| # taz.de -- Mietendeckel und Wohnungsmarkt: Wer macht jetzt den Deckel drauf?! | |
| > Der Berliner Mietendeckel ist gekippt, aber es gibt noch andere Ideen. | |
| > Was planen die Parteien gegen den angespannten Wohnungsmarkt? | |
| Bild: Mieten stoppen! Protest in Berlin im März 2021 gegen steigende Mieten, V… | |
| Berlin taz | Soziale Ungleichheit zeigt sich häufig in der Wohnungsfrage: | |
| Während der eine von den Eltern fürs Jura-Studium eine Eigentumswohnung in | |
| Innenstadtlage bekommt, teilt sich nebenan die fünfköpfige Familie eine | |
| Dreizimmerwohnung – oder wird aufgrund steigernder Mieten gleich an den | |
| Stadtrand gentrifiziert. | |
| Besonders deutlich kann man die Preisentwicklung der letzten Dekade in | |
| Innenstädten mit Wohnraumknappheit sehen, wo spätestens seit Finanzkrise | |
| und Niedrigzinspolitik Investmentfonds und spekulative Wohnungsfirmen | |
| Immobilien als Anlageobjekte entdeckt haben. | |
| Steigende Mieten finanzieren dabei dicke Dividenden von DAX-Unternehmen wie | |
| Vonovia oder Deutsche Wohnen. Über den Aktienmarkt und den privaten Sektor | |
| des Wohnungsmarkts findet eine systematische Umverteilung von unten nach | |
| oben statt – nicht selten getarnt hinter [1][Briefkastenfirmen in | |
| Steueroasen]. | |
| Maßnahmen auf Bundesebene gegen diese Entwicklung griffen bislang nur | |
| unzureichend: Die [2][Mietpreisbremse scherte Vermieter*innen wenig], | |
| Steuerschlupflöcher [3][wurden nicht geschlossen]. Umso bitterer war es für | |
| Mieter*innen, dass der Berliner [4][Mietendeckel] im April vor dem | |
| Bundesverfassungsgericht scheiterte. | |
| ## Der Deckel scheiterte | |
| Der Mietendeckel trat am 1. Januar 2020 in Kraft und sorgte nach einer | |
| ungebremsten Preisexplosion der vergangenen 15 Jahre für ein Aufatmen in | |
| Berlin. Vermieter*innen waren verpflichtet, die Mieten von 1,5 | |
| Millionen Wohnungen fünf Jahre lang einzufrieren, in einer zweiten Stufe | |
| mussten sogar zu hohe Mieten zur Erleichterung von 320.000 Haushalten | |
| gesenkt werden. | |
| Zwar gab es ungewollte Nebeneffekte – Vermieter*innen ließen etwa | |
| Wohnungen leer stehen und Wohnraum verknappte sich zunächst noch weiter. | |
| Dennoch schien es kurz so, als wenn sich Spekulation mit Wohnraum in Berlin | |
| nicht mehr lohnt und sich tatsächlich ein Gesetz in der Wohnungsfrage als | |
| durchschlagkräftig erwies. | |
| Doch dann kam die CDU: Vor dem Bundesverfassungsgericht klagte die Union | |
| gegen den Mietendeckel und bekam aus formalen Gründen recht. Der nicht | |
| gerade als progressiv bekannte zweite Senat des Gerichts urteilte | |
| außergewöhnlich hart: Das Preisrecht im Wohnungswesen sei vom Bund | |
| abschließend geregelt worden, urteilten die Richter*innen. | |
| Inhaltlich äußerten sie sich rein gar nicht zum Berliner Gesetz. | |
| Mittlerweile findet man in Berlin wieder Wohnungen zu Mondpreisen, ebenso | |
| mussten sehr viele Mieter*innen Nachzahlungen leisten. | |
| ## Drei Forderungen | |
| Allerdings ist das harsche Urteil noch nicht das Ende der Idee des | |
| Mietendeckels: In Berlin demonstrierten noch am Tag des Urteils mehr als | |
| zehntausend Menschen mit viel Wut im Bauch. Die zentrale Forderung der | |
| Mieter*innen: ein Mietendeckel auf Bundesebene. Und der gekippte Deckel | |
| sorgte auch anderswo für Verstimmungen: In Bayern schloss sich ein auf dem | |
| Rechtsweg gescheitertes Volksbegehren für einen Deckel nach dem Berliner | |
| Vorbild der Forderung an. | |
| Inzwischen haben sich in einem bundesweiten Bündnis Gruppen aus ganz | |
| Deutschland vernetzt, um am 11. September, zwei Wochen vor der | |
| Bundestagswahl, eine Großdemo auf die Straße zu bringen – und um zusammen | |
| mit dem Berliner Mietenwahnsinn-Bündnis, Aktivist*innen des Berliner | |
| Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co. enteignen sowie Gewerkschaften und | |
| Verbänden einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungspolitik einzufordern. | |
| Das Mietenstopp-Bündnis nennt [5][drei zentrale Forderungen]: Erstens | |
| sollen Mieten bundesweit für sechs Jahre eingefroren werden mit strikten | |
| Oberwerten bei Wiedervermietungen. Zweitens sollen nur fairen | |
| Vermieter*innen, wie etwa Genossenschaften oder solchen, die Wohnungen | |
| günstiger als für die Obergrenze anbieten, Mietsteigerungen von 2 Prozent | |
| jährlich erlaubt sein. | |
| Als Oberwert definiert das Bündnis 80 Prozent der ortsüblichen | |
| Vergleichsmiete. Drittens fordert Mietenstopp: „bauen, bauen, bauen“ – | |
| insbesondere soll der Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen forciert werden. | |
| ## Mietenstopp – zumindest regional | |
| Christian Kühn, Sprecher der Grünen für Bau- und Wohnungspolitik im | |
| Bundestag, will jedenfalls keinen bundesweiten Mietendeckel einführen: „Das | |
| Bundesverfassungsgericht hat formal geurteilt, nicht inhaltlich. Deswegen | |
| gibt es eine Unsicherheit, ob ein Deckel auf Bundesebene rechtlich möglich | |
| ist“, sagt er. | |
| Auch um nicht erneut Zeit mit einem langwierigem Klageverfahren zu | |
| verlieren, plädieren die Grünen dafür, vorhandene Instrumente wie die | |
| Mietpreisbremse, Kappungsgrenzen und die Begrenzung von | |
| Modernisierungsumlagen zu schärfen. „Viele Instrumente funktionieren nicht, | |
| weil die Union in den vergangenen 16 Jahren das Mietrecht durchlöchert und | |
| blockiert hat“, so Kühn. | |
| Immerhin wollen die Grünen den Bundesländern ermöglichen, „in angespannten | |
| Wohnungsmärkten“ einen Mietenstopp zu erlassen, wie Kühn sagt, wofür das | |
| Bundesrecht geöffnet werden müsste. Zumal man den Wohnungsmarkt nicht | |
| überall regeln müsse: „Die Lage ist in der Uckermark anders als in Berlin �… | |
| man muss nur regulieren, wo der Markt explodiert.“ | |
| Technisch dürfte Letzteres recht leicht sein, wie etwa | |
| [6][Rechtswissenschaftler sagen] – man müsste lediglich in der | |
| Mietpreisbremse eine Formulierung zur Öffnung ergänzen. | |
| ## Wenn dann nur ohne CDU | |
| Klar ist: Der Mietendeckel hat deutlich bessere Chance, wenn die | |
| [7][traditionell mit der Immo-Lobby verwachsene CDU/CSU] nicht in der | |
| Regierung ist. Denn wie viel von Klauseln für Mietenstopps etwa in einer | |
| schwarz-grünen Koalition oder einem Jamaika-Bündnis übrig bliebe, ist | |
| vollkommen offen. | |
| Wenig überraschend, lehnt die CDU dann auch auf taz-Anfrage sowohl Stopp | |
| als auch Deckel ab: Der CDU-Sprecher für Baupolitik, Jan-Marco Luczak, | |
| sagte er der taz: „Ein Mietenstopp ist am Ende ein verklausulierter Deckel. | |
| Wir dürfen aber die Regulierung nicht so weit treiben, dass niemand mehr | |
| investieren will.“ | |
| Selbstverständlich müsse man das Problem steigender Mieten angehen, | |
| deswegen brauche man „starke soziale Leitplanken“, wie Luczak sie in der | |
| vergangenen Legislatur mit der Mietpreisbremse umgesetzt haben will. | |
| Nachhaltig lösen ließe sich das Problem aber nur, wenn mehr, schneller und | |
| kostengünstiger gebaut werden könne, so Luczak. | |
| Deshalb sieht der Kühn die meisten Schnittmengen mit der SPD: „Unsere | |
| mietenpolitischen Vorstellungen können wir leichter mit der SPD umsetzen. | |
| Wir werden aber in jeder Konstellation für unsere Forderungen kämpfen.“ | |
| ## Unstrittig mit rot-rot-grün | |
| Tatsächlich ist die SPD-Position in weiten Teilen grünen-kompatibel: Laut | |
| dem wohnungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Bernhard Daldrup, | |
| wollen die Sozialdemokraten einen zeitlich befristeten Mietenstopp in der | |
| Mietpreisbremse verankern: Erhöhungen sollen dann in von den Ländern | |
| definierten Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten fünf Jahre lange nur | |
| um die Inflationsrate steigen. | |
| Ebenso will die SPD die Mietpreisbremse verschärfen und entfristen. | |
| Unstrittig ist also, dass ein eher unwahrscheinliches rot-rot-grünes | |
| Bündnis einen Mietenstopp in den Koalitionsvertrag schreiben würde. | |
| Die Linke will sogar am Liebsten einen festen Mietendeckel auf Bundesebene | |
| einführen, der zudem Mieten senken können soll: Caren Lay, | |
| wohnungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, sagt: „Ich fände es | |
| falsch, wenn es beim Deckel läuft wie bei der Mietpreisbremse, wo | |
| Länderregierungen die Umsetzungen noch verhindern können.“ | |
| In ihrem Bundesland Sachsen etwa würde „die CDU-Landesregierung niemals | |
| eine Mietpreisbremse aussprechen – in meinem Wahlkreis Bautzen braucht es | |
| die vielleicht auch nicht zwingend, aber in Leipzig wäre sie dennoch | |
| dringend nötig“, sagt Lay. Deswegen ist laut der Linken die beste Idee, | |
| dass der Bund ein Rahmengesetz macht, das vor Ort umgesetzt werden könne, | |
| so dass Kommunen über mögliche Deckelungshöhen entscheiden könnten. | |
| ## Der kleinste gemeinsame Nenner | |
| Orientierung soll der Berliner Deckel bieten: Mietobergrenzen definieren, | |
| Neuvertrags- und Bestandsmieten deckeln und zu hohe Mieten absenken. Ob man | |
| im Rahmen etwa einer rot-rot-grünen Koalition auch zu Zugeständnissen | |
| bereit wäre? Eine Öffnungsklausel für Länderrecht sei da wohl der „kleins… | |
| gemeinsame Nenner“, sagt Lay. | |
| Ein genaues Konzept für einen Mietendeckel auf Bundesebene erarbeite man | |
| derzeit mit dem Stadtsoziologen Andrej Holm. Es soll am kommenden Dienstag | |
| vorgestellt werden. | |
| Bis zur Bundestagswahl hofft Lay auch auf Schwung von der Straße: „Wichtig | |
| ist, dass Mieter*innen ihre Forderungen auf der bundesweiten Mietendemo | |
| am 11. September stellen. Ohne Druck von außen geht es nicht.“ | |
| 29 Aug 2021 | |
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| [1] /Studie-zum-Wohnungsmarkt-in-Berlin/!5723793 | |
| [2] /Mieter-Vertreter-ueber-Mietpreisbremse/!5507931 | |
| [3] /Reform-der-Grunderwerbsteuer/!5761095 | |
| [4] /Mietendeckel/!t5567229 | |
| [5] https://mietenstopp.de/forderung-bundesregierung-mietenstopp/3-zentrale-bau… | |
| [6] /Nach-dem-BVerfG-Urteil-zum-Mietendeckel/!5765627 | |
| [7] /Union-zur-Reform-der-Grunderwerbsteuer/!5754639 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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