Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- US-Musikerin Meg Remy über neues Album: „Unordnung ist ein Mantr…
> Die US-amerikanische Musikerin Meg Remy spricht über Kinder und
> Kreativität. Das neue Album ihres Projekts U.S. Girls entstand, als sie
> schwanger war.
Bild: Schwangerschaft als positive Erfahrung: Meg Remy
taz: Meg Remy, Sie haben während der Produktion an Ihrem neuen Album
Zwillinge bekommen. Wie schaffen Sie das, Kinder und kreative Arbeit unter
einen Hut zu bekommen?
Meg Remy: Ha! Ich glaube nicht, dass ich dafür die ideale Lösung gefunden
habe. Ich habe Glück, dass wir ein kleines Aufnahmestudio im Keller unseres
Hauses betreiben. Außerdem ist mein neues Album zusammen mit meinem Mann
entstanden. Wir haben uns bei der Arbeit daran abgewechselt: Mal war ich im
Studio und er bei den Kindern, dann umgekehrt. Die Vereinbarkeit von Beruf
und Kindern scheint unmöglich. Aber es hilft, genau dies zu akzeptieren. Zu
akzeptieren, dass man unterbrochen wird. Zu akzeptieren, dass man keine
Pläne machen kann. Und ich habe gedacht: Wenn ich eines Tages auf dem
Sterbebett liege, werde ich nicht denken, ach, hätte ich doch mehr
gearbeitet, mehr Kunst gemacht. Sondern: Hätte ich doch mehr Zeit mit den
Menschen verbracht, die ich liebe.
Wie klappt es, mit dem eigenen Ehemann zusammenzuarbeiten?
Meine Stücke entstehen auf sehr unterschiedliche Weise. Manche nehme ich
zunächst als A-cappella-Fassung auf und gebe ihm kleine Aufgaben fürs
Arrangement und Instruktionen für die Aufnahme, die er dann umsetzt. Bei
anderen bereitet er einen Basic Track der Musik vor und ich schreibe einen
Songtext dafür. Wir scherzen immer, dass wir zusammen einen ganzen Künstler
beziehungsweise eine Künstlerin ergeben, weil ich bestimmte Dinge gut kann,
die er nicht so gut kann und er Dinge gut kann, die ich nicht kann. So geht
es uns auch beim Eltern-Sein. Wir arbeiten und leben seit zehn Jahren
zusammen, und nun kommt dieses komplett andere Element dazu – das hat
unsere Verbindung noch mal extrem gefestigt.
Ihr Album heißt „Bless This Mess“. Was erscheint Ihnen an der Unordnung
lobenswert?
Um unordentlich zu sein, muss die Unordnung erst mal als solche anerkannt
werden. Der Albumtitel „Bless This Mess“ klingt wie einer dieser
Sinnsprüche, die meine Oma und meine Tante über dem Waschbecken in der
Küche stehen hatten. Irgendwie hat mich dieser Satz immer beruhigt. Ich
versuche mittlerweile in meinem Leben, Dinge mehr anzunehmen. Alles, was
ich mache, was ich jemals getan habe, was ich jemals tun werde. Das
bedeutet nicht, dass alles großartig ist, was ich tue, – bei weitem nicht.
Aber ich habe genug Zeit damit verbracht, mich im Bett herumzuwälzen und zu
schämen. Ich finde, Scham ist eins der überflüssigsten Gefühle. „Bless Th…
Mess“ ist für mich wie ein Mantra gegen die Scham.
Die Musik auf dem Album beginnt mit dem Song „Only Daedelus“ und einem
funky Groove. Die Hookline erzeugen Sie mit Keyboard, was sehr an den
synthetischen Sound der 1980er erinnert. Ihre Songs klingen überhaupt
tanzbar und leicht. Wie kam das?
Ich liebe Musik, die klingt, als könnte man mit viel Swagger durch die
Straßen laufen. Dieser Sound ist einfach ansteckend, einladend, spricht die
Seele an. Das Stück hat auch was von klassischem Soul, obwohl es komplett
mit synthetischen Instrumenten entstanden ist. Es ist menschlich und
definitiv funky. Ich würde sagen, Groove ist ein wichtiges Element in der
Musik.
Zugleich gibt es auch ruhigere Stücke auf dem Album.
Ja, wir waren nicht nur einem Vibe verpflichtet. Wir leben in einer Zeit,
in der ein [1][Beatles-Song] direkt nach einem, sagen wir, [2][Rapsong vom
Wu-Tang Clan] laufen kann. Stilbrüche schockieren niemanden mehr! Beim
Arrangieren der Stücke dachten wir also: Lasst uns einfach Songs
komponieren, die alle Facetten vereinen, die mich ausmachen: Meine Stimme,
meine Perspektive, meine Texte. Das war auch eine Idee der „Mess“, des
Chaos: Es ist ein Kuddelmuddel von Stilen und Genres. Seit der
Covid-Pandemie entsteht Musik anders, man ist künstlerisch viel autarker
und hat gleichzeitig mehr Möglichkeiten. Es ist einfach alles da, alle
Instrumente, nichts begrenzt mich mehr. Und wenn ich sage, da ist durchweg
ein Groove auf dem Album und ich möchte zur Musik tanzen können, dann kann
das auch ein innerer Tanz sein, ich muss nicht notwendigerweise meinen
Körper bewegen.
Im Text zum Auftaktsong singen Sie, „Only Daedalus could have thought of
this“. Worauf wäre nur Daidalos gekommen?
Daidalos ist der Vater von Ikarus. Ikarus kennen wir alle: Er flog zu nah
an die Sonne, und da seine Flügel aus Wachs und Federn bestanden, stürzte
er ab und starb. Daidalos, sein Vater, hat diese Flügel entworfen. Und ich
wusste nichts über ihn! Es ist doch interessant, wie selbst eine
mythologische Figur nur über ein einziges Detail erinnert wird. Wir werden
oft über unsere schlimmsten Fehler definiert, Stichwort Cancel Culture. Im
Fall von Daidalos habe ich versucht, so viel wie möglich über ihn zu lesen,
um mehr darüber zu erzählen, wer er war.
Was haben Sie über ihn in Erfahrung bringen können?
Es gibt etwa eine Geschichte darüber, dass Daidalos, nachdem er jemanden
von der Klippe gestoßen hat, verbannt wurde und nach ihm gesucht wurde.
Aber Daidalos war ein genialer Geist, und so ließ der König allen ein
Rätsel stellen und sagte, derjenige, der die Antwort kennt, wird Daidalos
sein, nur Daidalos wird darauf kommen. Ich sammle oft derartige kleine
Artefakte und speichere sie, als würde ich eine Songtext-Bank füllen.
Gehen Sie immer so mit Recherche an die Texte heran?
Ich lese tatsächlich sehr viel und habe Kisten voller Notizbücher mit
Songtexten, die höchstwahrscheinlich im Altpapier landen werden. Einen
Song, „Saint James Way“, habe ich geschrieben, als ich gerade die
Autobiographie von Luis Buñuel, dem spanischen Filmemacher, gelesen habe.
Ich habe dabei Wörter unterstrichen, die ich interessant fand, und am Ende
habe ich all diese Wörter aufgeschrieben – und das ist im Grunde der
Songtext. Das ist das Tolle beim Kunstmachen: Es gibt keine Regeln. Es geht
darum, was auch immer kommt auszuprobieren.
Sie sprechen sehr offen über Ihre Elternschaft, Ihr schwangerer Bauch ist
auf dem Cover des Albums abgebildet, in einem Song samplen Sie sogar Ihre
Milchpumpe. Warum?
Diese Erfahrungen waren so einschneidend und meine Schwangerschaft ein so
großer Teil des Entstehungsprozesses des Albums. Nicht darüber zu sprechen,
hätte sich falsch und unehrlich angefühlt. Ich habe mich dann auf die Suche
nach Bildern von Schwangerschaft in der Kunst gemacht, aber habe lediglich
einige wenige Abbildungen in Fotografie und Malerei gefunden, kaum etwas in
der Musik. Ein Großteil der Schwangerschaft war für mich eine sehr positive
Erfahrung. Ich bin eng mit meinem Körper in Kontakt gekommen, habe ihn das
erste Mal eigentlich gemocht. Er hatte endlich diese Funktion, nämlich
andere Körper darin wachsen zu lassen. Und dann waren die Babys da, ich
konnte sie mit meinem Körper ernähren und sie sahen mir sogar ähnlich. Da
dachte ich: Wie soll ich mich jetzt noch hassen? Vorher habe ich oft an
Körperdysmorphie gelitten, was ich inzwischen ein Stück weit überwunden
habe. Und ich glaube, das wollte ich auch feiern, als ich mich in der 35.
Schwangerschaftswoche zu einem Fotoshooting begeben habe und nichts
angezogen habe außer einem Anzug. Ich dachte, vielleicht werden meine
Kinder das auch sehen: Ihr seid mit auf diesem Album.
Sie haben sowohl während der Schwangerschaft und nach der Geburt der
Zwillinge Musik aufgenommen. Klingen die Songs denn auch unterschiedlich?
Der Großteil des Materials ist vor der Geburt entstanden. Nur „Pump“, den
Song mit der Milchpumpe, habe ich danach komponiert. Und der musste einfach
entstehen, als ich das erste Mal diesen Sound gehört habe! Schwanger Musik
zu produzieren hat zunächst noch ganz gut geklappt, aber im letzten Drittel
der Schwangerschaft änderte sich das. Ich hatte kaum mehr Luft und Energie
und keine Vorstellung mehr davon, wo jetzt mein Zwerchfell sitzt – und das
braucht man ja zum Singen. Außerdem ging es mir emotional sehr
durchwachsen. Wenn etwas nicht geklappt hat, habe ich geweint und wollte
nichts anderes als im Bett bleiben, konnte maximal zwei Stunden am Tag
arbeiten. Als dann die Babys auf der Welt waren, waren sie oft mit uns im
Studio, ich hatte sie beim Singen zum Beispiel in der Trage und wenn sie
ein Geräusch gemacht haben, haben wir es über die Mikrofone gehört. Es war
wirklich eine tolle Zeit.
23 Mar 2023
## LINKS
[1] /Paul-McCartneys-Songtexte-in-Buchform/!5833607
[2] /Buch-ueber-den-Wu-Tang-Clan/!5847240
## AUTOREN
Diviam Hoffmann
## TAGS
Musik
Pop
USA
Neues Album
Schwangerschaft
Musik
Pop
Familie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Spellling: Musik füllt den Raum
Seventies-inspirierter Kammerpop statt verwaschener Neopsychedelik: Mit
„The Turning Wheel“ geht Spellling ein bisschen zu sehr in die Vollen.
Neues Album von U.S. Girls: Beschädigung als Leitwährung
Meg Remy macht mit ihrem Bandprojekt U.S. Girls und dem neuen Album „Heavy
Light“ eine Gratwanderung: eingängige Popsongs und düstere Texte.
Böser Pop von U.S. Girls: „Ich weiß, ich kann‘s verkacken“
Meghan Remy alias U.S. Girls hat mit „Half Free“ ein spannendes Pop-Album
veröffentlicht. Ein Gespräch über kaputte Familien, Freiheit und queeren
Gesang.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.