Album zu gelten. | |
| Eine Platte ist ein Album, weil sie als solches gedacht ist. Weil sie eine | |
| Zäsur im Werk darstellt – nicht einen diskografischen Nebenschauplatz wie | |
| es bei EPs häufig der Fall ist. | |
| ## Tonnenschwere Leichtigkeit | |
| Was „The Beyond/Where the Giants Roam“ explizit zu einem erhabenen Ereignis | |
| macht, schlägt sich in zwei Eigenschaften nieder. Zum einen ist da die | |
| Leichtigkeit, mit der Thundercat tonnenschwere Empfindungen in Klänge | |
| zermahlt. Empor rotierende Basslines und luftige Synthies funktionieren | |
| wunderbar als Kontrast zu der immerzu präsenten Schwermut, die in und | |
| zwischen den Songzeilen liegt. | |
| Die abgespaceten, verkopften Stakkato-Beats der Vorgängeralben gibt es | |
| nicht mehr, Thundercat zeigt Mut zum schönen Popsong, dem es dennoch nie an | |
| jazzigen Improv-Momenten oder R&B-hafter Erotik fehlt. Die zweite Stärke | |
| des Albums ist seine Dramaturgie: Es fängt an mit einem Song, der sich mehr | |
| nach Outro als nach Intro anfühlt (“Hard Times“), nach einem | |
| unwiderruflichen Abschluss, aus dem das Neue entstehen kann. | |
| Thundercats markant hohe, supersamtene Stimme multipliziert sich zum | |
| jenseitigen Chor, der vom gesichtslähmenden Schmerz singt. Darauf folgt | |
| „Song for the Dead“, was wortwörtlich als Abschiedslied für verstorbene | |
| Freunde zu verstehen ist und klanglich wie eine innige Umarmung daherkommt. | |
| Tod ist hier ein Nachhausegehen und der Abschied eine feierliche Geste, | |
| kein drohendes Selbstmitleid. | |
| Die Klimax des Albums bildet schließlich das tanzbare Mittelstück „Them | |
| Changes“ mit hochgradig ansteckenden Funkgitarren und lässigem | |
| Kopfnick-Beat. „Nobody move! There’s blood on the floor / And I cant find | |
| my heart“, singt Thundercat und malt wunderschöne Bilder von der Suche nach | |
| dem verlorenen Glück auf der Tanzfläche. | |
| Von da an faden Tempo und Stimmung langsam wieder herunter, Herbie Hancock | |
| legt einen tollen Keyboard-Job auf „Lone Wolf and Cub“ hin. Das | |
| atmosphärische „That Moment“ scheint ein Soundtrack zum Cover des Albums zu | |
| sein (Schattenumrisse eines Thundercat mit Wolfsmütze im dämmrigen Wald) | |
| und nach 16 Minuten ist eine ganze Reihe von Zuständen durchschritten: | |
| Trauer, Trost, Erleichterung, Aufbruch. Nur eines gibt es nicht: Leere. | |
| Denn um ins schwarze Loch zu fallen, dazu fehlt einem die Zeit. Zum Glück. | |
| 20 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
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