# taz.de -- Mietspiegel 2021 in Berlin: Vermieter treten nach | |
> Berlin hat einen neuen Mietspiegel. Vermieterverbände erkennen ihn formal | |
> nicht an. Der Mieterverein befürchtet nun Klagen und Mieterhöhungen. | |
Bild: Bildet nicht immer die komplette Realität ab: Mietspiegel | |
BERLIN taz | Habemus Mietspiegel: Nach dem gekippten Mietendeckel hat der | |
Berliner Senat am Donnerstag einen [1][neuen Mietspiegel] veröffentlicht. | |
Er gilt ab sofort für rund 1,4 Millionen Mietwohnungen. Aus dem Mietspiegel | |
2021 ergibt sich eine Steigerung der Mieten von 1,1 Prozent. Das entspricht | |
im Schnitt einer ortsüblichen Vergleichsmiete von 6,79 Euro pro | |
Quadratmeter (kalt) – sieben Cent mehr als 2019. Das ist der niedrigste | |
Anstieg seit über zehn Jahren. | |
Mit dem Mietspiegel werden alle zwei Jahre die ortsüblichen | |
Vergleichsmieten je nach Bautyp, Wohnungsgröße und Ausstattung festgelegt. | |
Das Instrument sollte in seiner bisherigen Form zur Befriedung des | |
Wohnungsmarktes beitragen: Denn zum einen bildet der Mietspiegel das | |
Marktgeschehen ab und ermöglicht Mieterhöhungen für Vermieter*innen. Zum | |
andern können Mieter*innen anhand des Mietspiegels die Mietpreisbremse | |
geltend machen und prüfen, ob verlangte Mietpreise zulässig sind. Erlaubt | |
sind danach Mietsteigerungen um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren bis | |
zur ortsüblichen Vergleichsmiete – Neuverträge dürfen bis zu zehn Prozent | |
über ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. | |
Aufgrund des Mitte April vom Bundesverfassungsgericht für [2][nichtig | |
erklärten Mietendeckels] wurde der Mietspiegel 2021 anhand der Zahlen von | |
2019 hochgerechnet. Bisher hatte Berlin den Mietspiegel anhand von | |
Marktdaten und Befragungen erhoben. | |
Der Senat hatte trotz Mietendeckel die Hochrechnung bereits vorbereitet – | |
für den eingetretenen Fall, dass der Mietenstopp scheitern sollte. | |
Errechnet wurde Mietspiegel 2021 auf Basis der Vergleichsmieten von 2019 | |
plus der Steigerungen der allgemeinen Lebenskosten, dem sogenannten | |
Verbraucherpreisindex. Das ist ein laut bürgerlichem Gesetzbuch zulässiges | |
Verfahren. Der Senat musste darauf zurückgreifen, weil regulierte | |
Mietendeckel-Preise den Mietspiegel verzerrt hätten. Entsprechend nahm der | |
Senat auch keine Betriebskostenübersicht vor. | |
## Die verweigerte Unterschrift | |
Der Senator für Bauen und Stadtentwicklung, [3][Sebastian Scheel], sagte: | |
„Die aktive Mietenpolitik des Berliner Senats hat bewirkt, dass sich der | |
rasante Mietpreisanstieg der vergangenen Jahre deutlich verlangsamt hat.“ | |
Das Land nutzt [4][laut Scheel] mit der Veröffentlichung „eines | |
qualifizierten Mietspiegels konsequent den Spielraum, um | |
Mieterhöhungsmöglichkeiten zu begrenzen“. | |
Mit der vergleichsweise niedrigen Steigerung geht der Kampf auf dem | |
Berliner Wohnungsmarkt in die nächste Runde. Denn obwohl Immobilien- und | |
Vermieterverbände wie BFW, BBU sowie Haus und Grund am Mietspiegel | |
mitgearbeitet haben, unterzeichneten sie den Mietspiegel – wie sonst üblich | |
– nicht. | |
Sie gehen damit auf Konfrontationskurs mit Senat und Mieterverbänden, die | |
den Mietspiegel wie gewohnt unterschrieben. Die Nichtunterzeichnung der | |
Immo-Verbände wurde flankiert von vorbereiteten Pressemitteilungen und | |
dürfte nach dem stark bekämpften Mietendeckel so etwas wie ein Nachtreten | |
gegen Senat und Mieter*innen der Stadt sein. | |
Auch wenn die immobilienwirtschaftlichen Verbände betonen, dass sie davon | |
ausgehen, dass ihre Mitgliedsunternehmen den Mietspiegel akzeptieren, | |
dürfte die Nichtunterzeichnung vor allem für Mieter*innen handfeste | |
Folgen haben: Denn durch die verweigerte Unterschrift haben es | |
Vermieter*innen leichter, den Mietspiegel rechtlich anzugreifen und | |
Mieterhöhungen durchzudrücken. | |
So sieht das auch [5][Reiner Wild vom Berliner Mieterverein]. Er sagt, dass | |
in rechtlichen Auseinandersetzungen um Mieterhöhungen Richter*innen | |
häufig dem Mietspiegel genau deswegen Gewicht geben, weil er bisher von | |
Mieter- und Vermieterverbänden gleichermaßen per Unterschrift anerkannt | |
worden sei. Zwar brauche der Senat nicht zwingend die Zustimmung der | |
Verbände – „aber in Berlin war es eigentlich Usus, dass der Mietspiegel von | |
allen unterschrieben wird, um gegenüber der Stadtgesellschaft und den | |
Gerichten zu dokumentieren, dass alle Beteiligten dieses Instrument | |
mittragen“, so Wild. | |
Nach Auffassung von Wild sei nun das Risiko größer, „dass Richter zur | |
Einschätzung gelangen, dass der Mietspiegel kein Konsens mehr ist und | |
Vermieter mit größeren Erhöhungen durchkommen“. Er rechne mit vielen | |
Mieterhöhungen, welche die Mietspiegelwerte überschreiten und erwarte | |
zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen. Maßgeblich sei letztlich, wie | |
die Kammern des Landgerichts den Mietspiegel in Streitfällen bewerteten, so | |
Wild. | |
Die Nichtunterzeichnung werte er als eine Kampfansage: „Gerade noch haben | |
Vermieterverbände, CDU/CSU und FDP im Streit um den Mietendeckel auf den | |
hinreichenden Mieterschutz verwiesen. Im nächsten Atemzug unterlaufen die | |
Vermieterverbände diesen Schutz durch die Nichtanerkennung des | |
Mietspiegels.“ | |
Wild fordert vom Senat Konsequenzen für die verweigerte Unterschrift: „Es | |
kann nicht sein, dass die Vermieterverbände bis zur letzten Minute bei der | |
Erstellung des Mietspiegels in dem vom Senat einberufenen Arbeitskreis zur | |
Mietspiegelerstellung ihre Interessen durchzusetzen versuchen, dann aber | |
doch abspringen“, so Wild. Er forderte deswegen einen Stichtag während der | |
Erarbeitung des Mietspiegels, bis zu dem sich alle Verbände verbindlich zu | |
entscheiden hätten, ob sie den Mietspiegel mittragen. | |
Die Immobilienwirtschaft versuchte die Kampfansage in ihren Mitteilungen | |
zumindest ein bisschen zu kaschieren. So schrieb der [6][Verband | |
Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU)] recht schmerzfrei, dass | |
er den Mietspiegel zwar begrüße, aber wegen der Art der Erhebung trotzdem | |
nicht unterschreibe. Auch der [7][Bundesverband Freier Wohnungsunternehmer | |
(BFW)] verweist darauf, dass die Methode zwar rechtlich zulässig sei, sich | |
aber aus seiner Sicht nicht für den heterogen Wohnungsmarkt von Berlin | |
eigne. | |
Dem BFW fehlten bei der Erstellung des Mietspiegels etwa 45.000 seit 2018 | |
errichtete ([8][und zumeist besonders teure]) Neubauwohnungen. Dennoch | |
empfehle man den Mitgliedsunternehmen den Mietspiegel als Arbeitsgrundlage | |
zu nutzen. Man wolle mit der verweigerten Unterschrift lediglich den Senat | |
dazu auffordern, beim nächsten Mietspiegel wieder Daten zu erheben. Auf | |
taz-Rückfrage heißt es immerhin von beiden Verbänden, dass man keine Klagen | |
empfiehlt – wobei das Mitgliedsunternehmen wie die [9][Deutsche Wohnen] in | |
Vergangenheit nicht davon abgehalten hat, trotzdem zu klagen. | |
Eine andere Strategie, staatliche Mietenregulierungen zu umschiffen, | |
offenbarte am Donnerstag das [10][Branchenportal Immoscout]. Aus einer | |
ersten Analyse nach dem Mietendeckelurteil gehe nicht nur hervor, dass die | |
Angebote seither im Schnitt sieben Prozent teurer wurden, sondern auch, | |
dass das Wohnungsangebot um 8,4 Prozent zugenommen hat. Nach dem Urteil sei | |
das Angebote sogar kurzzeitig um über 20 Prozent angestiegen – | |
möglicherweise ein Beleg dafür, dass viele Vermieter*innen Wohnungen | |
während des Mietenstopps einfach leer stehen ließen. | |
Update, 7.5., 9:30 Uhr: | |
In einer später am Donnerstag hastig noch verschicken weiteren gemeinsamen | |
Pressemitteilung von BBU und BFW versuchten die Immobilienverbände noch | |
etwas zurückzurudern: Der Berliner Mietspiegel sei „im rechtlichen Sinne | |
qualifiziert“ – eine einmalige Fortschreibung des Mietspiegels von 2019 sei | |
zulässig, weil diese im großen Umfang Daten erhoben habe. Rechtlich sei der | |
Mietspiegel also nicht zu beanstanden. | |
Zudem seien Mietspiegel „unverzichtbar, weil sie für mehr Rechtsfrieden für | |
Mieter und Vermieter sorgen“. Man habe lediglich nicht unterschrieben, weil | |
man die pauschale Fortschreibung des Mietspiegels nicht für den Berliner | |
Wohnungsmarkt adäquat halte und den Mietenspiegel 2021 als | |
„Brückenmietspiegel“ betrachte. Zudem wolle man die mietenpolitische | |
Diskussion in Berlin befrieden – wie man gleichzeitig den Mietspiegel nicht | |
unterschreibt und die mietenpolitische Diskussion befrieden will, bleibt | |
wohl ein Geheimnis der Immobilienwirtschaft. | |
6 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/de/download/Miets… | |
[2] /Berliner-Mietendeckel-gekippt/!5763152 | |
[3] /Berlins-Bausenator-ueber-Mietendeckel/!5728068 | |
[4] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.sh… | |
[5] https://www.berliner-mieterverein.de/presse/pressearchiv/berliner-mietspieg… | |
[6] https://bbu.de/presse-medien/pressemitteilungen?r=%2Freader%2Fajax%2F47548 | |
[7] https://www.bfw-newsroom.de/berlin-mietspiegel-2021-veroeffentlicht/ | |
[8] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/05/neubau-in-berlin-mieten-unbeza… | |
[9] /Deutsche-Wohnen-gegen-Mietspiegel/!5584850 | |
[10] https://www.immobilienscout24.de/unternehmen/media/immoscout24/user_upload… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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