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# taz.de -- Neues Album von Spellling: Musik füllt den Raum
> Seventies-inspirierter Kammerpop statt verwaschener Neopsychedelik: Mit
> „The Turning Wheel“ geht Spellling ein bisschen zu sehr in die Vollen.
Bild: Mag es gerne opulent: die Musikerin Spellling
DIY-Minimalismus ade, jetzt heißt es: eintauchen ins Klangbad. Mit dem
überbordenden Maximalismus, den Chrystia „Tia“ Cabral aka Spellling auf
ihrem dritten Album „The Turning Wheel“ präsentiert, folgt sie zwar immer
noch einem Do-It-Yourself-Ansatz – hat die 30-jährige Musikerin aus dem
kalifornische Oakland ihr Album doch selbst produziert und auch sonst
vieles am kreativen Prozess in der Hand behalten.
Soundästhetisch allerdings hat das neue Album wenig gemein mit den
Vorgängern: dem sphärisch-verspulten Debüt „Pantheon Of Me“ (2017) und
„Mazy Fly“ (2019). Beide klangen nach experimentellem Bedroom-Pop.
Alchemistisch-okkulte Klangtexturen entstanden am Loop-Pedal und mit nur
zwei Synthesizern – einem davon der legendäre microKORG, der Cabral dazu
brachte, überhaupt Musik zu machen, und den sie im Zoom-Interview als
„heiligen Gral jeder Anfänger*in“ bezeichnet. Dazu verwandelt sie mit
atemlos-ätherischer Stimme Märchenmaterial in gegenwartssatte, wenn auch
abstrakte Sozialkommentare.
Afrofuturismus, hypnagoge Bewusstseinszustände, Hexen und Science-Fiction.
Es steckte einiges drin in Spelllings Texten: „Alice im Wunderland“ lässt
sie auf Horrorfilme treffen. Der klangliche Minimalismus in Verbindung mit
den abgründigen Themen kam an: Das Onlinemagazin Pitchfork feierte „Mazy
Fly“ in der Kategorie „Best New Music“, bei der Streaming-Plattform
Bandcamp landetet Spelllings Debüt gleich auf Platz vier der Jahrescharts.
Mit „The Turning Wheel“ dagegen geht Cabral in die Vollen: Streicher,
psychedelische Gitarren, im Gewand von Seventies-inspiriertem Kammerpop.
Dazu vergleichsweise konkrete Lyrics. Zwar steckt in den Songs immer noch
manche Doppelbödigkeit, doch Cabrals neuer Sound macht es leicht, darüber
hinwegzuhören. Die verwaschene Neopsychedelik früherer Tage hat sie hinter
sich gelassen. Ein bisschen erinnert ihr neues Album damit auch an die
jüngsten Veröffentlichungen von [1][Meg Remys zum Kollektiv angewachsenen
Projekt U.S. Girls] oder an [2][St. Vincents Album „Daddy’s Home“] – zw…
Künstlerinnen, die ihre Gesellschaftskritik mit einem satten, von den
Siebzigern inspirierten Sound präsentierten.
Überlebensgroße Künstler*innen
An dieser Ästhetik, so erzählt Cabral, gefalle ihr neben der Opulenz, dass
Musiker*innen sich seinerzeit offenbar damit leichter taten, „over the
top“ zu gehen. „Die Zeit hat einfach so viele überlebensgroßen
Künstler*innen hervorgebracht.“ Prince ist für sie ein Vorbild, ebenso
Kate Bush, an deren frühes Werk „The Turning Wheel“ durchaus erinnert. Oder
auch David Bowie. Für den Track „Revolution“ ließ sie sich von einem sein…
späteren Song inspirieren: „I am Deranged“ vom Album „Outside“ (1995),
bekannt durch den Soundtrack zu David Lynchs „Lost Highway“ aus dem Jahr
1997.
„Künstler*innen heutzutage“, so findet Cabral, „treten kontrollierter in
Erscheinung, ihre Coolness legen sie nie ab.“ Auch der überbordende
R&B-Sound jener Zeit, Soundtrack ihrer Kindheit – ihre Mutter war ein
großer Fan – sei Inspiration gewesen.
Eigentlich kommt die 30-Jährige von der Bildenden Kunst. In Sachen Musik
bezeichnet sie sich immer noch als einen „outsider artist“, schließlich hat
sie nie ein Instrument gelernt – auch wenn sie die Pandemie genutzt hat,
sich einige anzuschaffen und damit zu experimentieren. Das Musikmachen habe
sie erst 2015 für sich entdeckt, so erzählt sie. Seinerzeit studierte sie
an einem Graduiertenprogramm in Berkeley Kunst und sah sich auf dem Weg in
eine akademischen Laufbahn.
„Ich empfand bildende Kunst immer mehr als beschränkend. Vielleicht, weil
es immer doch darum geht, Objekte zu machen, die dann herumstehen oder
hängen. Zudem fand ich die visuelle künstlerische Arbeit auch auf
körperlicher Ebene nicht sonderlich erfüllend.“ Musik dagegen fülle den
Raum: „Man kann so viele Menschen damit erreichen.“
Neue Stimme gefunden
„Erst mit ‚The Turning Wheel‘ habe ich voll akzeptiert, dass Musik mein
Ding ist. Das Narrativ ‚Seine-Stimme-finden‘, ist für mich total
aufgegangen“, sagt sie. Cabrals Entwicklungssprung erschließt sich beim
Hören des Album durchaus – auch wenn ihre neugefundene Stimme vielleicht
nur eingeschränkt ankommt.Vielleicht weil das Album einfach etwas
überfrachtet wirkt. Manchen Tracks fehlt schlichtweg die Luft zum Atmen.
Andere wirken neben Highlights wie „Little Deer“ oder „Emperor with an Eg…
eher wie Füllmaterial. Weniger wäre auf unterschiedlichen Ebenen mehr
gewesen. Zudem fehlt es den Stücken an einer persönlichen Erdung, einige
Lyrics wirken arg platt: „All we want is right here / All we need and more
/ Let your heart surrender / Let your heart transform“ heißt es in
„Awaken“. Das klingt nach Kalenderspruch, nicht nach einem eigenen Blick
auf die Welt.
Wenig stimmig erscheint auch der konzeptionelle Split des Albums in „
‚Above‘ and ‚Below‘“ – die ersten sechs Songs präsentieren sich so…
bisweilen fast abbaesk, die weiteren Tracks etwas düsterer. Letztlich sind
das jedoch nur Nuancen, die Unterteilung wirkt konstruiert. Zudem lässt die
abstrakte Theatralik vieler Songs den/die Hörer*in außen vor – trotz der
Zugänglichkeit des Sounds. Vielleicht braucht Cabral einfach noch etwas
mehr Vertrauen in ihre eigene Stimme. Auf dem Weg dahin ist sie.
29 Jul 2021
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## AUTOREN
Stephanie Grimm
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