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# taz.de -- Französisches Musik-Video: Baby-Rapper, die mit Waffen fuchteln
> In ihrem Video werden Pistolen gezückt. Die Gruppe Sarcelleslite rappt
> gewaltverherrlichende Texte – sie sind kaum älter als 13 Jahre.
Bild: Szene aus „Premier Pocheton“ von Sarcelleslite.
BERLIN taz | Schon seit Anfang Januar ist er bei Youtube gepostet: der Clip
zum Track „Premier Pocheton“ der Gruppe Sarcelleslite. Pocheton – so hei�…
im Slang der Banlieues die kleinen Plastiksäcke, in denen Drogendealer
ihren Stoff aufbewahren. Nicht weiter außergewöhnlich für den französischen
Gangsta-Rap, sich auf solch ein Utensil zu beziehen. Jedoch: Sarcelleslite
besteht aus einem Dutzend höchstens Dreizehnjähriger. Und einige von ihnen
sind erkennbar noch im Grundschulalter.
Mehr als 370.000 Klicks hat das Video bisher erzielt, es zirkuliert in den
sozialen Netzwerken. In ihm treten die Jungs aus Sarcelles, einer Kommune
im Ballungsraum von Paris, gemeinsam an öffentlichen Plätzen in der
Trabantensiedlung Lochères in Erscheinung. Dabei tragen zwei von ihnen
Masken, ab und zu kommen Szenen, in denen Scooter-Fahrer mit akrobatischen
Einlagen glänzen.
Für den größten Wirbel sorgt aber natürlich, dass einige der „Baby-Rapper…
wie sie in den französischen Medien mittlerweile genannt werden, mit einer
Waffe herumfuchteln. Und mit Bündeln von 20-Euro-Scheinen. Dazu rappen sie
einen äußerst gewalthaltigen Text: „Wir müssen Kohle machen. Zieh' Deine
Waffe nicht, wenn Du nicht die Eier zum Schießen hast“. An anderer Stelle
heißt es: „Du wirst abgeknallt, gnadenlos, man wird nicht auf Deine Füße,
man wird auf Deinen Kopf zielen“.
Schließlich dürfen auch sexistische Phrasen nicht fehlen: „Im Rap
hinterlasse ich Spuren, wie auf dem A....Deiner Schwester“. Kriegt hier der
Front National-Wähler nicht eine plakative Illustration für sein Vorurteil,
das migrantische Gesindel aus den Vorstädten würde schon von Kindesbeinen
an in die kriminelle Karriere starten?
Doch auch der Sozialist François Pupponi, direkter Nachfolger von Dominique
Strauss-Kahn sowohl im Amt des Bürgermeisters von Sarcelles als auch auf
dem Stuhl des Parlamentsabgeordneten für den 8. Wahlkreis im Départment
Val-d'Oise, zeigte sich empört, nachdem er relativ spät Wind von dem Clip
bekommen hatte. Er forderte, die Macher einer exemplarischen Strafe
zuzuführen. Und am Dienstag begann die Staatsanwaltschaft von Pontoise
[1][laut der Tageszeitung Le Monde] nun tatsächlich mit Vorermittlungen.
## Mit Erlaubnis der Eltern?
„Wir bemühen uns, die Jungen, die in dem Clip zu sehen sind, zu
identifizieren und den Text zu transkribieren“, teilte die
Staatsanwaltschaft mit. Es soll auch die Frage geklärt werden, ob die
Waffen im Video echt sind und, ob die Eltern von dem Treiben ihrer Kleinen
überhaupt Kenntnis hatten. Für jegliche Dreharbeiten mit Minderjährigen
muss in Frankreich nämlich eine schriftliche Erlaubnis der
Erziehungsberechtigten vorliegen.
Als Produzent des Clips steht ein 25-jähriger fest, der sich „Le Manouche“
nennt. Er taucht in dem Video selbst kurz auf. Gegenüber Radio Monte-Carlo
stellte er am Montag klar, dass die Kids beim Dreh eine Spielzeugpistole in
den Händen hielten, „Niemals hätte ich ihnen echte Waffen gegeben,“
beteuerte er. Und fügte hinzu: „Was soll schon so schlimm an diesem Clip
sein. Sie haben die richtigen Rapper einfach nur kopiert. Klar, gibt’s da
vulgäre Sachen zu hören, aber vor allem viele Schwindeleien.“
Der Produzent hält sein Video für „Comedy“, die Kids für „Comedians“…
der Jung-Rapper habe seine Lyrics selbst verfasst. „Es wird in dem Clip von
Drogen geredet, wie in den Filmen. Aber das sind keine Dealer. Alle gehen
sie zur Schule“, so „Le Manouche“. Tatsächlich, [2][so ein Autor des
Musikmagazins LesInrocks], sei der „1er Pocheton“-Clip weniger eine
Kriegserklärung als vielmehr die etwas blasse Imitation von Standards im
Hardcore-Genre des französischen Hip-Hop. Direkte Verweise seien
auszumachen, zum Beispiel auf [3][eine Szene im Clip zum Stück Se-vrac] des
Rappers Kaaris, in dem dieser zu Beginn mit einem Geldbündel im Mund
auftaucht.
Soziologe und Rap-Spezialist Anthony Pecqueux glaubt, der Trubel um
Sarcelleslite bestätige im Grunde die seit zwei Jahrzehnten vorherrschende
Zwang in der französischen Öffentlichkeit, Rappern und ihrem Publikum die
Fähigkeit abzusprechen, Distanz zu den performten Rollen einnehmen zu
können. Doch sollte zumindest die Frage erlaubt sein, ob auch schon
Sechstklässler diesen „second degré“, die zweite Stufe im Rap, so mir
nichts dir nichts erklimmen können.
## „Le Manouche“ wollte nur für Aufsehen sorgen
„Le Manouche“ behauptet, dass er die Studioaufnahmen und die
Videoproduktion komplett aus der eigenen Tasche bezahlt habe, aber
garantiert nichts damit verdienen, sondern nur für Aufsehen sorgen wollte.
Pupponi nimmt dagegen an, dass „Le Manouche“ eben doch aus kommerziellen
Gründen mit dem Clip gezielt den Blick größerer Produktionsfirmen auf sich
zu lenken versuche. „Wir können solche Dinge nicht einfach zulassen.“
Leute machen Geld mit so was. Das ist völlig unverantwortlich“, meint
Pupponi. Er sei vor einigen Monaten schon einmal mit einem ähnlichen Video
konfrontiert worden – das ernste Folgen nach sich gezogen hätte.
Jugendliche aus Pierrefitte hätten sich in jenem Clip über Gleichaltrige
aus Sarcelles lustig gemacht. Daraufhin seien die Auseinandersetzungen
zwischen den Jugendgangs beider Kommunen deutlich eskaliert.
Am Ende habe das zu einigen schlimmen Verletzungen geführt - „darunter auch
zu einer Kugel in einem Kiefer“, so Pupponi gegenüber Le Monde. Die Polizei
will das Sarcelleslite-Video ebenfalls nicht auf die leichte Schulter
nehmen: „Die Art und Weise, wie die Jungs die Waffe handhaben, lässt auf
ein Spielzeugmodell schließen, dennoch sind ihre Worte beunruhigend:
Drogenhandel, Waffen, Frauen, die Äußerungen sind gewalttätig“, lässt sie
verlauten.
Denkbar ist, dass es aufgrund der Vorermittlungen schließlich zu einem
Verfahren wegen des „Verbreitens von Botschaften mit gewalttätigem
Charakter“ und der „Aufforderung zum Verstoß gegen das Rauschmittelgesetz�…
kommt. Stellt sich zudem heraus, dass „Le Manouche“ die Heranwachsenden
ohne Einwilligung der Eltern filmte, drohen ihm dafür mindestens ein Jahr
Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe.
## Knast wegen Gewalt im Video
In Frankreich wurde in der Vergangenheit immer mal wieder die Verbreitung
von Rap-Videos mit explizitem Inhalt eingeschränkt oder wurden deren Macher
gar gerichtlich belangt. Der Fall der Rap-Gruppe Cirdo aus dem Jahre 2011
könnte womöglich zu so etwas wie die Blaupause für den Umgang mit dem
Sarcelleslite-Clip werden. In dem damals veröffentlichten Video zum
Cirdo-Track „Y'a qu'les putes qui écartent“ wurde ein an einen Stuhl
gefesselter Mann gelyncht und in einen Kanal geworfen.
Der konservative Bürgermeister von Cavaillon, der Heimatgemeinde der
Gruppe, strengte ein Verfahren gegen Cirdo an – wegen Aufforderung zur
Gewalt und zum Widerstand gegen die Polizei. Der Autor des Rap-Songs und
der Produzent des Clips waren 19 beziehungsweise 20 Jahre alt. Beide wurden
schuldig gesprochen, „eine gewalttätige, pornographische und der Würde des
Menschen widersprechende Botschaft“ erstellt zu haben. Ersterer wurde zu
vier Monaten Haft und 500 Euro Strafe verurteilt, der Zweite bekam fünf
Monate auf Bewährung bei Zahlung derselben Summe.
Radio Monte-Carlo hat längst einen der Kids von Sarcelleslite aufgespürt
und unter Wahrung seiner Anonymität interviewt. „Wir wollten doch nur ein
bisschen was Verrücktes machen“, erklärt der Junge dem Sender. „Wir sind
nicht das, was wir im Clip darstellen“. Der Bürgermeister von Sarcelles
will in Kontakt mit den Eltern und den Lehrkräften der Nachwuchs-MCs
treten, um ihnen bewusst zu machen, was für einen Mist sich ihre
Schützlinge da geleistet hätten.
4 Mar 2015
## LINKS
[1] http://www.lemonde.fr/societe/article/2015/03/03/la-justice-enquete-sur-le-…
[2] http://www.lesinrocks.com/2015/03/02/actualite/faut-il-condamner-le-clip-de…
[3] http://www.dailymotion.com/video/x26tlw3_kaaris-se-vrak-clip-officiel-2014_…
## AUTOREN
Oliver Pohlisch
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