# taz.de -- Nach dem BVerfG-Urteil zum Mietendeckel: „Vom Bundesdeckel rate i… | |
> Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel ist | |
> nicht überzeugend, findet der Rechtswissenschaftler Florian Rödl. | |
Bild: Blick auf den „Moloch“ Berlin: ein weites Betätigungsfeld für eine … | |
taz: Herr Rödl, Sie waren Teil der juristischen Vertretung des Landes | |
Berlin beim Mietendeckel-Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). | |
[1][Kern des Urteilsspruchs] war, dass der Bund mit der Mietpreisbremse den | |
Bereich Mieten abschließend geregelt habe – weshalb das Land Berlin für den | |
Deckel nicht die nötige Gesetzgebungskompetenz besäße. Noch im Februar | |
erklärten Sie gegenüber der taz, eine solche abschließende Intention sei im | |
Gesetzestext der Mietpreisbremse „nicht einmal oberflächlich zu | |
identifizieren“. Haben Sie sich geirrt? | |
Florian Rödl: (lacht) Nein, denn ich halte die Begründung des Gerichts für | |
wenig überzeugend. Die Richter stützen sich an zentraler Stelle auf eine | |
Aussage der CSU-Abgeordneten Anja Weisgerber in der Bundestagsdebatte zur | |
Mietpreisbremse. Sie sagte dort, die Bremse sei eine „politische | |
Verantwortungsübernahme des Bundes für die gesamte Wohnungspolitik“. | |
Offenbar haben dem Gericht weder der Gesetzestext, noch die | |
Gesetzesbegründung, noch die Protokolle der Ausschusssitzungen, in denen am | |
Gesetzestext gefeilt wurde, ausgereicht, um eine tragfähige Argumentation | |
zu präsentieren. Frau Weisgerber wird sich der verfassungsrechtlichen Kraft | |
ihres Satzes ebenfalls nicht bewusst gewesen sein. Im Ernst: An keiner | |
Stelle ist in den Materialien davon die Rede, dass mit der Mietpreisbremse | |
auch Mietpreisgrenzen der Länder gesperrt werden könnten. | |
Dennoch steht das Urteil des BVerfG. Kommt jetzt der Bundesmietendeckel? | |
Dem steht nichts entgegen, aber ich möchte dringend davon abraten. Vielmehr | |
sollte der Bund nichts anderes tun, als den Ländern ihre Kompetenz für | |
Mietpreisgrenzen ohne Abstriche und Vorgaben zurückzugeben. | |
Sie sprechen sich gegen einen Bundesmietendeckel aus? | |
Ja, davon halte ich überhaupt nichts. Das BVerfG hat dem Bundesgesetzgeber | |
den Willen einer abschließenden Regelung zugeschrieben. Das ist jetzt | |
verbindlich. Diesen Willen kann der Bundesgesetzgeber aber für die Zukunft | |
jederzeit ändern. Dafür reicht eine kurze Ergänzung der Mietpreisbremse, so | |
etwas wie: „Festlegungen zur Miethöhe auch durch Landesgesetz bleiben | |
unberührt.“ Dann ist die Regelung ganz offensichtlich nicht mehr | |
abschließend. | |
Das würde reichen, um den Berliner Mietendeckel zurückzubringen? | |
Nach Abänderung der Mietpreisbremse müsste auch der Deckel neu | |
verabschiedet werden. | |
Das klingt nach Projekten für Rot-Rot-Grün auf beiden Ebenen. | |
Das kann man so sehen. Es geht hier aber auch um politische Verantwortung | |
im Föderalismus. Wie wir am 15. März erfahren haben, hat der Bund mit der | |
Föderalismusreform 2006 die soziale Wohnungsversorgung an die Länder | |
abgegeben, dabei aber eines der effektivsten Instrumente, die Preisgrenzen, | |
für sich behalten. Und seit 2015 ist dieses Instrument für die Länder auch | |
noch gesperrt! Wenn das laut BVerfG nun rechtlich so geschehen ist, müsste | |
sich doch auch für die CDU/CSU ergeben, dass es sich hier um eine föderal | |
untragbare Schieflage handelt. | |
Warum fallen Mietpreisgrenzen Ihrer Meinung nach eigentlich in die | |
Zuständigkeit der Länder? | |
Die Argumentation des Landes stützte sich auf den Kompetenztitel des | |
Wohnungswesens, der seit der eben schon angesprochenen Föderalismusreform | |
zweifelsfrei in die Zuständigkeit der Länder fällt. Im Wohnungswesen geht | |
es um die staatliche Daseinsvorsorge im Bereich des Wohnens. Das beinhaltet | |
im Notfall auch, rabiat in das Wirken der Marktkräfte einzugreifen. In das | |
Repertoire gehören Mittel wie die Zwangsbewirtschaftung, also die | |
staatliche Zuweisung von Mieterinnen und Mietern – und eben auch die | |
Deckelung von Mietpreisen. Damit war unserer Meinung nach klar, dass | |
Mietpreisgrenzen von den Ländern gesetzt werden können. | |
Das BVerfG sieht das anders. | |
Ja. Im Kern sagt das Gericht, dass Mietpreisgrenzen nicht zum | |
Wohnungswesen, sondern zum sozialen Mietrecht zählen. Dabei sind das zwei | |
Paar Schuhe. Bei Preisgrenzen geht es um eine Aussetzung der | |
Marktpreisbildung. Das Ziel ist die Bewältigung einer Versorgungsnotlage. | |
Sie werden darum auch mit Verwaltungszwang durchgesetzt. Im sozialen | |
Mietrecht geht es letztlich um den uralten Gedanken des Wuchers, der die | |
unverdiente Bereicherung aus knappen Gütern verbietet. Es geht darum, einen | |
wertgerechten Tausch zwischen den Vertragsparteien sicherzustellen. Deshalb | |
müssen die Mieter im sozialen Mietrecht auch immer selbst handeln. | |
Und weil das BVerfG die Mietpreisgrenzen nun zum sozialen Mietrecht zählt, | |
fallen diese auch in die Zuständigkeit des Bundes? | |
Fast. Anders als das Wohnungswesen, welches klar in die ausschließlich | |
Zuständigkeit der Länder fällt, ist das soziale Mietrecht Teil der | |
sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung. Bedeutet: Sobald der Bund hier | |
eine abschließende – und das „abschließend“ ist wichtig – Regelung | |
getroffen hat, können die Länder keine eigenständige Regelung mehr treffen. | |
Und jetzt sagt das BVerfG: Das ist seit der Mietpreisbremse aus dem Jahr | |
2015 der Fall. | |
Weshalb Sie dafür plädieren, im Gesetzestext der Mietpreisbremse einen | |
abschließenden Charakter auszuschließen. Trotzdem wäre die Frage, ob der | |
Deckel zu sehr in die Eigentumsverhältnisse eingreift, noch nicht | |
entschieden, oder? | |
Nein, aber der Mietendeckel wirft im Hinblick auf das Eigentum keine Fragen | |
auf, die nicht schon mit der Entscheidung zur Mietpreisbremse beantwortet | |
worden wären. Das Grundgesetz beinhaltet keine Wert- oder | |
Verwertungsgarantie: Es garantiert das Eigentum, also das Recht an der | |
Wohnung selbst, von der Möglichkeit einer Enteignung oder Sozialisierung | |
einmal abgesehen. Was es nicht garantiert, ist ein bestimmter | |
Mindestertrag, der sich aus der Eigentumsgarantie ableiten würde. Es gibt | |
kein Recht darauf, die eigene Wohnung für 20 Euro pro Quadratmeter auf dem | |
Markt anzubieten. | |
Materiell wäre der Mietendeckel also Ihrer Meinung nach verfassungskonform. | |
Bei Mietenstopp und Neuvermietungen bin ich ganz sicher. Etwas | |
anspruchsvoller ist die Frage nach der im Mietendeckel vorgesehenen | |
Absenkung der Bestandsmieten, weil es da präzise genommen nicht um | |
Sacheigentum geht, sondern um das gleichfalls geschützte Recht auf eine | |
Geldleistung. Aber spätestens die Härtefallregelung, die sicherstellt, dass | |
niemand wegen des Deckels dauerhafte Verluste erleidet, sollte die | |
Verhältnismäßigkeit herstellen. | |
6 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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