# taz.de -- Neuer Erinnerungsort in Berlin: Weiche in die Vernichtung | |
> Durch den Möckernkiez führten Gleise in das Konzentrationslager | |
> Theresienstadt. Eingeweiht hat dort nun eine Anwohnerinitative ein | |
> Mahnmal | |
Bild: Die Einweihung des Erinnerungsortes Gleis 1 im Möckernkiez. Im Bild der … | |
Berlin taz | Der [1][Möckernkiez ist ein Wohnquartier] am Rand des | |
Gleisdreieck-Parks in Kreuzberg. Eine Genossenschaft ermöglicht hier, so | |
der eigene Anspruch, „selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen.“ | |
Und das direkt an einem Erholungspark, besser geht es in Kreuzberg kaum. | |
Das Quartier, das vor drei Jahren fertiggestellt wurde, befindet sich aber | |
auf einem Gelände, das eng mit dem düstersten Kapitel der deutschen | |
Geschichte verbunden ist. Hier befanden sich die Gleise, die vom Anhalter | |
Bahnhof abgingen und über Dresden nach Prag und schließlich in das | |
Konzentrationslager Theresienstadt führten. Die Spuren im Park sind immer | |
noch zu finden. | |
Vom Gleis 1 des Anhalter Bahnhofs gingen die Züge in den Jahren 1942 bis | |
1945 ab. 10.000 Juden und Jüdinnen wurden dort in Zugwaggons der dritten | |
Klasse zu einer Reise getrieben, die für sie der Tod bedeutete und die sie | |
auch noch selbst bezahlen mussten. | |
Am Samstag wurde nun am Yorckplatz, der direkt an den Möckernkiez grenzt, | |
eine Erinnerungsstätte, der „Erinnerungsort Gleis 1“ mit einem kleinen | |
Festakt eingeweiht. Nicht nur an die Folgen des [2][Antisemitismus im | |
Nationalsozialismus] will Nachbarschaftsinitiative erinnern. Auf einer | |
Tafel wird erklärt, was an diesem Ort passiert ist. Daneben steht ein | |
rostiger Umleger, auch Weichenbock genannt. Er wurde auf dem Gelände | |
gefunden, das nun der Genossenschaft gehört. | |
## Metallklotz mit Symbolkraft | |
Der schlichte Metallklotz entfaltet eine Symbolkraft, wie es einem noch so | |
aufwendig künstlerisch gestalteten Denkmal nur schwer gelungen würde. | |
Dieser historische Umleger, hergestellt im Jahr 1927, legte die Weichen | |
direkt in die Vernichtung, das ist die Aussage. | |
An einer Stelle auf dem Weichenbock befindet sich ein roter Fleck. Der sei | |
aber keine künstlerische Intervention, meint einer von der Arbeitsgruppe, | |
die den Erinnerungsort am Yorckplatz geplant hat. Das Rot, bei dem man | |
automatisch an Blut denken muss, habe sich genau so auf dem Umleger | |
befunden, als er entdeckt wurde. | |
Vor fünfeinhalb Jahren hätten sich Bewohner und Bewohnerinnern des | |
Möckernkiezes und andere zu der Arbeitsgruppe zusammengeschlossen und mit | |
den Recherchen begonnen, sagt Norbert Peters, Mitglied der AG zur taz. Man | |
habe genauer wissen wollen, was früher in ihrer direkten Wohnumgebung, die | |
heute so angenehm ist, vor sich ging. | |
Peters hält am Samstag auch die öffentliche Rede. Den Juden und Jüdinnen | |
sei erzählt worden, sie würden an einem anderen Ort eine Art „betreutes | |
Wohnen“ erwarten, berichtet er. „Hitler hat den Juden eine Stadt gebaut“, | |
sei ihnen gesagt worden. In Wahrheit habe die durchschnittliche Lebenszeit | |
in Theresienstadt gerade mal 100 Tage betragen. Für viele sei es gleich | |
weiter in das Vernichtungslager Auschwitz gegangen, dem Inbegriff der | |
Vernichtung jüdischen Lebens schlechthin. Auch Gäste, die nicht zu der | |
Genossenschaft gehören sind zu der Einweihung gekommen. | |
Mit dem Erinnerungsort allein sei für ihn und die anderen in der AG die | |
Aufarbeitung aber nicht abgeschlossen, so Peter zur taz. Es werde weitere | |
Veranstaltungen geben, zum Beispiel Lesungen im Gemeinschaftsraum der | |
Wohngenossenschaft. Und auf einer Homepage würden fortlaufend historische | |
Fakten rund um den Anhalter Bahnhof und das einstige Gleis 1 | |
zusammengetragen. | |
In seiner Rede betont Peter, bei dieser Erinnerungsarbeit gehe es nicht nur | |
darum, was der grenzenlose Antisemitismus der Nazis angerichtet hat, | |
sondern auch darum, zu zeigen, dass [3][gegenwärtiger Antisemitismus] | |
niemals hinnehmbar sei. | |
7 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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