# taz.de -- Machtwechsel in Berlins SPD: Müller eint die Koalition | |
> Soll Franziska Giffey Michael Müller auch als Regierende Bürgermeisterin | |
> folgen? Nein, sagen Grüne und Linke. Müller strotze doch vor Kraft und | |
> Elan. | |
Bild: Ein toller Typ, dieser Michael (2. v. l.), sind Linke und Grüne sicher �… | |
BERLIN taz | Wer braucht eigentlich Parteifreunde, wenn er solche | |
Koalitionspartner hat? Am Tag, an dem das Machtgefüge in der rot-rot-grünen | |
Koalition ins Wanken gerät, weil der allmähliche Rückzug Michael Müllers | |
(SPD) offiziell wird, bekommt der Regierende Bürgermeister so viel | |
Unterstützung wie lange nicht von Linken und Grünen. | |
„Wir haben eine stabile Koalition und einen Regierenden Bürgermeister. Und | |
es gibt keinen Grund, etwas daran zu ändern“, erklärte Kultursenator und | |
Vize-Regierungschef Klaus Lederer (Linke). Von Grünen-Fraktionschefin Antje | |
Kapek war zu hören: „Ich habe das Gefühl, dass er gerade vor Kraft und Elan | |
strotzt und seinen Job gern weitermachen würde.“ Und auch | |
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) gab sich gönnerhaft: „Wenn dies | |
hilft, die Wogen innerhalb der SPD zu glätten, ist es gut für die | |
gemeinsame Regierung.“ | |
Am Mittwochmorgen war bekannt geworden, dass Müller beim für Mitte Mai | |
angesetzten SPD-Landesparteitag nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden | |
kandidieren wird, das er von 2004 bis 2012 ausübte und 2016 erneut | |
übernahm. Am Nachmittag bestätigte Müller bei einer Pressekonferenz, dass | |
[1][stattdessen Franziska Giffey antreten soll], die frühere Neuköllner | |
Bürgermeisterin und jetzige Bundesfamilienministerin. | |
Sie soll zusammen mit Fraktionschef Raed Saleh in einer Doppelspitze – ein | |
Novum in der Berliner SPD – den angeschlagenen Landesverband führen. Die | |
Partei liegt in Umfragen bei 15 Prozent, fast 7 Prozentpunkte unter ihrem | |
Ergebnis bei der letzten Abgeordnetenhauswahl 2016. Dieser Absturz wird | |
auch Müller angelastet. | |
## Vorentscheidung für die Spitzenkandidatur | |
Die Wahl [2][Giffeys wäre zugleich die Vorentscheidung] für die | |
SPD-Spitzenkandidatur bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl, die für | |
Herbst 2021 vorgesehen ist. Für viele Genossen ist sie die einzige | |
Hoffnung, aus dem Stimmungstief doch noch herauszukommen. Diese | |
Einschätzung wird durchaus bei den Koalitionspartnern geteilt. Giffey | |
stellt also eine Gefahr dar für sie und könnte die Umfragewerte gehörig | |
durcheinanderwirbeln. | |
Derzeit hätte das bisherige Bündnis eine Mehrheit, aber eine andere | |
Machtverteilung – zulasten der SPD. Denn gäbe es jetzt Neuwahlen, könnten | |
die Grünen mit 23 Prozent der Stimmen rechnen, würden stärkste Partei und | |
könnten damit auch die Führung der Landesregierung stellen. Selbst die | |
Linkspartei, in der jüngsten Umfrage bei 19 Prozent, läge noch vor der SPD. | |
Offen blieb am Mittwoch die Frage, ob eine SPD-Vorsitzende Giffey – „das | |
wird gut, ich sag’s Ihnen!“, äußerte sie sich in der gemeinsamen | |
Pressekonferenz mit Müller und Saleh am Nachmittag – Müller vorzeitig auch | |
als Regierungschef ablösen würde. Sie müsste sich dann im Abgeordnetenhaus | |
zur Wahl stellen. „Klar ist, ich bleibe Regierender Bürgermeister, und | |
alles andere wird zu gegebener Zeit entschieden“, sagte Müller auf Fragen | |
nach Spitzenkandidatur und vorzeitigem Rückzug als Regierungschef. | |
Der Noch-Parteivorsitzende wirkte dabei durchaus entspannt und fragte | |
zurück: „Sehen Sie mich schon als Rentner?“ Die Entscheidung, nicht wieder | |
für die SPD-Spitze zu kandidieren, will Müller zwischen Weihnachten und | |
Neujahr getroffen haben. Ein positiver Effekt aus seiner Sicht: „Wenn man | |
nicht mehr Parteivorsitzender ist, gewinnt man als Regierungschef | |
Freiheit“, sagte er, man bewege sich weniger in einem Korsett. | |
Üblicherweise gilt: Politiker mit Amtsbonus haben einen besseren Start in | |
den Wahlkampf als Neulinge. Auch in der SPD dürfte der Druck auf Müller | |
wachsen, einen geschmeidigen Übergang zu ermöglichen. Bei der angespannten | |
Stimmung in der Koalition könnte Giffey als Regierungschefin allerdings | |
Gefahr laufen, dass ihr Mythos als Heilsbringerin noch vor der | |
Abgeordnetenhauswahl wieder verpufft. | |
Grüne und Linke, so war am Mittwoch unisono zu hören, wären von einer | |
vorgezogenen Amtsübergabe nicht begeistert. Sie überschütteten Müller und | |
die Koalition mit überraschend viel Lob und stärken ihm damit den Rücken. | |
„Müller kann im Amt (des Regierungschefs; Anm. d. Red.) bleiben. Es gibt | |
keinen Grund, ihn jetzt auszuwechseln“, sagte etwa die | |
Linkspartei-Landeschefin Katina Schubert. Den Wechsel an der SPD-Spitze | |
wollte sie nicht kommentieren, betonte aber, man werde auch mit Giffey „so | |
kollegial zusammenarbeiten wie mit Müller“. | |
Grünen-Fraktionschefin Kapek sagte: „Michael Müller ist im Amt, und es gibt | |
außer Spekulationen von Journalisten nichts, was darauf hinweisen könnte, | |
dass sich daran etwas ändert.“ Laut ihrer Co-Chefin Silke Gebel hat es „in | |
Deutschland Tradition, dass man als Amtsinhaber sein Amt auch bis zum Ende | |
der Wahlperiode ausfüllt“. | |
In den vergangenen Monaten hatten Grüne und Linke Müller hinter | |
vorgehaltener Hand hingegen deutlich kritisiert und dessen Machtanspruch | |
sowohl in der Partei wie auch in der Koalition relativ deutlich in Frage | |
gestellt. In den Verhandlungen zum Mietendeckel – der am Donnerstag im | |
Abgeordnetenhaus verabschiedet wird – etwa habe Müller orientierungslos | |
gewirkt; seine Position in den langwierigen Verhandlungen sei unklar | |
gewesen und in Wirklichkeit habe Fraktionschef Saleh sie geführt. | |
## Doch Neuwahlen? | |
Und wenn die Sozialdemokraten doch auf einen vorzeitigen Wechsel drängen? | |
„Wenn das passiert, dann werden wir uns mit der SPD zusammensetzen“, wehrte | |
Grünen-Landeschefin Nina Stahr eine Festlegung ab. Als 2014 der langjährige | |
Regierungschef Klaus Wowereit zurücktrat und sich Müller in einer | |
parteiinternen Urabstimmung als Nachfolger durchsetzte, hatten die Grünen | |
noch kritisiert, dass nur rund 16.000 SPD-Mitglieder über den neuen | |
Regierungschef entscheiden sollten, und Neuwahlen gefordert. „Das stimmt, | |
das war damals unsere Position“, sagte Stahr. „Nichtsdestotrotz gilt heute | |
der Koalitionsvertrag.“ | |
Grundsätzlich heißt es in grünen und linken Kreisen, man wolle bei | |
durchschaubaren Machtspielchen der SPD nicht mitmachen. Wenn die Partei | |
Giffey auch als Regierende Bürgermeisterin durchsetzen wolle, könnte das | |
ein Fall für Neuwahlen sein. Offiziell werden andere Gründe angeführt. „Den | |
Wahlkampf jetzt schon zu beginnen ist alles andere als angemessen“, betonte | |
Lederer. „Wir haben noch viel für die Stadt zu tun.“ | |
30 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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