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# taz.de -- Bruder und Produzent von Billie Eilish: All die bunten Bonbons
> Finneas, der Bruder und Produzent von US-Überpopstar Billie Eilish, hat
> sein Debütalbum veröffentlicht. Was taugt seine Musik?
Bild: Mit 12 begann Finneas eigene Lieder zu komponieren, hier bei einem Konzer…
Es ist ein alter Hut, dass alles irgendwann wiederkommt. Auch die Dinge,
die man nicht vermisst hat. Bei ihrer Rückkehr nimmt man diese dann oft
anders wahr, wohlwollender, durch die Brille der Nostalgie. Das war so, als
vor etwa vier Jahren das Revival der 1990er Jahre auf dicken
Buffalos-Kreppsohlen angedonnert kam. Gewöhnt hat man sich an dessen
Ausformungen inzwischen, untrügliches Zeichen dafür, dass sich das
Trendkarussell längst weitergedreht hat.
Wenn daher nun im Herbst 2021 der 24-jährige [1][US-Künstler Finneas] in
der dritten Singleauskopplung seines Albums „Optimist“ davon singt, er
würde manchmal an die 1990er denken, so kommt das nicht nur wenig
überraschend, sondern auch schon reichlich spät.
Um die Mode oder die Musik jener Zeit geht es ihm dabei gar nicht primär,
auch wenn Finneas im Musikvideo ein Regenschirmtänzchen veranstaltet, als
wollte er das Intro der TV-Sitcom „Friends“ reinszenieren. Sein Anliegen
ist ernster. Finneas besingt seine Sehnsucht nach der Zeit vor dem
Siegeszug des Internet, er warnt vor den Gefahren von Onlinestalking und
anderen unguten Entwicklungen im Zusammenhang digitaler Medien.
„All the time I should’ve been so happy I was here / Wasting it on worrying
just made it disappear / Now my head feels so heavy / I’m left holding up
the levee.“ Leg doch einfach mal das Telefon weg, würde man ihm da gerne
zuraunen, wenn sich das nicht noch blöder anhören würde.
„The 90s“ ist der offensichtlichste Ohrwurm auf „Optimist“. Den Song
stellvertretend für das ganze Album herauszugreifen ergibt Sinn und auch
wieder nicht. Eine klare Linie gibt es darauf nämlich nicht, aber
Kippmomente ohne Ende. Und die hat „The 90s“ auch. Es beginnt als fröhlich
vor sich hin dudelnder Popsong, dann gerät der Autotune-Regler außer
Kontrolle und schließlich wird noch die große Kirmes-EDM-Maschine
angeschmissen. Es ist von allem etwas viel.
Im positiven Sinne viel kann man eigentlich auch von ihm erwarten.
[2][Finneas Baird O’Connell] ist nicht irgendwer, sondern der große Bruder
des Überpopstars Billie Eilish, ihr Begleiter, Komponist und Produzent, ein
Wunderkind wie sie. Mit 12 Jahren begann Finneas eigene Lieder zu
komponieren und diese Eigenkompositionen aufzunehmen, mit 14 war er
erstmals in einem Hollywoodfilm zu sehen – schauspielern kann er nämlich
auch, was er mittlerweile zugunsten der Musik aber wieder vernachlässigt.
„Ocean Eyes“, der Song, den Eilish 2015 auf Soundcloud veröffentlichte, war
von ihm im Kinderzimmer komponiert und produziert worden. Es folgten
zahlreiche weitere. Finneas wurde bei den Grammy Awards bislang achtmal
ausgezeichnet. Neben Eilish arbeitete er als Produzent unter anderem mit
Selena Gomez und Camila Cabello zusammen. Seine Solomusik lief lange eher
nebenher. 2019 veröffentlichte er seine Debüt-EP „Blood Harmony“,
„Optimist“ ist sein erstes Album.
Und mit dem will sich Finneas offensichtlich beweisen, musikalisch wie
stimmlich, und noch dazu zeigen, dass er einer ist, der sich Gedanken macht
– nicht nur über die 1990er Jahre.
## Der betrübliche Zustand der Welt
Finneas bedrückt, ganz wokes Kind seiner Zeit, so einiges: die Klimakrise,
die Schere zwischen Arm und Reich, Kapitalismus, Krieg, überhaupt der
betrübliche Zustand der Welt, seine Privilegien als weißer Mann, Cancel
Culture, Vergänglichkeit, ein bisschen Pandemiefrust ist auch dabei. Er
sieht alles sehr kritisch, auch sich selbst, seinen Ruhm, sein Geld, sein
„douche bag car“. Finneas fährt Tesla.
So löblich das sein mag, so platt sind leider oft die Formulierungen, die
er dafür findet („How can you sing about love when the kids are all dying?“
– ernsthaft?) und so wenig innovativ die Musik. Finneas klingt am besten
auf den langsamen Stücken, den Klavierballaden, verirrt sich aber zu oft
zwischen Stadionrock und Mainstreampop. Heraus sticht da gerade mal ein
instrumentales Zwischenstück für die Pitbull-Hündin Peaches.
„Optimist“ ist ein Album für Samstagnachmittage im Einkaufszentrum und
diese Radiosender mit dem besten Mix von damals und heute. All die lustig
bunten Popbonbons, die er in die Luft wirft, schmecken am Ende doch fade.
„Something is missing“, haucht Finneas in der Ballade „Love is pain“. J…
es fehlt etwas. Der Edge. Das Besondere. Irgendwas. Das müsste er doch
besser können.
27 Oct 2021
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## AUTOREN
Beate Scheder
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