Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues K.I.Z.-Album: Du trägst Pegida in dir
> Die Hip-Hop-Formation K.I.Z. ist zurück. „Hurra die Welt geht unter“ ist
> ein Abschied aus dem Poser-Business: aufrichtig und postironisch.
Bild: K.I.Z.: erste antikapitalistische Befreiungsfront mit Major-Label-Vertrag
Glückwunsch Deutschland, du hast wieder mal eine neue Partei in deiner
Mitte! Die allerletzte Alternative. Eine Einheitspartei. Eine Bewegung mit
Führung, die dir sagt: Du trägst keine Liebe in dir – sondern Pegida. Du
feierst den Partypatriotismus und das Oberlehrertum. Und du hast statt der
kompletten YouTube-Plattform nur ein paar miese Musikvideos und die
Außengrenzen deiner Vorhöfe gesperrt.
Zentrum des Widerstands ist Berlin-Kreuzberg. Hier haben sich Tarek Ebéné,
Maxim Drüner, Nico Seyfrid und Sil-Yan Bori neue Ziele gesetzt. Die drei
Rapper und ihr DJ/Produzent sind K.I.Z. – das steht wahlweise für
„Klosterschüler im Zölibat“ oder „Kannibalen in Zivil“. Eine Rapgrupp…
Stachel-Klöten und sprichwörtlichem Notenständer als Logo, die bislang vor
allem für „Brachial-Satire“ bekannt war: ironische Texte, die die
aggressiven, sexistischen, homophoben Posen von Bushido & Co durch völlige
Überdrehung bloßstellten und sich auch gerne mal in die Gefühlswelten von
Investmentbankern und abgewrackte Cheftypen hineinversetzten. Nebenbei
kandidierte man auch schon mal für die Partei „Die Partei“ für das Berlin…
Abgeordnetenhaus.
Heute aber hat man sich vom Marsch durch die Institutionen verabschiedet.
Die neue Parole lautet: „Hurra, die Welt geht unter!“ – so zumindest der
Titel ihres neuen und fünften Albums, mit dem K.I.Z. zur ersten
antikapitalistischen Befreiungsfront mit Major-Label-Vertrag mutieren. Ihr
Verlautbarungsorgan ist ein YouTube-Kanal namens „Taka Tuka TV“, ihre
Botschaften richten sich an Menschheit, Jugend, Fans und Hater – ganz wie
im Sinne Marx’. Man trägt Barett und Uniform: eng geschnitten, schwarz und
ein giftig leuchtendes Orange, welches bei der Kommunisten-mordenden
indonesischen Pancasila-Jugend abgeguckt wurde.
Aber mit welchen Waffen ziehen K.I.Z. wohl anno 2015 ins Feld? Die Single
„Boom Boom Boom“ fährt ein überraschendes Arsenal auf: „Tut mir leid we…
ich den Untertanenstolz jetzt verletze/ Doch was quatscht ihr da, es gibt
nicht genug Ausbeutungsplätze/ (…) Ihr Partypatrioten/ Seid nur weniger
konsequent als diese Hakenkreuz-Idioten/ (…) Die Welt zu Gast bei Freunden
und so/ Du und dein Boss ham nix gemeinsam bis auf das Deutschlandtrikot
(...)“
## Fackelumzüge auf Distanz?
Wo früher Persiflage und Überreizung angesagt waren, herrschen heute also
Aufrichtigkeit und direkte Ansprache vor. Hat die gewohnte Ironie
ausgedient, wenn es wieder Fackelumzüge zu Asylheimen gibt, wie in Greiz,
wenn „besorgte Bürger“ auf die Straße gehen, weil sie Angst vor Krankheit…
haben, die Geflüchtete angeblich einschleppen würden?
Beim Interview in den Räumlichkeiten seiner Propagandaabteilung bleibt das
Zentralkomitee auf Linie: „Wir haben in dem Moment keinen anderen Weg
gewusst, das Gefühl, das wir ausdrücken wollen, anders zu formulieren“,
sagt Maxim. „Das hätte mit dieser Distanz nicht so richtig funktioniert.“
Der Postironismus hat nun also auch den Rap erreicht. Und das ist
wahrscheinlich besser so. In der Zeitschrift Das Wetter hat Juri Sternburg
nämlich kürzlich beschrieben, wie leicht ironische Aussagen ausgehebelt und
rekontextualisiert werden können – am Beispiel des alten K.I.Z.-Hits „Was
willst du machen?!“, der auf einer Dorfparty gehört wird. Sternburgs
Urteil: „(…) 300 betrunkene, pubertierende ‚Biodeutsche‘, die auf den B…
stehen und lauthals ‚Was willst du machen / überall sind Kanacken‘ singen,
holen einen schnell aus dem Alkoholhimmel zurück auf die vollgekotzte
Linoleum-Tanzfläche.“
Maxim, Ko-Urheber des besagten Liedes, dazu: „Wenn Musik gut klingt und ein
gewisses Grundgefühl transportiert, dann kann sie von jedem für jeden Zweck
benutzt werden. Das geht mit einer gewissen Qualität einher. Man darf sich
da nicht wundern.“
## „Ihr seid linke Zecken“
Kamerad Tarek hat allerdings beobachtet, dass auch ohne doppelten Boden
mancher weiterhin den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht: „Selbst bei dem
Track ‚Boom Boom Boom‘, wo wir unmissverständlich ausdrücken, was wir
denken, schreiben die Leute unter das YouTube-Video: ‚Ja, ja, schon klar.
Ihr seid linke Zecken! Wir haben es verstanden. Trotzdem cooler Song.‘“ Die
Systemfrage verhallt. Die Karteikarte „K.I.Z.“ verbleibt in der Schublade
„Party-Rap“.
Das Video zeigt übrigens unter anderem eine Halsaufschlitzung und einen
Lynchmord, Opfer und Täter sind jeweils die Künstler selbst. Bei der Welt
wollte man in dieser referenziellen Gewaltästhetisierung tatsächlich einen
Aufruf zur „Jagd auf den Mittelstand“ erkannt haben. Manch einer kann also
sogar die Wüste vor lauter Sandkörner nicht erkennen.
K.I.Z. fragen sich stattdessen, welche Druckablassventile diese politische
Domestizierung sich noch sucht. So zeichnen sie das Bild einer
oszillierenden Berlin-Gesellschaft, die werktags buckelt und sich am
Wochenende enthemmt drogenunterfütterten Allmachtsfantasien hingibt: Mit
angetrunkenen 18-Jährigen vögeln sich hier die lahmenden Büroponys auf der
Berghain-Toilette wieder zu Hengsten. Maxim dazu: „Es gibt immer einen
Zusammenhang zwischen der Arbeit, die solche Typen unterdrückt und
plattmacht, und der Macht, die sie dann nachts am Wochenende auszuleben
versuchen.“
## Plötzlich auch mal ernsthaft
Unter solchen Umständen müssen werdende Revolutionsführer Stärke zeigen.
Für K.I.Z. bedeutet das, dass sie plötzlich auch mal ganz ernsthaft und
autobiografisch über ihre von Langeweile und Depressionen zerfressene
Jugend rappen. Ein Abschied aus dem Poser-Business, dem man zuvor ja stets
überaffirmativ zugearbeitet hatte. „Wir haben uns einfach getraut, das mal
komplett so stehen zu lassen“, sagt Nico. „Man kann auch Realität so
interessant gestalten, dass man Lust hat, sich das anzuhören, ohne
Phrasendrescherei.“
Und die vier gehen sogar noch weiter zurück, bis an die Anfänge allen
menschlichen Erlebens: „Die Kindheit ist die ursprünglichste Form von
Gewalterfahrung. Da gibt es einfach Leute, nämlich die Eltern, die Macht
über einen haben. Und egal, wie man diese Abhängigkeit empfindet, es
entsteht aus ihr heraus doch immer eine Form des Dafürseins oder der Liebe.
Obendrein ist die Familie die Keimzelle des Staates“, bilanziert Maxim.
Doch der Staat ist am Ende von „Hurra, die Welt geht unter“ verschwunden –
und laut K.I.Z. ist das gut so.
Auf dem abschließenden Titelstück sinniert Tarek etwa: „Du willst einen
rauchen? Dann geh dir was pflücken im Garten / Doch unser heutiges Leben
lässt sich auch nüchtern ertragen.“ Zwischen Entspannungsjoint und
Stammtisch ist eben auch der Rausch für alle Lager nur systemerhaltend. In
der schönen neuen Welt, wo „Äpfel so wie Äpfel und Tomaten nach Tomaten“
schmecken und Geld im Jahre 11 nach der großen Bombe nicht mehr existiert,
kann sich der Mensch endlich an seinen Sinnen selbst berauschen. Statt
Egoismus und marodierender Banden malen K.I.Z. hier eine Postapokalypse
aus, die von kommunenhafter Kooperation geprägt ist.
Ob diese dadurch entstand, dass es die Partypatrioten nicht rechtzeitig in
den Atomschutzbunker geschafft haben, oder eher, weil die Endstufe aller
Katastrophen eine menschliche Katharsis hervorgerufen hat, bleibt
ungeklärt. Im Hier und Jetzt merkt Nico am Ende eines langen Tages an: „Ich
würde jetzt gerne endlich einen durchziehen.“ Untergang also noch mal
vertagt? Man wird sehen.
9 Jul 2015
## AUTOREN
Thomas Vorreyer
## TAGS
Apokalypse
Schwerpunkt Pegida
HipHop
Deutscher Hip Hop
Los Angeles
HipHop
Rapper
Schwerpunkt Frankreich
USA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dâm-Funk über die Musikszene in L.A.: „Ich bin eher so Heimwerker“
Der Musiker Dâm-Funk erklärt sein neues Album „Invite the Light“, seinen
soften Sound und warum Rapper nicht immer auf dicke Hose machen müssen.
HipHop aus Berlin-Köpenick: Check mal seine Patches
Romano hat zwei Zöpfe und schreibt seltsame Lieder über seine „Metalkutte�…
Ein Treffen mit dem Rapper aus dem Berliner Osten.
Rapper Casper: Selfies, Süppchen und Salätchen
Casper weiß, wie Selbstdarstellung im Internet funktioniert. Und
beantwortet dort alle Fragen, die man niemals gestellt hätte.
Französisches Musik-Video: Baby-Rapper, die mit Waffen fuchteln
In ihrem Video werden Pistolen gezückt. Die Gruppe Sarcelleslite rappt
gewaltverherrlichende Texte – sie sind kaum älter als 13 Jahre.
US-Behörde infiltriert Kubas Musik-Szene: Dilettanten im Hip-Hop-Milieu
Mit Hilfe einer verdeckten Operation wollten die USA auf Kuba Stimmung
gegen die Regierung machen. Und das ging gründlich schief.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.