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# taz.de -- Die Melodien des Gleisdreieckparks: Auf Klangsuche mit einem ungew�…
> Für Jazzmusiker Paul Brody ist der Gleisdreieckpark eine
> Inspirationsquelle. So sehr, dass seine Musik ein akustisches Abbild des
> Parks geworden ist.
Bild: Urbaner Park, urbane Geräusche: Jazzmusiker Paul Brody im Gleisdreieckpa…
Berlin taz | Die Sonne lacht über dem Gleisdreieckpark. Paul Brody lauscht
konzentriert den Klängen. Er nimmt das Zusammenspiel von Menschen, Tieren,
Insekten, Zügen, U-Bahnen, der Wiese und dem Spielplatz wahr und leitet
Melodien daraus ab. Während sein Fuß zu den Stimmen der Kinder steppt,
schwingt seine Hand zu dem Takt der U-Bahn über ihm. Mit seinem Mund ahmt
er den Gesang der Vögel nach. Sein ganzer Körper ist ein akustisches Abbild
des Parks geworden.
Seit nun bald 40 Jahren ist der Deutsch-Amerikaner als „Klangkünstler“
tätig, in verschiedenen Projekten. 30 Jahre lebt Brody bereits in Berlin.
Die Kunstszene hier fand er schon immer lebendig, sagt er. Brody ist
Jazzmusiker, das Komponieren und Spielen auf der Trompete sind sein
Spezialgebiet. In dieser Funktion arbeitete er unter anderem mit dem
Badischen Staatstheater, John Zorn, dem Sänger Clueso, der Band 17 Hippies,
dem WDR und dem SWR zusammen. Ein international gestandener Musiker also.
Was verschlägt diesen Künstler ausgerechnet in den Gleisdreieckpark, mit
seinem tristen, kahlen, eher urbanen statt idyllischen Flair? Diesen Blick
auf den Park kann Paul Brody ganz und gar nicht teilen. Vielmehr verbindet
ihn eine tiefe Freundschaft mit der einst stillgelegten Bahnanlage. Als der
Park vor über zehn Jahren eröffnete, war er für Brody zunächst einfach gut
gelegen. Da er morgens Zuhause komponierte, begab er sich für seine
nachmittäglichen Übungssessions gerne ins Freie. Brody fing an, durch den
Park zu wandern und den verschiedenen Klängen zu lauschen.
In den folgenden Jahren sollte so der Gleisdreieckpark für ihn zu einer
entscheidenden Inspirationsquelle werden. Einen designierten
Lieblingsplatz, an dem er besonders gut spielen kann, hat er bis heute
nicht. Inspirieren lässt er sich manchmal unter einem Baum, manchmal bei
der Parcouranlage, auf der großen Wiese, auf der Brücke zur Yorckstraße
oder sogar direkt unter der U-Bahn, die hier oberirdisch fährt. Inzwischen
sei der Park wie ein zweites Wohnzimmer für ihn, sagt Brody.
## „So einen Klick-klick-klick-Sound“
„Obwohl ich eigentlich zum Trompeteüben herkam, wurde ich durch die vielen
Geräusche abgelenkt und fing an zu improvisieren“, erzählt er. Skateboards
zum Beispiel hätten „so einen Klick-klick-klick-Sound, das hat einen guten
Groove“. Menschen zuzuhören, wie sie vorbeilaufen, vorbeifahren oder
vorbeiskaten, wurde zu seiner neuen Lieblingsbeschäftigung. Er versuchte,
den Rhythmus ihrer Körper zu verstehen und herauszufinden, was sie
emotional kommunizieren. Und zu diesem Klang auf der Trompete zu spielen.
Wenn man die Schritte von Menschen als verschiedene Beats höre, erkenne
man, dass jeder Mensch einen ganz eigenen Rhythmus hat, sagt Brody. Ob
jemand schnell schreitet, eher schluderig schlendert oder erhobenen Hauptes
stolziert. All das erzeuge eine eigene Melodie. Dabei gebe es große
Unterschiede zwischen den Generationen. Junge Menschen würden zum Beispiel
eher zum Hopsen neigen. „Die Stimmung der Menschen dient als eine
Ergänzung. Man kann auch die Stimmung eines Menschen auf einem Instrument
spielen“, verrät er.
Paul Brodys Begeisterung ist ansteckend – und für alle und jede:n
erfahrbar. Jede:r interessierte Person, sofern sie ein Smartphone besitzt,
kann den Park durch Brodys Augen und Ohren erkunden. Denn der Senat hat
gemeinsam mit dem Verein Campus Stadt Natur eine Audiotour durch den
Gleisdreieckspark mit Geschichten, Expert:inneninterviews, historischen
Fakten und musikalischer Untermalung entwickelt.
Aufgezeichnet wurde jeder der 27 Teile des Storywalks von Brody selbst,
sowohl die Interviews mit den Expert:innen, als auch die dazugehörige
Musik. So lernen die Teilnehmer:innen unter anderen die Geschichte der
Fledermäuse kennen, die im Park leben und sich dem Leben der Menschen
angepasst haben. Die Tour ist auf Deutsch, Englisch und Türkisch verfügbar.
## Eine der schönsten Dinge im Frühling
Beim Spaziergang durch den Park erzählt Brody, er könne nicht nur Menschen,
sondern auch Tiere musikalisch nachahmen. Eine der schönsten Dinge im
Frühling sei es, wenn die Vögel wieder von ihrem Winterflug zurückkehren,
sagt er. Nachtigallen – bekannt für ihre schönen Gesänge – hätten etwa
keinen angeborenen Gesang, sondern passten sich an ihre Umgebung an, würden
auch viel von anderen Vögeln übernehmen. „Die Nachtigallen im Park haben
fast schon eine technische Komponente“, sagt Brody. Ein bisschen klinge das
„wie Technomusik“, sagt er. Überraschen tut das in einem Berliner Park
nicht.
Einmal habe er sein Equipment um drei Uhr morgens in den Park mitgenommen,
um die Nachtigallen zur besten Zeit aufnehmen zu können. Dafür habe er das
Mikrofon an einem Besenstil befestigt und es in die Nähe eines Baumes
gehalten. Plötzlich habe er eine aufgeschreckte Stimme gehört: „Hey Frank,
lass uns abhauen, hier ist jemand mit ’nem Mikro!“ Schneller als er habe
gucken können, seien zwei Punks auf ihren Fahrrädern verschwunden, erzählt
er lachend.
Anschließend sei die Polizei an ihm vorbeigefahren und habe ihn
misstrauisch gemustert. Als er erklärte, was er hier tat, hätten ihn die
Beamt:innen nur perplex angeschaut. „Ich finde die Anekdote deshalb so
amüsant, weil in diesem Park Punks und Polizei zugleich nicht verstehen
konnten, wie jemand so beeindruckt von der Natur und den Klängen des Parks
sein kann, dass er sie gerne aufnimmt“, sagt Brody.
## „Da da da da da Mama“
Und die lautesten Besucher:innen des Parks? „Die Stimmen von Kindern
sind viel melodischer als von Erwachsenen“, sagt Brody. „Sie sprechen oft
in Terzen und in Pentatonik. Dabei ist ‚Mama‘ oft eine große oder kleine
Terz. Da da da da da Mama.“
Brody erklärt sich dieses Phänomen dadurch, dass bei Kindern, bevor sie
richtig sprechen können, nicht so wichtig ist, was sie genau sagen, sondern
wie. Viel von dem, was sie ausdrücken wollen, sei also abhängig von ihren,
wie Brody es nennt, „stimmlichen Gestikulationen“. „Meine These ist: Je
mehr Wörter ein Kind lernt, desto mehr flachen diese stimmlichen
Gestikulationen ab und gehen in komplexe Wörter über“, begeistert sich
Brody weiter.
Ein weiteres Geräusch, das ihn faszinierte, dürfte jede:r kennen: Das
eines Kindes, das einen Fußball gegen einen Metallzaun schießt. Paul Brody
war von dem Echo fasziniert: „Ich fragte ihn, ob er den Ball nochmal
dagegen schießen könnte, damit ich es aufnehmen kann. Er sagte nur: ‚Was
auch immer.‘“ Nach ein paar Versuchen, in denen Brody den Jungen bat, den
Ball gegen einen anderen Zaun oder etwas doller zu schießen, sagte der
Junge: „Na gut, aber das ist das letzte Mal.“
Brody stand mit seinem Audioequipment direkt hinter dem Zaun und nahm dann
den perfekten Schusssound auf. „So etwas kann man nicht mit normalen
Instrumenten erzeugen, so was gibt’s nur im Gleisdreieckspark“, ist Brody
sich sicher.
25 Apr 2025
## AUTOREN
Raweel Nasir
## TAGS
Park am Gleisdreieck
Musik
Jazz
Naturkundemuseum
Friedrichshain-Kreuzberg
Antisemitismus
Friedrichshain-Kreuzberg
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