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# taz.de -- Neues Album von Billie Eilish: Was für ein Glück, dass du weg bist
> Sogar mit Jazz und Bossa Nova schafft es Billie Eilish, das Lebensgefühl
> ihrer Generation zu vertonen. Ihr zweites Album heißt „Happier Than
> Ever“.
Bild: Platinblond und nicht mehr grünhaarig ist die neue Billie Eilish
Eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, wie die Musik ihres neuen Albums
idealerweise zu hören sei, hat [1][die US-amerikanische Sängerin Billie
Eilish] kurz vor der Veröffentlichung von „Happier Than Ever“ geteilt.
[2][In einem auf der Videoplattform Vevo veröffentlichten Interview]
schickt sie höflich, wie sie ja doch ist, zunächst voraus, dass natürlich
jede*r selbst entscheiden könne, wie er oder sie ihre Songs konsumieren
wolle.
Dann beschreibt sie folgendes Wunschszenario: ein schönes Auto mit einer
guten Soundanlage bei Regenwetter – Musik aufdrehen, zurücklehnen, zuhören.
Genau genommen spricht sie dabei von dem Song „Your Power“, den sie am 27.
April diesen Jahres als dritte Vorabsingle herausbrachte, aber es trifft
sehr wahrscheinlich auch auf alle anderen zu, nennt sie diesen doch in
jenem Interview „a perfect middleground for what the album felt like for
me“.
Recht bezeichnend ist das, nimmt man sie da beim Wort. „Your Power“ ist ein
gefühlvoller Folksong, auf dem nicht mehr als eine Akustikgitarre Eilishs
Stimme begleitet, Eilishs unverkennbar hauchige Stimme, mit der sie es in
jeder erdenklichen Tonlage schafft, wohlige Schauer zu erzeugen. Auf „Your
Power“ erklingt diese in träumerischem, dennoch kraftvollem Moll,
Verletzlichkeit spricht aus ihr, auch Verletztheit.
Im Video zum Song, bei dem sie selbst Regie führte, droht sie indes zu
ersticken. Einsam und allein sieht man sie in einer massiven
Berglandschaft, während eine ebenso massive Anakonda sich immer enger um
ihren Hals wickelt. Sie sitzt da einfach so und lässt es geschehen, während
sie eine toxische Beziehung zwischen einer jungen Frau und einem älteren
Mann besingt. „And you swear you didn’t know (Didn’t know) / You said you
thought she was your age / How dare you? / And how could you? / Will you
only feel bad if it turns out / That they kill your contract? / Would you?“
Es geht um Macht, die nicht missbraucht werden sollte, erst recht nicht in
intimen Beziehungen, auch um die Verlogenheit der Unterhaltungsbranche, um
#MeToo im Grunde. Fans erkannten im Text Anspielungen auf Eilishs Beziehung
zu dem US-Rapper Brandon Adams alias 7:AMP. Etwa ein Jahr waren Eilish und
Adams zusammen, als sie sich im Juni 2019 trennten, war Eilish noch nicht
volljährig, Adams bereits 23. Sie selbst weist einen direkten Zusammenhang
zurück, in dem Song ginge es um verschiedene Situationen, die wir alle
entweder erlebt oder beobachtet hätten.
Sinatra und Peggy Lee
Überhaupt darf man sich vom Titel „Happier Than Ever“, so viel steht fest,
keineswegs irreleiten lassen. Besonders glücklich, fröhlich, ausgelassen
klingt nichts darauf. Im Vergleich zum Vorgänger, Eilishs Debüt „When We
All Fall Asleep, Where Do We Go?“ aus dem Jahr 2019 fällt es noch ein wenig
sanfter aus, introspektiver, melancholischer. Sinatra und Peggy Lee nennt
Eilish als Einflüsse, Vintagesounds wie Jazz und Bossa Nova – nicht nur auf
„Billie Bossa Nova“ – drängen mehr ins Ohr als die heruntergedämpften
Elektrobeats, was ihre Musik irrerweise umso zeitgemäßer klingen lässt.
Grammatisch betrachtet stellt „Happier Than Ever“ ja sowieso nur einen
Komparativ und keinen Superlativ dar. Wie schlimm es vorher war, kann man
sich ausmalen, im gleichnamigen Song heißt es: „When I’m away from you /
I’m happier than ever“. Einprägen werden sich diese Zeilen, definitiv,
„Happier Than Ever“ ist ein fantastischer Song, der beste des Albums, er
ragt heraus zwischen anderen, die doch etwas herumplätschern, sich zu sehr
auf die Schönheit von Eilishs Stimme verlassen. „Happier Than Ever“ handelt
von einer Trennung, macht den Schmerz in seinen Schattierungen spürbar,
zart und heftig zugleich. Er beginnt als sehnsüchtig dahingesungene
Akustikballade und der, wenn man gerade schon dachte, dass er ausklingt,
erst richtig losgeht, wie ein Feuerwerk: Gitarren schwellen an, Drums
hämmern sich in Fahrt, während Eilish dagegen anseufzt und ansingt, immer
lauter, immer wütender, gnadenloser: „Just fuckin’ leave me alone.“
Gerade einmal 13 Jahre alt war Billie Eilish, als sie ihren ersten Song –
geschrieben von ihrem älteren Bruder Finneas, mit dem sie auch heute noch
an all ihren Tracks arbeitet und der sie produziert – auf SoundCloud
stellte. „Ocean Eyes“ ging quasi über Nacht viral und seitdem Eilishs
Karriere steil nach oben. „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ brach
bei den Streamingdiensten, und nicht nur da, Rekorde, [3][bei den Grammys
im Januar 2020] gewann die Sängerin alle vier Hauptkategorien, die Liste
ihrer Erfolge ließe sich lange fortsetzen.
Dem zweiten Album wurde entsprechend entgegengefiebert, angestachelt auch
durch die Künstlerin selbst, die auf ihren Social-Media-Plattformen
Songschnipsel anteaserte, die Aufmerksamkeit anfütterte und orchestrierte.
Vorab in Gänze zu hören bekam auch die Presse das neue Album nicht, nur ein
paar glückliche Fans, die bei Verlosungen Plätze in Pre-Listening-Sessions
gewannen.
Was an Billie Eilish interessant ist, ist eben auch das, ihr Umgang mit
ihrem Publikum, für das sie schon lange keine vermittelnde Instanz mehr
benötigt. Entscheidender, als auf den Titelseiten großer Magazine zu
erscheinen, was sie freilich tut, ist, was sie in den sozialen Netzwerken
selbst publiziert. [4][Eilish ist der größte Popstar unserer Zeit, weil sie
eigene Regeln aufgestellt hat], sie ist das heiß geliebte Postergirl und
Sprachrohr der Generation Z, das auch deren Eltern cool finden, kein
strahlend-süßes Mädchen, sondern eine junge Frau, die zum Beispiel kein
Geheimnis um psychische Erkrankungen macht – Eilish leidet unter dem
Tourette-Syndrom und Depressionen – und die ein Bild von sich kreierte, das
sich radikal von dem unterschied, wie Musikerinnen im Popbiz sonst
inszeniert werden.
Neuer alter Glamour
Von letzterem Punkt muss inzwischen in der Vergangenheitsform gesprochen
werden. Eilish hat sich optisch – wie es heißt – „weiterentwickelt“:
Monroeesk platinblond, nicht mehr görig grünhaarig ist sie jetzt, auch den
Baggy Look, mit dem sie auch über die roten Teppiche latschte, hat sie
gegen einen ausgetauscht, der an den Glamour des alten Hollywood erinnert.
Den Übergang markierte ein Fotoshooting für die britische Ausgabe der
Vogue. Eilish ließ sich dafür als verruchtes Pin-up-Girl im Stil der 1940er
Jahre ablichten, erlaubte erstmals einen Blick auf die Konturen ihres
Körpers. Als die Bilder im Mai veröffentlicht wurden, ging ein Sturm los,
die einen verurteilten sie als Verräterin, die sich dem Male Gaze
unterworfen habe, andere feierten sie dafür, sich auch den
selbstgeschaffenen Konventionen zu entziehen.
Im Prinzip hat Eilish alles, was sie dazu zu sagen hat, bereits in einem
Spoken-Word-Stück „Not My Responsibility“ ausgesprochen, das sie ein Jahr
vorher als Video online stellte und das nun auf dem Album exakt in der
Mitte die Aufmerksamkeit noch expliziter auf die Themen lenkt, die sie
offenbar verfolgen: die Erwartungen, die an sie und ihren Körper gestellt
werden, das ständige Beobachtetwerden und als Frau niemals genügen zu
können: „Some people hate what I wear / Some people praise it / Some people
use it to shame others / Some people use it to shame me / But I feel you
watching / Always / And nothing I do goes unseen“ – „The body I was born
with / Is it not what you wanted?“
[5][Auch im Vorfeld zu „Happier Than Ever“ zogen ein paar kleinere
Shitstorms gegen die Künstlerin auf], bislang hat sie sich ihnen jedoch
stets erfolgreich entgegengestellt, offensiv und intuitiv. So auch jetzt,
prophylaktisch: Im Instagram Post am Tag der Veröffentlichung von „Happier
Than Ever“ bittet sie ihre Fans darum, gut auf das Projekt, das Album,
achtzugeben, es bedeute alles für sie.
30 Jul 2021
## LINKS
[1] /Debuetalbum-von-Billie-Eilish/!5586612
[2] https://www.youtube.com/watch?v=uItbMBBHFmo
[3] /Grammys-fuer-US-Saengerin-Billie-Eilish/!5656708
[4] /Doku-ueber-Billie-Eilish-bei-Apple-TV/!5749432
[5] /Queerbaiting-in-der-Popkultur/!5777646
## AUTOREN
Beate Scheder
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